Rufer im Schamlippen-Wald

von Simone Kaempf

Berlin, 19. September 2020. Die Untersuchungsliege wird nach vorne geschoben, endlich ist auch Johanna Freiburg dran. In einen Glitzer-Morgen-Mantel gehüllt liegt sie da, mit gespreizten Schenkeln, weniger lasziv als mehr Patientin, die dann recht selbsterklärend fragt: "Ist das jetzt mein erster Auftritt als menopausale Frau?" Ist es. She She Pop bleiben auch in ihrem neuen Abend sich selber treu, nehmen biographische Bruchstücke als Ausgangsmaterial. In diesem Stück ihr eigenes Älterwerden.

Das Leben um die 50

"Dieses Jahr werden die Mitglieder von She She Pop alle um die 50 Jahre alt sein", heißt es im Programmzettel. Ein Alter, in dem plötzlich etwas mit den Körpern passiert, was ganz neu ist. Wie im Selbsterfahrungskurs als quasi frisch Pubertierende sitzen nun vier der She She Pop-Mitglieder (bei der Premiere Johanna Freiburg, Berit Stumpf, Mieke Matzke, Sebastian Bark) halbnackt auf der Bühne, betrachten mit Spiegeln ihre Geschlechtsteile – der Zeitpunkt ist reif, sich mal wieder gründlich den eigenen Körper anzuschauen, das eröffnet sich hier von Anfang an und hat etwas hinreißend Intimes jenseits jeder Peinlichkeit.

Hexploitation 1 560 DorotheaTuch uForschungen zur Menopause: She She Pop zeigen "Hexploitation" im HAU2 © Dorothea Tuch

Als Erste lässt Mieke Matzke die Hüllen fallen. In großer Divenpose auf einer kleinen Showbühne im Bühnenhintergrund, schonungslos den ironischen Urteilen und Kommentaren der Mitspieler ausgesetzt. Sebastian Bark hat sich erst noch ein Geschenkband wie ein Feigenblatt vorgebunden, aber auch das muss runter. Alles soll sichtbar sein. Es geht ums dünner und dicker werden, um Altersflecken, Stirnfalten, Bauchfett oder Menstruationsblut. Eine selbstironische körperliche Bestandsaufnahme legen die Performer*innen vor, die sich am Ende in eine großartige Pop-Show verwandelt.

Ihre eigenen Körper sind der Ausgangspunkt für ein diskursives Geflecht aus Zuschreibungen, Ängsten und Filmbildern, die She She Pop nach und nach ausbreiten und daraufhin befragen, wie sie eigentlich zustande kamen – und wie man sich von Schreckensbildern befreit, zumal, wenn man selber langsam betroffen ist.

Frei nach Hollywood

"Hexploitation" ist der Abend benannt, frei nach dem Film-Genre der Hagsploitation, das gealterte weibliche Hollywoodstars als besonders bösartigen Menschenschlag zeigt, im schlimmsten Fall als Hauptfiguren eines Horrorfilms. Solche Filmszenen werden im Laufe des Abends zitiert, aber auch Popsongs, Gedichte, Quellen, in denen es um die Angst geht, mit der äußerlichen auch auf eine innere Hässlichkeit reduziert zu sein. Erklärungen dafür versucht der Abend zu liefern, Mieke Matzke hebt mehrmals an, um mit einem Theorieaufsatz über den Körper im Frühkapitalismus Muster zu beschreiben. Dabei greift sie schon mal zum Strickzeug und sucht nach der Lesebrille, solche Witze über Älterwerden sind erlaubt.

Hexploitation 2 560 DorotheaTuch uZwischen Genital und Ritual: Johanna Freiburg auf der Untersuchungsliege, im Hintergrund: Berit Stumpf, Mieke Matzke und Sebastian Bark © Dorothea Tuch

Aber stärker sind die eigentlichen Spielszenen, wenn etwa nach und nach verschiedene Trick-, Zauber- und Hexenkünste durchprobiert werden. Sebastian Bark bräut wie in einer Hexenküche ein Gemisch aus frischem Menstruationsblut, dem einst besondere Kräfte zugeschrieben wurden. Derweil Berit Stumpf als Schlangenbeschwörerin auf der Blockflöte die Schamlippen einer Mitspielerin anspielt, um das Blut wieder zum Fließen zu bringen. Dann befragt Bark seine Mitspielerinnen wie vor einem Hexentribunal nach ihren sexuellen Vorlieben, oder ihrer Fortpflanzung und ob es dabei mit rechten Dingen zuging. Die Ehrlichkeit ihrer Antworten schafft Fallhöhe und unterspielt in bester diskursiver Performance-Manier alle Drastik des körperlichen Verfalls.

Tanz der Geschlechtsteile

Die Horrorfilm-Ästhetik macht sich She She Pop jedoch auch zunutze, um die verschiedenen Ebenen Horror, Körperbilder und Selbsterfahrung zu verbinden. In einer der schönsten Szenen werden einzelne gefilmte Körperteile auf der Videoleinwand verfremdet zusammengesetzt. So wird ein Kopf zum Unterleib oder krabbelt Sebastian Bark wie bei einer Geburt aus einer Scham heraus. Es sind herrlich selbstironische Geschlechter-Bilder, eine filmische Transformation, die austeilt und ironisiert in alle Richtungen.

Hexploitation 3 560 DorotheaTuch uDie Kostüme für "Hexploitation" entwarf Lea Søvsø © DorotheaTuch

Eine handfeste, lupenreine Erklärung für die Herkunft all dieser tiefsitzenden Ängste vor der älter werdenden Frau liefert der Abend auch nicht, sondern zielt mitten in die düstere Irrationalität. Und gegen die hilft nur der Aufstand: "Denen, die uns beherrschen wollen, sagen wir den Kampf an", das ist die Botschaft, die einem Mieke Matzke im ruhigen Märchenerzählerton vorträgt.

Im furiosen Finale entsteht ein richtig düsterer Schamlippen-Wald ins Bühnenrund projiziert, mit dräuender Musik unterlegt, ein Anti-Porno-Bildergewitter aus Körperteilen und popmusikalischer Pathosformel. Zu Lana del Reys Will you still love me when I'm no longer young and beautiful? erheben sich die vier Performer*innen, stehen einfach aufrecht da, eine kleine Geste, die aber großen kämpferischen Trotz zeigt. Vierzig Zuschauer können den Abend im Moment im Berliner HAU sehen, von ihnen umso größerer Jubel.

 

Hexploitation
von She She Pop
Von und mit: Sebastian Bark, Johanna Freiburg, Fanni Halmburger, Lisa Lucassen, Mieke Matzke, Ilia Papatheodorou, Berit Stumpf. Musik: Santiago Blaum, Video: Benjamin Krieg, Bühne: Sandra Fox, Kostüme: Lea Søvsø, Sounddesign: Manuel Horstmann, Embedded Software Ingenieur – Kamerasteuerung: Grzegorz Zajac, Produktionsleitung und Mitarbeit Dramaturgie: Valeria Germain.
Premiere am 19. September am HAU Berlin
Dauer: 1 Stunden 15 Minuten, keine Pause

www.hebbel-am-ufer.de

 

Kritikenrundschau

Ein Körper sei eben nie nur ein Körper, am wenigsten ein weiblicher, "weshalb der eigentliche Hauptparcours von 'Hexploitation' darin besteht, sich durch das Geflecht männlich dominierter Fremderzählungen, Mythen und Manipulationen vorzuarbeiten, so Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (21.9.2020). Der Abend überrasche durch seine gänzlich schamfreie Radikalität. "Inhaltlich bleibt es eindimensional. Doch auch ein so abgerissener She-She-Pop-Abend gehört noch zu den sehenswertesten der Stadt."

Im Inforadio (21.9.2020) findet Barbara Behrendt: "Nichts an diesem Abend ist verkrampft oder ausgestellt". Der eigene Körper sei wie immer nur der Ausgangspunkt für einen gesellschaftlichen Diskurs. "Hexploitation" gleiche einer höchst selbstironischen Mischung aus Horrorfilm und Hexenküche. Verschiedene Live-Videobilder verschmelzen auf der Leinwand.

Dass Schauspielerinnen nur der Wahnsinn bleibe, sind sie erst einmal in die Wechseljahre gekommen, ist für She She Pop ein Symptom des Narrativs von der "pathologisierten menopausalen Frau", so André Mumot in Fazit auf Deutschlandfunk Kultur (19.9.2020). Dabei erinnere "Hexplotation" auf verblüffende Weise an Florentina Holzingers ebenfalls mit Hexenmotiven gespickten feministischen Selbstermächtigungsabend "Tanz", sei aber, wie immer bei She She Pop, sehr viel diskursiver. In einer Art Labor-Bühnensetting widmen sie sich dem "eigenen Verfallsprozess, ehrlich, selbstironisch und ohne Scham". Am Ende sei die Wirkung "elektrisierend, das Publikum beglückt, gestärkt, verhext".

 

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