Das hat nichts mit Rassismus zu tun

von Michael Wolf

Berlin, 5. September 2020. Beim politischen Theater hat man oft den Eindruck, es ginge vor allem darum, dass sich am Ende alle einig sind. Mit strahlendem Gesicht beklatschen sich dann Parkett und Bühne gegenseitig mit dem guten Gefühl auf der richtigen Seite zu stehen. Ein solches Verständnis von Theater kann man Kevin Rittberger nicht vorwerfen. Zu unbequem ist sein neues Stück, zu wenig auf Konsens zielt es. So mögen sich noch alle vernünftigen Menschen einig sein, dass Nazis in unserer Gesellschaft keinen Platz haben sollen, dass sie "raus" gehören. Wenige aber wären bereit, dieses "raus" zu konkretisieren, Gewalt zu befürworten oder gar selbst jemanden mit der falschen Gesinnung ins Krankenhaus zu prügeln. Ebenso unpopulär ist wohl die Ansicht, der Staat steckte insgeheim mit den Faschisten unter einer Decke, und selbst unter taz-Kolumnistinnen fände sich wohl keine Mehrheit für die These, Polizisten seien auch nur "gut bezahlte Hooligans". Rittberger aber hat nicht nur zur Geschichte des antifaschistischen Kampfes recherchiert, er verhält sich auch durchaus affirmativ zum Schwarzen Block, dem er seine Textfläche widmet.

Der Macht misstrauen

Das Geschehen findet, wohl auch coronabedingt, nur zu einem kleinen Teil auf der Bühne statt, über große Strecken verfolgt man das Spiel als Projektion und über Kopfhörer. Regisseur Sebastian Nübling gilt als Experte für flächige Stücke, er ringt noch dem störrischsten Textungeheuer Tempo und Rhythmus ab. So auch an diesem Abend, an dem er sein 14-köpfiges Ensemble durchs Foyer, auf dem Hof umher und durch die benachbarte Spielstätte Container hetzt. Mit weißen Fetzen im Gesicht, als Gespenster markiert, tauchen sie vor der Handkamera auf, als Widergänger aus der deutschen Geschichte, der sie nicht entkommen, solange der Feind noch marschiert. "Staat! Nation! Kapital!" skandieren sie und setzen ein beherztes "Scheiße!" hinten dran.

 schwarzerblock1 560 UteLangkafel uKarim Daoud, Linda Vaher, Mehmet Yılmaz in "Schwarzer Block", groß im Video: Aram Tafreshian, Maryam Abu Khaled © Ute Langkafel

Wenig differenziert ist das Weltbild dieser Verteidiger der freien Gesellschaft, nur intern gibt es viele offene Fragen. Zum Beispiel immer wieder diese: "Warum eigentlich keine Einheit zwischen SPD und KPD gegen den Faschismus?" So zerstritten die Linke immer war, so eindeutig und klar sieht Rittberger die Aufgabe des Schwarzen Blocks, jener für ihn offenbar reinsten Erscheinungsform politischer Kämpfer. Eben dieser Kampf stellt sich für ihn, laut Programmheft, folgendermaßen dar: "Auf der einen Seite die starken Ichs, die sich formulieren, um sich politisch nach oben (wo auch immer das ist) zu drücken." Auf der anderen die "schwachen Ichs" der anarchistischen Linken, die der Macht schon immer misstrauten.

Urteil: mitschuldig

Für Rittberger scheint das nicht nur eine Beschreibung einer konkreten Situation in der deutschen Geschichte zu sein, er denkt Gesellschaft generell von ihren Rändern her, sieht sie – in guter marxistischer Tradition – als Kampfplatz dieser zwei Opponenten an, mit Gültigkeit bis heute. Wo in diesem Schema ist die Zivilgesellschaft?, darf man fragen. Wo sind die Institutionen? Und was treibt eigentlich der Staat? Von dem ist hier offenbar kein Schutz vor dem drohenden Umsturz zu erwarten. In diesem Denken kann man dessen Gewaltmonopol nur fürchten, wird er es doch im besseren Falle nur gegen die Progressiven einsetzen, im schlechteren leichthin dem rechten Mob überlassen.

schwarzerblock2 560 UteLangkafel uVideo vom Vorplatz: Hanh Mai Thi Tran © Ute Langkafel

Das Resultat dieser Rechnung ist Alarmismus und Paranoia, ist das Ausweiten eines Unsicherheitsgefühls auch auf solche, die bislang von Opfern verschont geblieben sind, jene Mittelschicht, die sich weigert für die eine oder andere Seite in die Straßenschlacht zu ziehen. Man darf annehmen, dass Rittberger sie für mitschuldig hält, dass er jeden Differenzierungsversuch als naiv diskreditiert oder schlimmer noch: als verkapptes Nazitum.

Die Lust zu widersprechen

In einer wirklich witzigen Szene kommt das gut zum Ausdruck. Auf dem Vorplatz zünden die Demonstranten Bengalos, lärmen und brüllen Parolen, während Polizisten sie mit Wasserwerfern zurückdrängen, da fährt mit einem Mal ein BMW vor. Am Steuer sitzt Çigdem Teke, die in biederster Manier zu politisieren beginnt, sich aber bald schon in die völkischen Parolen eines Björn Höcke hineinsteigert. "Um Grausamkeit, wohltemperiert / Werden wir nicht herumkommen". Die Meute jagt sie sogleich von Hof, ein Außenspiegel geht auf ihrer Flucht zu Bruch.

schwarzerblock3 560 UteLangkafel uGleich kommt der Wasserwerfer: Karim Daoud, Çiğdem Teke, Linda Vaher © Ute Langkafel

Auch Aram Tafreshian löst sich einmal aus dem Block des Ensembles. Als martialisch gepanzerter Polizist drischt er in Zeitlupe auf die vermummten Demonstranten ein und schildert anschaulich, wie sich die Sache aus seiner Sicht darstellt: "Ich verliebe mich ja auch im Urlaub nicht / Ernsthaft in eine Südländerin / Das hat wirklich gar nichts mit Rassismus zu tun". Man braucht nichts gegen Polizisten haben, um diesen Monolog grandios zu finden. So wie der ganze Abend in seiner Verweigerung zur Differenzierung Lust macht: vor allem Lust zu widersprechen. Und damit ist schon viel gewonnen.

 

Schwarzer Block
von Kevin Rittberger
Regie: Sebastian Nübling, Ausstattung: Dominic Huber, Kostüme: Gwendolyn Jenkins, Sounddesign: Tobias Koch, Live-Video Robin Nidecker, Dramaturgie: Ludwig Haugk.
Mit: Maryam Abu Khaled, Mazen Aljubbeh, Yusuf Çelik, Karim Daoud, Dominic Hartmann, Kinan Hmeidan, Svenja Liesau, Vidina Popov, Aram Tafreshian, Hasan H. Taşgın, Çiğdem Teke, Han Mai Thi Tran, Linda Vaher, Mehmet Yılmaz.
Premiere am 5. September 2020
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.gorki.de

 

Kritikenrundschau

"Knapp anderthalb Stunden lang sprechen 14 Performer Lexikonartikel, Täterstatements, Opfergeschichten, Parolen- und Flugblättertexte, deren Kompilation das Programmheft als Langgedicht, ja als Sinfonie bezeichnet," schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (6.9.2020). Noch weniger als dem Autor ist es aus Sicht dieses Kritikers "offenbar dem Regisseur Sebastian Nübling ein Anliegen, dass man überhaupt erst zu einer inhaltlichen Ebene vordringt." Sprechen heiße Ansagen machen, ansagen heiße meist niederschreien "etwa per Megafon – dazu gibt es einen kraftmeiernden Soundtrack von Tobias Koch, viel Wasser, Nebel und bengalisches Feuer. Man muss nur einmal die Kopfhörer absetzen, um zu merken, wie absurd so eine Veranstaltung ist."

"Eine Beballerung und Zumutung, ziemlich ermattend", findet Ute Büsing im RBB (7.9.2020). In Sachen historischer Korrektheit sei "das wütende Konstrukt ein totaler Fehlschuss. Es sitzt ohne Zwischentöne und Stimmen aus der Zivilgesellschaft einer Ideologie auf". Hausregisseur Sebastian Nübling mache "aus der affirmativen, undifferenzierten Textfläche aus Aktivisten-Sicht 100 Minuten Wumm".

Als "Pamphlet gegen den Staat, gegen die Zivilgesellschaft", liest Barbara Behrendt vom Kulturradio (07.09.2020) den Text. "Kunst kann man das eigentlich nicht nennen, das ist astreiner Aktivismus. Es ist eine einzige Glorifizierung der Gewalt des Schwarzen Blocks im gerechtfertigten Kampf gegen die Neo-Nazis." Das Geschichtsbild in diesem Text sei „höchst verengt“. Sebastian Nübling feiere den Abend "völlig ungebrochen".

"Vom Kampf gegen die Kapp-Putschisten geht es über Proteste gegen die NPD in den 80er Jahren ins Heute und zwischendrin um Opfer rechter Gewalt wie denen des NSU oder in Hanau. Zu viel gewollt? Nicht unbedingt. Zwar wirkt das Material, das Rittberger auch in Gesprächen gesammelt hat, vielstimmig, es hat aber doch einen deutlich erkennbaren Kern. Und der ist, dass die Gewalt von rechts den entsprechenden Widerstand auf den Plan ruft“, schreibt Jakob Hayner von der Jungen Welt (8.9.2020).

 

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