Immer in der Nacht

von Martin Krumbholz

Düsseldorf, 13. Juli 2020. Das sommerliche Asphaltfestival, das normalerweise in einem Industrieareal in Flingern-Süd stattfindet, ist nicht ausgefallen: Es ist auf eine winzige Seebühne auf einem Teich vor dem Ständehaus, dem früheren Landtag, gewandert. Die Zuschauer sitzen dort auf gelben Liegestühlen. Für die historische Performance "Aktion: Aktion!" geht es nun zurück auf den Asphalt, auf den Hof vor dem Polizeipräsidium in Unterbilk, der nach Franz Jürgens benannt ist: einem Polizeioffizier der NS-Zeit, ein etwas dubioser Held des späten Widerstands.

Später Widerstand

Oberstleutnant Jürgens schloss sich einer Gruppe von Zivilisten, Akademikern und Handwerkern an, die im April 1945 das eingekesselte Düsseldorf den Amerikanern übergaben, um ihre Heimatstadt vor einer restlosen Zerstörung zu bewahren.

Es ist eine durchaus fesselnde Geschichtsstunde, die das Publikum auf Drehstühlen verfolgt, während ringsum, vor der L-förmigen Fassade des Polizeireviers, Parolen gerufen, Pauken geschlagen, Statements abgespult werden – buchstäblich bis zur Atemlosigkeit. Man hält sich dabei strikt an überlieferte Zeugenaussagen, die nach dem Krieg dokumentiert und im Stadtarchiv gesammelt wurden. Widersprüche tun sich dabei allerdings nicht auf: Die Dramaturgie des Abends ist linear und homogen. Ja, so muss es sich wohl abgespielt haben.

Aktion Aktion5 560 Ralf Puder uErzählung aus dem letzten Kriegsmonat, die weiße Fahne hängt schon, gehießt von Anna Magdalena Beetz und Julia Dillmann © Ralf Puder

Zunächst wird die Vorgeschichte rekapituliert. Erste Luftangriffe auf Düsseldorf gab es bereits nach Beginn der Westoffensive 1940. Im August 1942 kam es zu einem bereits verheerenden Angriff der britischen Luftwaffe, im Juni 1943 ereignete sich der "Pfingstangriff", der die Stadt in ein Flammenmeer verwandelte. Bis dahin hatten Teile der Bevölkerung die dauernde Flucht in die Luftschutzbunker noch als eine Art Nervenkitzel betrachtet: "Keine Generation hat sich so oft an- und ausgezogen wie wir", scherzte jemand. Die Angriffe fanden ja meistens nachts statt.

Mit dem Leben bezahlt

Das heutige Düsseldorf ist, leider, eine gemischt-schöne Stadt: Neben Resten der alten Metropole, illuminiert von einzelnen Ikonen der Nachkriegsmoderne wie dem "Dreischeibenhaus" (oder auch dem Schauspielhaus), sieht man überall dumpfe Zeugen einer hastigen und fantasielosen Wiederaufbau-Architektur. Es hätte noch schlimmer kommen können, wäre da nicht jene Gruppe von mutigen Aktivisten gewesen, die, wenn auch erst kurz vor dem Ende, den Plan schmiedeten, einen Putsch zu wagen und die Stadt, die sich Anfang März 1945 in eine Frontstadt verwandelt hatte, kampflos zu übergeben. Zwar hatte das "Antifako", das antifaschistische Kampfkommando, schon vorher Flugblätter verteilt und zum Widerstand aufgerufen; doch den entscheidenden Putsch führte eine kleine Gruppe von Aktivisten aus. Fünf von ihnen, darunter Franz Jürgens, mussten es mit ihrem Leben bezahlen.

Aktion Aktion4 560 Ralf Puder uSpiel inmitten der Fassade des Polizeireviers am Düsseldorger Jürgensplatz © Ralf Puder

Jürgens war durchaus ein NS-Mann: Noch 1944 war er der SS beigetreten. Im letzten Moment besann er sich eines Besseren. Er ließ den amtierenden Polizeipräsidenten verhaften, machte dabei aber einen verhängnisvollen Fehler. So wurde er selbst festgesetzt, der Präsident wieder befreit. Fünf Putschisten wurden standrechtlich verurteilt, misshandelt und erschossen. Das ereignete sich am 16. April. Die Amerikaner hatten mit dem sogenannten Ruhrkessel das ganze nördliche Rheinland umzingelt. Die übriggebliebenen Putschisten übergaben die weiße Fahne in Mettmann. Am 17. April wurde Düsseldorf eingenommen. Es gab keinen Widerstand mehr. Die letzten Panzersperren wurden mühelos geknackt.

Dramatisch, authentisch

Christof Seeger-Zurmühlen (er leitet das Asphaltfestival und übrigens auch die Bürgerbühne am Schauspielhaus) hat diese Geschichtslektion mit jener kräftigen Dosis an Pathos in Szene gesetzt, die vermutlich dazugehört. Ein paar fromme Schauer müssen einen ja schon überrieseln, wenn es so dramatisch, nonfiktional und authentisch zugeht. Zwei Akteurinnen und zwei Akteure sowie ein Live-Musiker laufen, trommeln, verwandeln sich in wechselnde Figuren, steigen auf Podeste, sprechen in Mikrofone. Fahnen werden gehisst und wieder eingeholt. Die Hakenkreuzfahne ist dankenswerterweise nicht darunter. Der Himmel ist blau, Corona fast vergessen, Düsseldorf feiert den Sommer, 75 Jahre danach.


Aktion: Aktion! Eine performative Erinnerung auf dem Jürgensplatz
vom Theaterkollektiv Pièrre.Vers
Regie und Konzept: Christof Seeger-Zurmühlen, Textfassung: Juliane Hendes, Raum und Kostüm: Simone Grieshaber, Musikalische Leitung und Komposition: Bojan Vuletic, Komposition und Livemusik: Chriss Gross, Tondesign: Philipp Kaminsky.
Mit: Anna Magdalena Beetz, Julia Dillmann, Jonathan Schimmer, Alexander Steindorf.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.asphalt-festival.de

 

Mehr über das Asphalt-Festival: über die Ausgabe im vergangenen Sommer berichtete Sascha Westphal.

 

Kritikenrundschau

"Zu Wort kommen Beteiligte und Zeitzeugen der Düsseldorfer Widerstandsgruppe 'Aktion Rheinland', die sich im April 1945 zum Handeln gezwungen sah, um ihre bedrohte Stadt vor der Vernichtung zu retten", so Regina Goldlücke in der Rheinischen Post (15.7.2020). "Unter der Regie von Christof Seeger-Zurmühlen entfesseln die vier Schauspieler ein packendes Drama". Schnell wechseln sie ihre Positionen, verkörpern verschiedene Personen. "Dumpfer Trommelwirbel und das Geräusch von Geschützen und dröhnenden Flugzeugen reichern die vorgetragenen Protokolle mit Dynamik an und verdichten die Inszenierung noch stärker." 

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