Das Ende der Quarantäne

von Theresa Luise Gindlstrasser

Litschau, 15. August 2020. Litschau ist die nördlichste Stadt Österreichs. Zehn Kilometer bis zur tschechischen Grenze, 148 km bis Wien. Im Wirtshaus am Hauptplatz schmeckt das Eierschwammerlgulasch top und das Schloss gegenüber ist mega. Und ein Theaterfestival gibt's auch.

Seit 2018 organisiert Zeno Stanek, Regisseur, Leiter des österreichischen Theaterverlags Kaiser, ehemaliger Intendant der Festspiele Stockerau und Neueigentümer des litschauerischen Hotel- und künftigen Theaterdorfs Königsleitn, das Hin & Weg. Und was anderes als "hin und weg sein" von diesem Ambiente, das gib's eher nicht. Die verschiedenen Spielorte heißen "Verlies", "Pawlatschenbühne" oder "Zetschenwiese". Das Festivalzentrum liegt direkt am idyllischen Herrensee, das dazugehörige Herrenseetheater lässt sich nach drei Seiten öffnen. Und abends am Lagerfeuer hat die Weinbar lang genug auf für urguten Rausch.

BITTENICHTBERueHREN 560 ConstantinWidauerDie Wohncontainer der Dauer-Aktion "Bitte nicht berühren" von kollekTief am Herrensee  © Constantin Widauer

Im theaterarmen Sommer 2020 ist das Medieninteresse am "Hin & Weg" groß. Deutschlandfunk Kultur, ORF, und und und, naja Nachtkritik auch. Im Zentrum dieser Aufmerksamkeit steht die Theatergruppe kollekTief, deren Mitglieder sich für zwei Wochen in Boxen isolierten. Titel der Aktion: "Bitte nicht berühren". Die Schauspielerin Alina Schaller, die Regisseurin und Musikerin Anna Marboe, die Schauspieler Anton Widauer und Felix Kammerer sowie der Musiker und Schauspieler Tilman Tuppy entwickeln seit 2012 gemeinsame Projekte. Abseits vom kollekTief steht Schaller zum Beispiel für die Vorstadtweiber vor der Kamera, oder spielt Kammerer im Ensemble des Burgtheaters. Waren es bisher vor allem intime Publikumsbegegnungen, setzen die jungen Künstler*innen aufgrund von Corona auf radikale Distanz.

Kreatives Chaos

Die fünf Wohncontainer sind am Parkplatz beim Hoteldorf, also oberhalb vom See, im Kreis angeordnet. Glasfronten zur Mitte, die jede Privatsphäre verunmöglichen, lassen an "Zoo" und "Menschenschau" oder zumindest "Kunstausstellung" denken. Das von der österreichischen Firma GEA (Waldviertlerschuhe, Naturmatratzen, etcetera) gesponserte Interieur ist mehr so Tiny-House-chic. Neben jeweils 14 selbst in die Isolation mitgebrachten Objekten, sind manche der Boxen am Vorabend der Abschluss-Performance vollgeramscht mit Geschenken des Publikums an die Isolierten.

Bittenichtberuehren 560 Felix Kammerer c BirgitSchaller u"Bitte nicht berühren" mit Felix Kammerer © Birgit Schaller

Da liegen Engelsflügel und Bücher, stehen Scheinwerfer und Musikinstrumente, kleben Zettel mit noch mehr Wünschen oder Kalendersprüchen als Botschaften ans Außen. Sehr viel sehr kreatives Chaos. Aber eine Box ist leer. Marboe hat die Isolation vorzeitig abgebrochen. Ich sammle also Gerüchte: Es wäre ihr zu krass geworden. Sie wäre weggelaufen. Es wäre ein dramaturgischer Kniff und sie würde am nächsten Abend mit auf der Bühne stehen. Die Isolation sei sowieso keine Isolation. Die Isolierten wären spazieren und baden gegangen. Keine Ahnung. Aber bei der Abschluss-Performance war Marboe dabei.

Aus der Eierschale zur Erleuchtung strampeln

Dafür verlassen Schaller, Widauer, Kammerer und Tuppy die Boxen in Richtung Herrensee Theater. Sie werden jubelnd empfangen. Das Publikum feiert das Ende der Quarantäne als wärs die eigene Wiedererweckung zur Freiheit. Folgerichtig formuliert Schaller auf der Bühne angekommen demonstrativ nachdenklich: "Was ist Freiheit?". Noch naiver war nur das "Ritual" am Vorabend, bei dem Schaller sich per psychologischer Schmiere als Greta Thunberg gegen den Klimawandel ins Mikrofon ereiferte oder Tuppy sich schwer atmend als Vogelbaby aus der Eierschale und hin zur Erleuchtung strampelte. Auch bei der Abschluss-Performance kommts zu keiner inhaltlichen Auseinandersetzung mit der selbstgewählten Isolation. In kurzen Gesangs-, Tanz- oder Lecture-Nummern zeigen die fünf vom kollekTief Ergüsse aus der Tagesverfassung.

Atmosphärisch dank Licht und Ton ganz hübsch auszuhalten, inhaltlich zum Kopf in den Herrensee stecken. Es geht um "Leichtigkeit", die erhaltenen Geschenke und dass "der Fluss der Liebe" jetzt irgendwie in die Welt hinaus soll. Keine Ahnung. Haben die mir grade gesagt, dass die kapitalistische Warenproduktion unseren Zusammenhalt garantiert? Und dass am Ende von zwei Wochen Quarantäne alles wieder gut ist, weil wir dann gemeinsam Luftballone aufblasen können? Jedenfalls ist die Selbsterfahrungs-Aktion vorbei, kollekTief hat für uns das Quarantäne-Kreuz getragen – Auferstehung, Amen.

DieWeltisteinWuerstelstand 560 ConstantinWidauer uDie Welt ist ein Würstelstand: Manuela Lindshalm mit Puppen © Constantin Widauer

Insgesamt waren beim diesjährigen "Hin & Weg" knapp über 140 Veranstaltungen an zwei Festivalwochenenden zu erleben. Der Fokus liegt dabei auf zeitgenössischer Dramatik, die in unterschiedlichen Formaten einem Publikum von jung bis alt präsentiert wird. Das ist keine Floskel. Während Ulrike Lunacek (kürzlich zurück getretene Kunst- und Kulturstaatssekretärin der Grünen) bei der Matinee über gelungene Interviews sinniert, wird bei "Ach, wie gut, dass niemand weiß" eine Schnitzeljagd veranstaltet. Ein konzentrierte szenische Lesung aus Daniel Kehlmanns neuem "Frucht und Elend des Virus" (das 2021/22 im Theater in der Josefstadt uraufgeführt werden soll) kommt da genauso vor wie Menschen im Wald von Natascha Gangl (das von Hans-Christian Hasselmann als verträumter Hörspaziergang zwischen Bäumen umgesetzt wurde).

Die Schau gestohlen

Und nach der Lesung vom festivaleigenen Dramatik-Workshop geht's zum Gastspiel "Böhmisches Paradies" von Jaroslav Rudiš vom Werk X, wo vier Schauspieler auf einem Floß im See saunieren. Ein anderes Gastspiel aus Wien hat diesem wirklich ausgesprochen paradiesischem See aber die Show gestohlen: "Die Welt ist ein Würstelstand" mit der sich in tausenden Schattierungen des Wienerischen ergehenden Puppenspielerin Manuela Linshalm vom Schubert Theater. Ein Karussell der Wiener Gestalten und Soziolekte – die Welt wird auf jeden Fall am Würstelstand erklärt. Aber wie es so ist auf Festivals – das meiste vom Programm habe ich nicht gesehen. Und fahr mit Mückenstichen wieder zaus.

 

Bitte nicht berühren
Idee und Produktion: kollekTief
Musik: Florentin Bergsmann, Lichtdesign: Sabine Wiesenbauer, Tontechnik: Robert Bastecky, Produktionsleitung: Amelie Wimmer.
Mit: Alina Schaller, Anna Marboe, Anton Widauer, Tilman Tuppy, Felix Kammerer.

kollektief.at

Die Welt ist ein Würstelstand
von Stephan Lack und Manuela Linshalm
Idee und Spiel: Manuela Linshalm, Regie: Christine Wipplinger, Musik: Heidelinde Gratzl, Bühne: Denise Heschl, Puppenbau: Manuela Linshalm, Nikolaus Habjan, Marianne Meinl, Lisa Zingerle.

schuberttheater.at

www.hinundweg.jetzt

Kommentare  
Festival Hin und Weg: erschüttert
Danke für diese Kritik. Ich war dort und war erschüttert über diese so miese Performance. Ich wollte mich von Sprüchen á la Kollektief - "das sind doch verzogene Gören - denen fad ist, und deren Papa für die Inszenierung zahlt" nicht abbringen lassen. Leider - es hat genauso gewirkt. Erschreckend, zum Hin und Weg komm ich nicht mehr.
Kommentar schreiben