Existenzbedroht

Berlin, 9. August 2020. Am heutigen Sonntag ab 13 Uhr findet in Berlin ein "Protestmarsch der Kulturschaffenden" gegen ihre durch die Corona-Pandemiemaßnahmen ausgelöste Notlage statt. Aufgerufen hat ein Bündnis freischaffender Künstler*innen aus diversen Bereichen von Theater, Tanz, Zirkusartistik bis zu Kabarett und Kleinkunst, das die Interessen von soloselbstständigen Bühnenakteur*innen, aber auch Freischaffenden aus den Bereichen Kostüm, Maske, Ton- und Lichttechnik, Organisation, Veranstaltung und weiteren Bereichen in den Blick nimmt.

Deutschland, Berlin, Brandenburger Tor: Protestmarsch der Kunst- und Kulturschaffenden in Berlin: Kuenstler! Hilfe! Jetzt! Sie fordern u.a. ein Kuenstler Kurzarbeitergeld. Ca 250 Menschen sind bei der Abschlusskundgebung. Es protestieren Soloselbstaendige: Artisten, Kabarettisten, Veranstaltungstechniker uva. Der Veranstaltung findet unter den Abstandsregeln wegen des Corona Virus statt. No model release. Engl.: single autonomy / solo self-employed people of the art, stage and off cultural scene protesting against the less of financial help by the goverment for this part of the economy because of the lockdown in times of the corona pandemie copyright: david baltzer/bildbuehne.de. © David Baltzer Bildbuehne"Kunst spiegelt und reflektiert die Gesellschaft, zeigt Tendenzen und Problematiken auf, beugt Radikalisierung vor, bildet Meinungsvielfalt ab und trägt so zum demokratischen Diskurs bei. Daher sollte Kunst als systemrelevant betrachtet und dementsprechend ernst genommen werden", heißt es auf der Website der Demonstrierenden.

Da aktuell nur 30 Prozent der Sitzplätze verkauft werden könnten, werden Bund oder Länder aufgefordert, "die freigelassenen Sitzplätze" zu finanzieren. Die Corona-Soforthilfen von 5000 Euro aus dem März seien aufgebraucht, freien Künstler*innen drohe der Abstieg in Hartz IV. Daher fordern sie "ein Existenzgeld in Form einer Art 'Künstler-Kurzarbeitergeld', das sich am individuellen durchschnittlichen Monatseinkommen von 2019 bemisst, mindestens aber 1180,- Euro."

Darüber hinaus wird für ein "Konjunkturpaket" für den freien Kultursektor, vergleichbar den Paketen für andere Wirtschaftszweige, gestritten sowie für die Aufhebung des gemeinsamen Singverbots in geschlossenen Räumen.

Die Demonstration, die in Blöcken vom Kurfürstendamm bis zum Brandenburger Tor führen soll, schließt mit einer Kundgebung, die der Kabarettist Arnulf Rating moderieren wird und auf der unter anderen der Berliner Kultursenator Klaus Lederer, der Grünen-Bundestagspolitiker Erhard Grundl und die Kabarettistin Katharina Hoffmann sprechen sollen.

(protest-marsch-berlin.de / chr)

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Kommentare  
Protest Berlin: wichtige Initiative
Ich finde es gut und wichtig, dass solche Aktionen stattfinden. Bei der spärlichen Menge an Menschen vor dem Brandenburger Tor hatte ich den Eindruck, dass den meisten vielen Kulturschaffenden in Berlin der Schuh wohl doch nicht so sehr drückt, wie man meinen könnte. Das finde ich sehr schade. Klar, es war sehr heiß und vielleicht ist der ein oder andere noch im Urlaub. Aber es zeigt sich doch, wie schwer sich die Kulturszene tut, sich zu organisieren und sich nicht mit dem Prekariat abzufinden.
Protest Berlin: peinlich und schlimm
Da kann ich Simon nur zustimmen. Das war der politisch engagierte Teil der Kultur- und Kreativbranchen? Ein paar Hundert höchstens. Von 1,7 Millionen. Peinlich und schlimm ist das.
Protest Berlin: Nicht alle in Berlin
An Simon: Ich wäre gerne zum Protest gefahren. Mir drückt der Schuh sehr. Aber ich lebe nicht in Berlin, und habe gerade wegen des Notstandes kein Geld, um in den Zug zu steigen. Ich kann nicht die Einzige sein, der das so ging. Das hat leider absolut nichts mit Urlaub zu tun.
Protest Berlin: Wenig Gruppenbildung
1... die Kulturszene sich schwer tut sich zu organisieren. -
Künstler haben oft wenig Hang zur Gruppenbildung.

Das zeichnet viele Künstlergruppen aus (in früheren Zeiten mehr als
gegenwärtig): die Exklusivität der Mitgliedschaft, und nicht der freie
Zutritt für alle Gleichgesinnten, wie er für die bürgerlichen Vereinigungen
üblich ist.
Protest Berlin: Kultur ins Grundgesetz!
Noch ein Nachtrag von mir... denn eine sehr wichtige politische Forderung wurde leider auf der Kundgebung gar nicht thematisiert. Der Schutz und die Pflege der Kultur müssen sehr dringend endlich ins Grundgesetz! Die Frage ob Kulturarbeit auf kommunaler, regionaler, Landes- und Bundesebene als freiwillige Leistung oder als Pflichtaufgabe der „Daseinsvorsorge“ einzuordnen ist, wird durch die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID 19 Pandemie und deren Folgen noch brisanter als bisher. Zur Zeit wird überall über Nothilfen für Kunst und Kultur gesprochen. Und dies ist auch absolut notwendig, aber kurz gedacht. Denn spätestens im kommenden Jahr wird die Haushaltsnot im Bund, in den Ländern und Kommunen groß sein. In einer Situation, in der die öffentlichen Haushalte sehen müssen, wie und wo sie sparen können, ist zu befürchten, dass die Ausgaben für die Kultur als Erstes infrage gestellt werden. Als „freiwillige Leistung“ sind diese nicht geschützt, denn die Bundesrepublik Deutschland hat den Schutz und die Förderung der Kultur im Grundgesetz eben bislang noch immer nicht verankert.

Der ausgeprägte Föderalismus spiegelt sich auch bei der Förderung von Kunst und Kultur wider. Die Zuständigkeit der Kulturförderung ist in den Landesverfassungen verankert. Die Gemeinden leiten ihr Recht zur eigenständigen Kulturförderung direkt aus dem Grundgesetz ab. Aus juristischer Sicht wird die Kulturfinanzierung wegen fehlender Konkretisierungen allgemein aber als eine freiwillige Aufgabe interpretiert. Nur zwei Bundesländer bilden durch eigene Gesetzgebung bisher löbliche Ausnahmen. Nordrhein-Westfalen hat seit 2014 mit dem Kulturfördergesetz eine gesetzliche Regelung für die Kulturförderung. Die Landesverfassung verpflichtet darin das Land zur Förderung von Kunst und Kultur. Und im Sächsischen Kulturraumgesetz heißt es in § 2 Abs. 1: „Im Freistaat Sachsen ist die Kulturpflege eine Pflichtaufgabe der Gemeinden und Landkreise.“

Mitten in der Corona-Krise haben wir gerade 70 Jahre Grundgesetz gefeiert. Die Enquête-Kommission „Kultur in Deutschland“ empfahl schon im Juni 2005 einstimmig dem Deutschen Bundestag die Aufnahme des Staatsziels Kultur in das Grundgesetz. Danach soll dieses um einen zusätzlichen Artikel 20b mit dem Wortlaut „Der Staat schützt und fördert die Kultur“ ergänzt werden. Diese Forderung ist in Zeiten von Corona nun wichtiger als je zuvor.
Protest Berlin: Kultur im Grundgesetz
5 - Welche Länder haben Schutz und Förderung der Kultur im Grundgesetz?
würde mich interessieren (Holland sicherlich, oder nicht mehr?)
Protest Berlin: Kultur ins Grundgesetz?
Die Frage ist doch: Was ist Kultur? Und ist mit der Aufnahme ins GG irgendein Rechtsanspruch verbunden? Für wen? Theater, Oper, Tanz? Nur die Stadt- und Staatstheater? Was ist mit Privattheatern und Freier Szene?
Und was ist mit Literatur, Film, Bildender Kunst? Computerspiel, Street Art, Laienkunst? Wer findet da den richtigen Verteilschlüssel? Und warum sollten sich die Volksvertreter ausgerechnet für die Förderung von Theater entscheiden? Weil das eine so wahnsinnig zukunftsträchtige Kultursparte ist, die weite Teile der Bevölkerung erreicht?
Protest Berlin: überrascht
Hamsterrad, Sie haben recht. Theater erreicht nicht die weiten und
weiteren Teile der Bevölkerung, des "Folks" - amerikanisiert bis in die arbeitsamen Knochen. Sind nicht die meisten im Hamster-Rad?
Ich lese gerade: Im Jahr 2O2O gab es rund 7,23 Millionen Personen in der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahre, die besonderes Interesse an der Kunst- und Kulturszene hatten. (statista. Umfrage in Deutschland zum Interesse an der Kunst und Kulturszene bis 2O2O) Ich bin überrascht. Aber kann man solchen Umfragen auch trauen? Das Interesse wird wahrscheinlich vor allem am "Populär-Kulturellen liegen.
Protest Berlin: Beispiel "Kunst am Bau"
Hallo "Hamsterrad". In Berufung auf das Grundgesetz wären Ausgaben für die Kultur Teil der Daseinsvorsorge und dadurch geschützt. Natürlich müsste dies alles auch in der Verteilung dann entwickelt werden. Es geht zunächst um den Schutz der bisherigen Ausgaben. Als Modell für eine künftige neue grundsätzlich verpflichtende Förderung könnte beispielsweise die „Kunst am Bau“ herangezogen werden, die von Bund und Ländern in entsprechenden Regelungen festgeschrieben ist. Die „Bauherren“ verpflichten sich hier einen festgesetzten Prozentsatz der gesamten Baukosten öffentlicher Bauten für Kunstwerke zu verwenden. Die Anfänge dieser Regelungen sind historisch betrachtet ebenfalls in einer gesamtgesellschaftlichen Notlage entstanden. Angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage nach dem Ersten Weltkrieg konnte sich damals der Reichswirtschaftsverband bildender Künstler zum Schutz der Künstler auf Artikel 142 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 berufen: „Kunst, Wissenschaft und Lehre sind frei. Der Staat gewährt ihnen Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil.“ In dieser Hinsicht war die Reichsverfassung unserem Grundgesetz also tatsächlich einen Schritt voraus.
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