Weg mit den Reifröcken

von Grete Götze

Frankfurt am Main, 12. September 2020. Angesichts des Schwerpunkts "Antisemitismus" der neuen Spielzeit überrascht es, dass das Schauspiel Frankfurt mit der Liebesverwechslungskomödie "Wie es euch gefällt" seine Spielzeit eröffnet, auch wenn die Inszenierung eigentlich für die vergangene Saison geplant war. Nur 160 statt 680 Zuschauer nehmen im Großen Saal Platz, die Schauspieler halten Abstand, und die Stückfassung heißt bedeutungsschwanger "The Corona Cut". Aus 21 Rollen wurden acht, aus fünf Akten 17 Szenen, etwa die Worte des bösen Bruders der Hauptfigur Orlando sind ersatzlos gestrichen.

Das Spiel beginnt vor einem schweren Palastvorhang, vierhundert Jahre zurück, wir befinden uns am Hofe des Herzogs, der von seinem jüngeren Bruder vertrieben wurde und nun im Wald lebt. Der junge Orlando, ebenfalls betrogen von seinem Bruder, wirkt im Spiel von Isaak Dentler zunächst weniger edel als wütend. Sit-Ups auf einer Schubkarre übend, schiebt er sich auf die Bühne.

Jugendliche Zuversicht

Rosalinde, die Tochter des verbannten Herzogs, macht derweil im Reifrock Ballettübungen mit ihrer engsten Vertrauten Celia, die alsbald aus Solidarität mit ihr in den Ardenner Wald flüchten wird, Rosalinde als Knabe verkleidet. Die beiden strahlen jugendliche Zuversicht aus, rauchen Zigaretten miteinander, haben das Leben noch vor sich. Sarah Grunert hat diese aufrechte Zuversicht schon als Juliet in Marius von Mayenburgs Inszenierung von "Romeo und Julia" gezeigt. Die Österreicherin Agnes Kammerer, neu im Ensemble, schenkt ihr dafür als Freundin das richtige Umfeld. Immer wieder wird Grunert kurz aus dem Bühnengeschehen herausstrahlen.

Wieeseuchgef2 560 ThomasAurin uGroße Bühne für zerplatzende Träume in "Wie es euch gefällt" am Schauspiel Frankfurt © Thomas Aurin

Doch als sich der Vorhang hebt, ist schon bald klar, wohin David Böschs Inszenierung zielt. Der Ardenner Wald sieht hier nicht wie ein utopischer Ort zum Träumen aus. Auf der riesigen Bühne sind lediglich fünf Stühle, hinten auf der Wand steht in nachlässiger Schrift mit riesigen Lettern "Wald" geschmiert, das muss reichen. Er ist mit den Schauspielern offenbar irgendwie im Heute angekommen.

Im Kreis gedreht

Der Ringkampf zwischen Charles und Orlando wird als alberne Wrestling-Partie mit mexikanischen Masken abgetan, Charles (André Meyer) brüllt anschließend nur kurz: "I'll be back". Celia und Rosalinde haben ihre Reifröcke abgestreift und erreichen in gemütlicher Kleidung und mit Backpacker-Rucksack den Wald. Celia stellt ein Zelt auf. Die Fiktion wird durchbrochen, in dem der Musiker auf der Bühne wiederholt gefragt wird, wer er denn sei (Antwort: "Der Musiker"), Orlando erhält den Titel "Night Hero", und Rosalinde sinniert darüber, dass Verliebtsein durch seine Machtlosigkeit vergleichbar sei mit Dönerfleisch, dass sich "in einer fettigen Imbissbude immer im Kreis dreht".

 Wieeseuchgef3 560 ThomasAurin uWrestling statt Liebesspiele © Thomas Aurin

Isaak Dentler und Sarah Grunert gelingt es in dieser unterspannten Atmosphäre trotzdem bisweilen, als Verliebte authentische Szenen über das zerbrechliche Ding, das die Liebe ist, zu erzeugen, auch mit Kammerer gibt es wahrhaftige Momente, in denen die Freundinnen darüber verhandeln, was Beziehung heute sein soll. Der bei Shakespeare allemal spürbare Gegensatz von höfischem und ländlichem Leben spielt in dieser Inszenierung keine Rolle. Auch die vielen Wortgewandtheiten und Nebenstränge fallen weg. In den Blick genommen werden überkommene Männer- und Frauenbilder, die scheinbar perfekte Liebe.

All you need is love?

In diesem Zusammenhang werden allerlei Lieder kurz angestimmt, "All you need is love" von den Beatles, "Back for good" von Take That, Sarah Grunert singt auch zähneputzend und gurgelnd James Browns "This is a men’s world". Doch weder der Musiker Karsten Riedel noch sie erhalten die Zeit, wirklich etwas entstehen zu lassen aus der Atmosphäre, welche die Musik erzeugt. Auf Klischees, von denen Geschlechterrollen und Liebesbeziehungen immer noch geprägt sind, hat hier niemand Lust. Selbstredend, dass dieser Abend nicht wie bei Shakespeare mit der Hochzeit vierer Paare endet, sondern mit einem Appell an die Wahlfreiheit. Aber muss es im Heute wirklich so unterspannt zugehen? Dürfen die Utopien unserer Generation keine großen Bilder mehr malen? Das wäre schade.

 

Wie es euch gefällt
von William Shakespeare
Deutsch von Jürgen Gosch und Angela Schanelec
Regie: David Bösch, Bühne: Patrick Bannwart, Mitarbeit Bühne: Larissa Kramarek, Kostüme: Moana Stemberger, Musik: Karsten Riedel, Dramaturgie: Alexander Leiffheidt.
Mit: Peter Schröder, Karsten Riedel, Sebastian Reiß, André Meyer, Isaak Dentler, Michael Schütz, Sarah Grunert, Agnes Kammerer, Altine Emini.
Premiere am 11. September 2020
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.schauspielfrankfurt.de

 

Kritikenrundschau

Eine Inszenierung "von Reiz und einer eigenartigen Flüchtigkeit, als würden Text und Personal in der Regie von David Bösch nur so eben über die Bühne geweht", lobt Judith von Sternberg in der Frankfurter Rundschau (14.9.2020). "Kein komplizierter Abend, aber von Zärtlichkeit für die Figuren geprägt." Schade findet die Rezensentin dagegen das Wegfallen "vielsagende(r) Akteure wie Oliver (Orlandos böser, im Wald aber ebenfalls verwandelter Bruder)". Dadurch fehle "am Ende für manches Töpfchen das Deckelchen".

"Wie es euch gefällt" gehört nicht zu den feinsinnig poetischen Shakespeare-Inszenierungen, die David Bösch auch schon verantwortet hat, so Bettina Boyens in der Frankfurter Neuen Presse (14.9.2020). "Zu klein gedacht, zu unterspannt, zu reduziert auf Geschlechterklischees und Beatles-Medleys" verliere sich diese politische Komödie in amourösem Klein-Klein. Immrhin spiele sich Neuzugang Agnes Kammerer mit klugem Witz und frischem Ausdruck als eifersüchtige Celia ganz vorn an die Rampe.

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