Fäuste ballen und zur Decke schauen

von Johanna Lemke

Halle, 8. Oktober 2008. Die Fechtszene am Ende hat es dann doch rausgerissen in diesem "Hamlet" am Neuen Theater Halle: Es entsteht eine Konzentation in der Inszenierung von Christoph Werner, die man vorher vergeblich suchte. Dabei strebt hier vieles in die Höhe: Hamlets Bühne, das ist eine graue Pyramide aus Pappe, auf deren Spitze ein ebenfalls aus Pappe geschnittenes Denkmal von Hamlet Senior wankt.

Gestaltet wurde die Bühne von Moritz Götze, einem Grafiker und Maler, dessen Werk irgendwo zwischen Comic und Collage einzuordnen ist. Es ist die erste Bühnenbild-Arbeit von Götze, auch die Kostüme stammen von ihm. Die riesengroßen textilen Prospekte, die hinter der Papp-Pyramide aufgehängt sind, sind in diesem Comic-Stil gehalten: schwarze Ränder, fette Farben.

Krieg rund um Dänemark
Zunächst sind Männer mit Pickelhauben und vielen Abzeichen auf dem Plakat, später fallen die Bilder und neue kommen zum Vorschein, mit deutlichen militaristischen Motiven. Die Ikonografie verortet das Geschehen offenbar im Deutschen Reich, zu Beginn des ersten Weltkriegs. Die immer wieder auftrommelnde Marschmusik potenziert diesen Eindruck. So weit die Idee Christoph Werners - nur leider findet diese historisch-politische Ebene in seiner Inszenierung keine Entsprechung. Zu sehr mühen sich die Darsteller ab, ihre Figuren mit heutigem Pathos zu füllen und verpassen dabei, das Übergreifende des Stücks zu erspüren. Jonas Hien spielt Hamlet als entsetzten Melancholiker – aber eben nicht mehr.

Das Fitzelchen Zeitgenossenschaft seiner Figur erschöpft sich in einem gelben Kapuzenpullover, Jogginghosen und so manchem dazwischen gerufenen "Scheiße" oder "Ganz großes Tennis" – nun ja, das sorgt immerhin für vereinzelte Lacher. Doch Hien verheddert sich in dem kompletten Programm der Verlegenheitsgesten: Mit den Händen am Mantel reiben, Fäuste ballen und dabei zur Decke schauen. Die Haare hinter die Ohren streichen. Den Kopf verzweifelt zu Seite drehen. Und dabei sehr kehlig sprechen, zwischendurch auf den Boden schmeißen, fertig ist der Hamlet.

Hamlet in Verlegenheit
Hien hat ohne Zweifel versucht, der Rolle einige ihrer vielen Facetten zu entlocken – doch er kommt an dem Punkt ins Stocken, an dem Hamlet über den verzweifelten Träumer hinaus gehen könnte, sollte. Er hebt seine Hand gen Himmel und klagt "Schwachheit dein Name ist Weib" – und nun, was noch? Während Claudius (Peter W. Bachmann) und Gertrud (Elke Richter) wie einer Vorabend-Serie entschlüpft wirken, haben die anderen Schauspieler zumindest je eine lichte Szene: Sebastian Kaufmane als Laertes, wenn er wie ein Amokläufer mit dem Revolver auf jeden zielt, der ihm nahe kommt, das ist beklemmend.

Oder Marie Bretschneiders wahnsinnig gewordene Ophelia, die fuchtelnd und murmelnd bald wahnsinniger ist, als es Hamlet je vorgegeben hat zu sein. Insgesamt aber zu viele Schauspielschulen-Deklamationen, zu wenig Risiko im Spiel. Wirklich grandios ist einzig Jörg Lichtenstein als Polonius: Ein kleiner, dummer Schwätzer, der zu jeder Intrige bereit ist, wenn es ihn nur weiter bringt. Selten ist ein solch törichter Polonius aus dem Schrank gepurzelt. Doch leider versickert dieser schauspielerische Höhepunkt in einer Inszenierung, die sich weder für eine konsequente Komik noch für differenzierte politische Auseinandersetzungen entscheiden will.

Am Ende doch Eindringlichkeit
Das Kriegsthema wird nur partiell wieder aufgegriffen: als Claudius Hamlet buchstäblich foltern lässt, scheint es auf. Fast erschütternd ist das Bild des knienden Hamlet mit gefesselten Händen, richtige Eindringlichkeit entwickelt die Szene aber nicht. Gerade im gesamten letzten Teil ist die Inszenierung zu sehr damit beschäftigt, den Text mit abgedroschenen Gesten zu füttern, anstatt ihn neu zu lesen.

Am Ende kommt dann die Fecht-Szene. Laertes und Hamlet werden in echte Montur inklusive Maske gesteckt und verkabelt, so dass eine Lampe aufleuchtet, wenn einer der beiden getroffen ist. Der Kampf verläuft sportlich-konzentriert, einmal noch kehrt da die Aufmerksamkeit zurück, los, hau drauf! Schließlich: Gertrud trinkt sehr ernsthaft das Gift. Hamlet begreift das Verderben. Alle sterben enorm eindringlich – dann ist Schweigen.

 

Hamlet
von William Shakespeare, Deutsch von Angela Schanelec und Jürgen Gosch.
Regie: Christoph Werner, Bühne und Kostüme: Moritz Götze, Musik: Sebastian Herzfeld.
Mit: Peter W. Bachmann, Marie Bretschneider, Petra Ehlert, Jonas Hien, Sebastian Kaufmane, Jörg Lichtenstein, Sophie Lüpfert, Andreas Range, Elke Richter, Hannelore Schubert, Jörg Simonides, Peer-Uwe Teska.

www.kulturinsel-halle.de

 

Kritikenrundschau

In der Mitteldeutschen Zeitung (10.10.2008) aus Halle schreibt Andreas Hillger: "Den Schlüssel zu seiner Figur" liefere Hamlet in der Szene, "die er den Schauspieler-Spielern macht: Fließend ist die Grenze zwischen ihm und ihnen, seine Anweisungen sind an die eigene Person gerichtet". Nur so werde "Jonas Hiens verzweifelter Einstieg als Angst vor einer übergroßen Aufgabe verständlich", die eben "nicht in der geforderten Rache, sondern in der zu spielenden Rolle liegt". Das "größte Risiko der Inszenierung" erwachse aus dem "Prominenten-Bonus": Moritz Götzes Debüt als Bühnen- und Kostümbildner sorge zwar für sinnstiftende Zutaten, stelle die Figuren "aber auch in einen irritierenden Bildersaal". Den Darstellern werde "eine Position in wechselnden Tableaus zugewiesen, die sie zu forciertem Spiel zwingt". Der ganze Abend "balanciert" am "Rande der Komik, um schließlich die Tragik umso spürbarer zu machen".

 

 

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