Aus drei mach eins

von Thomas Rothschild

30. September 2020. Bis vor kurzem konnte man im Stuttgarter Raum – in der Stuttgarter Zeitung, den Stuttgarter Nachrichten und der Esslinger Zeitung – jeweils drei kompetente Rezensionen von Stuttgarter Premieren lesen. Das hat sich geändert. "Der Besuch der alten Dame", der am 26. September Premiere hatte, wurde von einer Kollegin besucht, deren Kritik in allen drei genannten Zeitungen, die eine lange und ehrenwerte Geschichte haben, veröffentlicht wurde. Das ist das Ende der journalistischen Vielfalt, des kulturellen Diskurses, der Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Meinungen. Das kann einem Theater nicht egal sein.

Diese Entwicklung war vorhersehbar. Seit einigen Jahren gewähren die Medien der Kultur im Allgemeinen und der Kritik im Besonderen immer weniger Raum. An ihre Stelle treten Homestories und Dienstleistungsangebote, die traditionell dem Boulevard vorbehalten waren. Fusionen – im Südwesten Deutschlands der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Nachrichten sowie weiterer Zeitungen im Umfeld, schon davor erst der zweiten Programme, dann der ganzen Sender des Süddeutschen Rundfunks und des Südwestfunks – tun ein Übriges. Bis vor ein paar Jahren ergänzte die von Christian Marquart vorzüglich redigierte Zeitschrift der Kulturgemeinschaft, der Stuttgarter Besucherorganisation in der Tradition der Volksbühnen, mit ihren ausführlichen Besprechungen und Essays die Tageskritik. Sie wurde de facto eingestellt. Aber es gab gegen all dies kaum Widerstand. Resignation und Opportunismus, auch Selbstbetrug ließen die Betroffenen – die Theater und andere kulturproduzierende Einrichtungen – ebenso wie die Beteiligten – die Redakteure und Medienmacher, die hofften, ihre Position durch Wegducken retten zu können – schweigen.

RalfRoletschek 560 BYSA30Gedruckter Pluralismus © Ralf Roletschek CC BY-SA 3.0

Wer nicht nur von der Bühne herab Debatten auslösen, sondern sie auch in den Medien geführt sehen will, muss sich dazu äußern. Ansonsten degeneriert das Staatstheater zu einer Provinzbühne, in deren Umkreis nur eine Zeitung existiert. In Mannheim ergänzten sich noch die Rezensionen des Mannheimer Morgens, der Rhein-Neckar-Zeitung und der Rheinpfalz. Ist Burkhard C. Kosminski, der Intendant, der vor zwei Jahren von Mannheim nach Stuttgart übersiedelt ist, bereit, es billiger zu geben? Will er es hinnehmen, dass er in der Landeshauptstadt auf eine publizistische Verödung trifft, die die Verhältnisse im Rhein-Neckar-Gebiet als Eldorado erscheinen lassen? Damit gliche er einem Theaterpublikum, das sich mit einem Drittel des Ensembles bescheidet. Die Platzausnutzung im Zuschauerraum ist ja, coronabedingt, schon auf ein Drittel gesunken. Dieser traurige Zustand wird beendet sein, sobald man die Ansteckungsgefahr im Griff hat. Die Reduzierung der Kritik wird bleiben. In Stuttgart und anderswo.

Höchste Zeit

Am Württembergischen Staatstheater hat man sich recht intensiv und vernehmlich den Kopf darüber zerbrochen, wie die Zuschauerzahl in Übereinstimmung mit den nötigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie – Stichwort "Schachbrettmuster" – erhöht werden könnte. Für die Erhaltung kritischer Vielfalt sollte nicht weniger Energie aufgewandt werden. Und wenn nun jemand argwöhnt, da spräche ein Kritiker in eigener Sache: Ja, das tut er. Wie Theaterleute in eigener Sache sprechen, wenn sie gegen die Unterfinanzierung oder gar die Schließung ihrer Häuser protestieren. Beides jedoch, die Erhaltung der Theater und die Erhaltung der Kritik, ist in Wahrheit die gemeinsame Sache von Theater und Öffentlichkeit. Wer die eine preisgibt, gefährdet auch die andere. Hoffentlich ist es nicht schon zu spät, das zu begreifen und danach zu handeln.

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Kommentare  
Stand der Kritik: Absolut
Dem kann ich – aus Sicht eines ehemaligen Kritikers und nun vor allem aus der Sicht eines Theaterschaffenden – uneingeschränkt zustimmen. Eine "richtige" Kritik (also keinen reinen Vorbericht oder eine 800-Zeichen-Kritik, in der nur kurz angerissen wird, worum es geht und dann Daumen hoch oder runter in Form von drei Worten gemacht wird) zu bekommen wird leider auch in Wien immer schwieriger, besonders für Projekte der Freien Szene. Das Schlimme ist ja auch, dass das eine Kettenreaktion hat. Keine Kritik (egal ob gut oder schlecht) bedeutet auch: Der Abend hat in der öffentlichen Wahrnehmung nicht stattgefunden. Das wiederum heißt: Nach der Premiere die Vorstellungen zu füllen wird umso schwieriger. Nicht, dass die Aufgabe der Kritik darin bestünde, die Ticketverkäufe zu erhöhen, aber das ist halt trotzdem auch ein wichtiger Nebeneffekt in einem für alle Seiten wichtigen "Ökosystem" aus Diskurs und Gegendiskurs, das automatisch Aufmerksamkeit schafft. Darüber hinaus möchte ich mich als Künstler auch nach der Premiere einer klug argumentierten, professionellen Meinung stellen und aussetzen müssen.
Stand der Kritik: Krise der Öffentlichkeit
Was Herr Rothschild hier angeprochen hat, ist ausgesprochen wichtig – und richtig. Und was hier beschrieben wird, ist nur ein Ausschnitt der Misere der Theaterkritik. Nehmen wir beispielsweise die Situation der Schreibenden. Die meisten arbeiten frei (was mit allerlei KOnformitätsdruck einhergeht; man darf's sich ja mit niemanden verscherzen), die Honorare gehen – im Gegensatz zu Mieten und Preisen – immer weiter nach unten, 75 Euro für eine ganzseitige Kritik und weniger sind auch bei den Fachzeitschriften üblich. Dafür liest man im besten Falle ein Stück oder bereitet sich anderweitig vor, besucht einen Abend (mehrstündig eventuell), muss eventuell sogar noch anreisen, macht sich Notizen, schreibt danach einen Text, was auch nicht in einer Stunde getan ist, setzen sich eventuell damit noch mit der Redaktion auseinander. Damit kommt man nicht einmal bei Mindestlohn heraus. Und man ist selbständig, muss das noch selbst versteuern und sich selbst versichern. Und das wird mehr, zur Zeit werden Redakteure allerorten entlassen – wie bei der Süddeutschen Zeitung –, Coronakrise hin oder her. Gleichzeitig gehen Millionen über Millionen in Digitalprojekte.

Dass der Medienmarkt in seiner gegenwärtigen Form zur Abschaffung der Vielfalt führt, lässt sich nicht nur auf dem Feld der Theaterkritik beobachten. In der politischen Berichterstattung ist das auch eine Katastrophe. Monopolisierung und Marktmacht einzelner Unternehmen spielen da mit herein, wie Herr Rothschild schreibt. Auch die innere Organisation der Medien wird immer marktkonformer, es wird präzise evaluiert, welche Bereich profitabel sind und welche nicht und dann werden die Bereiche abgestoßen, die nicht genug Klicks ziehen und keinen Profit bringen. Damit wären wir wieder bei der Theaterkritik. Die wird eher als überflüssig betrachtet und auch im progressiven Lager erblickt man darin eher ein unnötiges Überbleibsel des 19. Jahrhunderts als eine wichtige Instanz von Öffentlichkeit. Und die Theaterschaffenden, so meine eigene Erfahrung, interessieren sich dafür schon mal gar nicht, außer sie kommen selbst vor.

Es gibt aber noch einen weiteren Punkt, der damit zusammenhängt, dass die öffentliche Diskussion über Aspekte unseres gemeinsamen Lebens immer weniger gilt und damit auch die Kritik ihre Funktion verliert. In der Politik herrschen Technokratie und Autoritarismus vor, die jeweils auf der passiven Konsumentenhaltung der Bevölkerung basieren, die auch sonst gefördert wird. Statt einer Öffentlichkeit im emphatischen Sinne gibt's Twitter und ähnliche Portale zur kurzzeitigen Affektregulation. Die angesprochene »gemeinsame Sache von Theater und Öffentlichkeit« ist wirklich eine Aufgabe, denn mehr an der Öffentlichkeit als dem Theater hängt es, ob eine gemeinsame Selbstverständgung der Menschen überhaupt gelingen kann.
Stand der Kritik: Wandel des Diskurses
Stuttgart und Esslingen trifft jetzt, was fast überall schon lange Wirklichkeit ist. Die beschriebenen Vorgänge sind ja nicht neu im gesamten Land angesichts der sich immer mehr auf wenige Verlagshäuser und sogenannte Redaktionsnetzwerke konzentrierenden Presselandschaft.

Die Theater - Stadt- und Staatstheater wie freie Produktionshäuser - haben durchaus gegengesteuert in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Z.b. mit zum Teil aufwendigen Workshops zur Theaterkritik für junge Journalist*innen, der Förderung von unabhängingen, spezialisierten Online-Portalen, neuen offenen Formaten für Feedback und Kritik usw. Es gab sogar Versuche, die Printredaktionen für Kritiken zu vergüten (was die journalistische Unabhängigkeit dann wieder verbat). Es gab Wettbewerbe und Förderpreise etc.

Die Frage ist ja auch, wer liest eigentlich noch Theaterkritiken außer den Profis, über die da geschrieben oder nicht geschrieben wird und den Fördergremien und Jurys? Die Tageszeitungen schrumpfen mit ihren Auflagen insgesamt und mit diesen auch die Qualität - in allen Bereichen.

Wenn ganze Youtube-Kanäle voll von Produktbewertungen sind und jeder Onlineshop der Kundschaft Bewertungs- und Kommentarfunktionen zur Verfügung stellt, heißt das auch, dass sich unser Verständnis des öffentlichen Diskurses und wie dieser funktioniert und wo er sich manifestiert, auch im Theater wandeln muss. Auf Social Media gehe ich gar nicht ein, das ist auf jeden Fall aber mehr und komplexer als "kurzzeitige Affektregulation", wie "ein Theaterkritiker" oben schreibt.
Stand der Kritik: an Nachwuchs mangelt's nicht
Lustig ist ja, dass dieser Text von Herrn Rothschild in einem journalistischen Medium erscheint, das selbst von dieser Praxis betroffen ist. Ich denke, man ist sich bei Nachtkritik auch dessen bewusst, obwohl man dadurch ein stückweit die Exklusivität aufgibt. Ich fände es auch bestürzend, wenn in der Berliner Morgenpost, dem Tagesspiegel und der Berliner Zeitung plötzlich von ein und derselben Person eine Rezension zu einer Berliner Theaterpremiere zu lesen wäre. Aber Berlin ist gottlob von noch wesentlich mehr KritikerInnen besiedelt als vielleicht das flache Land, obwohl mir dort dergleichen auch schon untergekommen ist. In Berlin wundert man sich eher, dass der rbb für seine einzelnen Spartensender manchmal gleich drei KollegInnen auf einmal losschickt. Aber auch da wird schon zusammengelegt. Eigentlich dürfte es an qualifiziertem Nachwuchs nicht mangeln, wobei der sich dann doch mehr um die Ballungszentren des Theaters konzentrieren wird. Einerseits trägt das Theater mit den Reduzierungen der Pressekontingente selbst zu dieser unguten Entwicklung bei (das war übrigens schon vor Corona so), anderseits fahren die Zeitungen ihr Personal zurück, werden Redaktionen eines Verlages zusammengelegt und freie MitarbeiterInnen sehen dann auch zu, wo oder wie der Rubel am besten rollt. Aber schön, dass die Sache mal zur Sprache kommt. Was allerdings die Sache der „kritischer Vielfalt“ betrifft, dürfte der Zug für viele der Printmedien schon lange abgefahren sein. Ob die Zukunft wie immer im Internet liegt, wo die Honorierung ja bekanntlich meist gegen null geht, wird man sehen. Das Problem, das Kai Krösche aufwirft, ist noch mal ein ganz anderes. Die freie Szene benötigt dringend Rezensionen, allein schon um weitere öffentliche Finanzierungen abzusichern. Wenn sich alles um die paar Jobs in den Printmedien, die nur aus den Staatstheatern berichten, prügelt, fallen die Off-Theater natürlich komplett hinten runter. Aber wer bezahlt denn dauerhaft für kleine Berichte aus dem Theateroff? Hier ist man auf unterbezahlte freie BloggerInnen, die ihre knapp bemessene Zeit investieren, geradezu angewiesen.
Stand der Kritik: kein Untergang des Abendlandes
Theaterleute leben nach meiner Erfahrung in einer Blase, Kritiker, Feuilletonisten und Kulturredakteure womöglich auch, verkehren fast nur mit Kollegen und Premierenbesuchern, verwechseln dies mit dem wirklichen Leben und glauben, mit verkleideten Opernsängern, die auf der Bühne die Greuel aus der Tagesschau nachspielen, die Welt verändern zu können. Dabei gehen etwa nur 10% der Bevölkerung überhaupt regelmäßig in unsere Theater. Und dieses mündige Publikum lässt sich nach meiner Wahrnehmung nur ungern von Regisseuren über die korrekte Weltsicht belehren, viel weniger noch von Kritiker-Exegese. Ja, möglichst vielseitige, gern immer subjektive Berichterstattung über Theaterproduktionen ist schön und wichtig und findet statt- weniger werdend in Tageszeitungen, dafür bunt im Internet. Das ist nicht der Untergang des Abendlandes.
Stand der Kritik: separate Presse-Vorführungen
Nochmal lustig. Anscheinend sieht hier jeder das Thema von einer anderen Seite. Herr Rotschild meint doch, das Problem liege bei den Theatern und Printmedien, obwohl die vielfältige Theaterkritik längst ins Internet abgewandert ist. Vielleicht ist das in Stuttgart aber nicht so. Berlin ist da tatsächlich eher ein Sonderfall. Hier gibt es einfach zu viele, die von Rezensionen leben wollen. Da dieses Bedürfnis durch die schrumpfenden Printmedien nicht mehr zu befriedigen ist und man im Netz kaum Geld verdient, ist oft nur die Zweitverwertung weniger in immer mehr Medien die Folge. Jetzt könnte man darüber sinnieren, ob das moralisch okay ist und sich so ein Berufsstand selbst abschafft, oder was auch immer man davon hält. Für eine günstige Premierenkritik verzichten die Tageszeitungen vermutlich auch gerne auf die Exklusivität. Wenn ein Kritiker zu einer späteren Vorstellung geht, reicht das höchstens noch für ein Wochen- oder Monatsmagazin oder eben das eigene Blog. Hier also nochmal das Problem der immer geringer werdenden Pressekartenkontingente für Premieren. Wenn die Theater mehr Kritiken wollen (Ich glaube das übrigens gar nicht so unbedingt), dann sollten sie separate Pressevorführungen machen. Aber den großen Theatern reichen ja oft die Kritiken der Referenzmedien, wie es auf nk so schön heißt. Dass aber in Stuttgart und Umgebung sogar die Referenzmedien auf nur einen Kritiker zurückgreifen, zeigt tatsächlich, dass man sich entweder dieses Dilemmas gar nicht bewusst ist, oder es billigend in Kauf nimmt. Was die Frage betrifft, wer überhaupt Kritiken liest, wenn sowie so nur 10 % der Bevölkerung ins Theater geht, da sage ich nur, auch 10 % wollen umfassend und vielfältig informiert werden. Und dass das zunehmend im Internet passiert, kann man schon allein daran sehen, dass immer weniger Leute in der S-Bahn Zeitung lesen. Was die anderen auf ihren Smartphones oder Tabletts lesen, kann man über entsprechende Klickzahlen ja relativ leicht recherchieren. Das Problem der Theater sind nicht fehlende oder geneigte KritikerInnen, sondern nach wie vor die PR. Die Einbindung von JournalistInnen in den Probenprozess, Workshops oder gar die Förderung von Onlineportalen (außer durch die Vergabe von Pressetickets) halte ich auch für bedenklich. Vorberichterstattungen und Interviews machen ein potentielles Publikum sicher neugierig. Unabhängige Kritik sieht anders aus.
Stand der Kritik: mehr als 10 Prozent
Ich weiß aus eigener kommunikativer Erfahrung, dass es Menschen gibt, die seit kürzerer oder längerer Zeit nicht ins Theater gehen, aber aus Interesse an kultureller (Urteilskraft-)Bildung und in der Hoffnung auf ein unbestimmtes anderes Theater als das, das es nach ihrer Erfahrung - unabhängig von Corona! - aktuell gibt, nur (noch) Theaterkritiken lesen. - Hier geht die 10%-Rechnung also nicht auf!
Stand der Kritik: überschätzt
Die Bedeutung der Theaterkritik wird vollkommen überschätzt. Vor allem überschätzen Kritiker ihre Bedeutung. Kaum eine Kritik in irgendeiner Zeitung, wo nicht mal korrekt aus dem Programmheft die Namen der Spieler*innen abgeschrieben werden konnten. Von der eigenen Unfehlbarkeit überzeugt schreiben die meisten dann doch nur darüber was sie gerne gesehen hätten und nicht darüber, was es zu sehen gab. Und anstatt das Geschriebene als subjektive Meinung zu kennzeichnen wird die Kritk als allgemeingültiges Urteil präsentiert. Je weniger davon desto besser.
Stand der Kritik: zeitliche Begrenzung
Mir wäre viel Wichtiger, dass es bei den Kritikern auch eine zeitliche Begrenzung gibt, ähnlich in der Politik, Intendanzen. Vielerorts schreiben immer die Gleichen. Und auch immer das Gleiche. Hier im Forum leider auch. Sag mir wer renzensiert und ich weiß, was er schreibt: Rakow, Rothschild, Slevogt, Bock.... Langweilig.
Stand der Kritik: Rothschilds Analyse
Als (Mit-)Herausgeber + Chefredakteur eines Monatsfeuilletons, das in der Stuttgarter Region ca. 23 Jahre glückhaft erscheinen konnte, weil es mit einem kalendarischen Termin-Supplement die Mitglieder + Kunden der zeitweilig mitgliederstärksten Volksbühnenvereinigung der BRD ("Kulturgemeinschaft Stuttgart") posttarif-optimiert mit Abonnement-Infos PLUS Rezensionen aus dem aktuellen Kulturbetrieb versorgte, danke ich Th. Rothschild gleich mal für seinen anerkennenden Hinweis auf unsere gemeinsame Arbeit an diesem Blatt, dessen Redaktion mir in den frühen 1990er Jahren harsche Kritik des damaligen Chefredakteurs der "Stuttgarter Zeitung" (STZ) einbrachte: Zunächst gab der mir, aktuell Redakteur seiner Zeitung, die Zustimmung zu dieser "Nebentätigkeit", dann zog er sie wieder zurück mit dem Hinweis, diese "Kritischen Blätter für Kenner & Neugierige" seien wirklich gut gemacht und stellten folglich mit ihrer 5-stelligen Auflage eine "ernsthafte Konkurrenz" zur (damals) angesehensten Tageszeitung im Südwesten Deutschlands dar.STZ Auflage damals: ca. 170.000 plus!

Anlass für Nostalgie? Wohl eher für eine (selbst-)kritische Analyse der aktuellen, digitalen, kultur-fokussierten "Öffentlichkeit",die jene alte, printmediale Öffentlichkeit de facto abgelöst hat. Ich erkenne in Gesprächen mit "Kulturmachern" ALLER Sparten eine m.E. ziemlich leichtfertig vorgetragene Selbstzufriedenheit, wenn Museumsleute, Intendanten, Impresarios, Galeristen etc. auf ihre fast durchgängige mediale Präsenz in/auf/per Blogs, Homepages, Facebook, Twitter +, interaktive "Events", Newsletters hinweisen und damit begründen, dass sie der lamentable Niedergang gedruckter "Qualitätsmedien" deshalb sonstwo vorbeighehe ...
Die Pointe? Dort, bei den Institutionen fragt FAST NIEMAND nach Klick-Raten, Feedback-Leistungsprofilen etc.; es scheint zu genügen, wenn man in der Kulisse der Social Media vertreten ist und "mitmacht", wie zielgruppenspezifisch + mediengerecht das auch immer ausfällt. Andererseits - für Profis unter den neuen PR- und Debattenprofis im Kulturbetrieb fehlt es in der Regel an Budgets und strategisch definierten Stellenplänen.
Stand der Kritik: Arroganz
„Degeneriert zu einer Provinzbühne, in deren Umkreis nur eine Zeitung existiert“.
Das wäre natürlich das Schlimmste, das einem Theater passieren kann.
Danke, Herr Rothschild. Das ist eine erhellende Einsicht in Ihre Wahrnehmung und mutmaßlich Ihrer Definition von „Provinz“, der Wichtigkeit Ihrer eigenen Person sowie des Kritikers an sich.
Die „Provinz“, wie das hier arrogant genannt wird, macht den weitaus größten Teil von Theaterschaffenden und Besuchern aus.
Macht ja nix, so lange in Berlin oder München gespielt wird, oder?
Stand der Kritik: Teil einer Tranformation
Dass hier die Krise der Theaterkritik als genuine Krise verstanden wird, und nicht als eher unbedeutender Teil einer viel größeren Transformation, ist symptomatisch. In diesem Thread, und auch im Text, klingt es, als trage die Theaterkritik das Leid der Welt udn als hätte das irgendwas mit Theater zu tun. Look around you, Leute.
Stand der Kritik: Antwort des Autors
Richtig, dass die Theaterkritik in Tageszeitungen immer weniger wird, ist nicht der Untergang des Abendlandes, und dass ihre Krise Teil einer viel größeren Transformation ist, stimmt auch. Wenn aber alles mit einem Schulterzucken hingenommen werden soll, was nicht der Untergang des Abendlandes ist - auch ohne Alkohol und ohne Fußball geht das Abendland nicht unter -, bleibt nur noch Loriots Mops. Sollen wir uns darauf beschränken? Das ist möglich, aber dann erübrigen sich 99 Prozent der öffentlichen Debatten - nicht nur auf nachtkritik.de. Der Einwand erinnert mich an die habituelle Rede von den "Nebenwidersprüchen". Zu Recht wurde von jenen, die sie betrafen, darauf hingewiesen, dass die Hauptwidersprüche - die größeren Transformationen - nicht gelöst bzw. gemildert werden, indem man die Nebenwidersprüche ignoriert.
Stand der Kritik: Aus drei mach eins
Sehr geehrter Herr Rothschild,
die Situation ist viel schlimmer. Derselbe Text, der in den zwei Stuttgarter Zeitungen und der Esslinger Zeitung erschienen ist, ist auch in der Süddeutschen Zeitung gedruckt.
Über die Kandidatenvorstellung der Stuttgarter OB-Wahlen letzte hat Jan Sellner geschrieben, Lokalchef der Stuttgarter Nachrichten. Sein Text erschien in den Zeitungen des Stuttgarter Verlagshauses und allen Partnerzeitungen. Dazu aber auch im Mantel der Südwestpresse, Ulm, und in der Badischen Zeitung in Karlsruhe.
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