Micky will die Macht

von Shirin Sojitrawalla

Frankfurt, 3. Oktober 2020. Dieser Hendrik Höfgen ist weniger eine elegante Teufelsgestalt als eine Micky-Mephisto-Maus und als solche ein beschwingtes Rädchen im Theaterbetrieb der Dreißigerjahre. Mit Mephistopheles-Schwellkopf à la Gründgens und vierfingrig weißen Patschhändchen hängt er am Ende trotzdem hilflos wie eine Marionette in den Seilen. Kein schlechtes Bild, doch bis es soweit ist (nach rund 90 Minuten), spielt ihn Christoph Pütthoff als ausdauernden Springinsfeld mit totalem Willen zur Schauspielmacht.

Vorbild Gustaf Gründgens

Klaus Mann hat mit Höfgen bekanntermaßen seinen Kurzzeitschwager Gustaf Gründgens karikiert, der 1926 Erika Mann heiratete und es unter den Nazis bis zum Intendanten und Staatsschauspieler brachte. Klaus Mann hat Wert darauf gelegt, in seinem 1936 erschienenen Roman keine Porträts, sondern Typen erschaffen zu haben. Solche sind eigentlich für Claudia Bauer und ihren Regie-Manierismus ein gefundenes Fressen. Mit Vorliebe verzerrt sie das Geschehen, überspitzt heftig, zieht Szenen und Charaktere ins Comichafte, Abstrakte, Künstliche. Doch in ihrem Frankfurter "Mephisto" führt die Überzeichnung der ohnehin überzeichneten Romanpersonen zu brutal eindimensionalen Bühnenfiguren. Oftmals sorgen nur Musik und Licht für Differenzierung.

3229 mephisto 8950 Puethoff Tumba 600 Arno Declair uDer Schauspieler will hoch hinaus: Christoph Pütthoff als Höfgen mit Mark Tumba als Geliebte © Arno Declair

Ein altmodisch geraffter Samtvorhang trennt einen kleinen Teil der Bühne als Spielfläche ab, die als Kantine und Hinterbühne fungiert. Der Vorhang dient zudem als Projektionsfläche für Live-Videos, die das angebliche Geschehen auf der Bühne wiedergeben oder ziemlich oft Höfgen begleiten. Ansonsten stehen bloß ein paar Stühle herum.

Corona-Unterspannung?

Zu Anfang erzählen die Schauspieler*innen den Prolog des Romans, also vom Ball des Ministerpräsidenten, in verteilten Rollen, bevor sie in ihre jeweiligen Rollen schlüpfen: Melanie Straub kapriziert sich etwa als hübsch eckige Barbara (Erika Mann), Anna Kubin als ohne Punkt und Komma redende Schauspielerin Dora Martin, und Mark Tumba als hysterisch langbeinige Geliebte Höfgens. So weit, so schlüssig. Bloß: Es kommt irgendwie kaum eine Spannung zustande. Geplärre, Gezeter, Gegreine, nicht zündende Pointen, verpuffende Energie und satirisch Schwerfälliges.

Ist das die berühmte coronabedingte Unterspannung? Dagegen spricht, dass es andernorts schon funkt. Liegt es am Zugriff? Unwahrscheinlich, denn Claudia Bauer zieht erprobte und für gut befundene Register. Doch diesmal verharren viele Szenen enervierend uninteressant. Vielleicht stimmt die Chemie zwischen Ensemble und Regisseurin nicht? Oder mit mir stimmt was nicht?

3234 mephisto 9365 Puethoff und Ensemble 600 Arno Declair uChristoph Pütthoff vor dem mehrgeschossigen Backstage-Haus, das Bühnenbildner Andreas Auerbach entwarf © Arno Declair

Nach eineinhalb Stunden Spieldauer greift Hitler nach der Macht und der Abend erwacht. Vanessa Rust steckt das Ensemble in Mephisto-Fratzen-Kostüme und die Bühne dreht sich zu einem der für Andreas Auerbach typischen dreigeschossigen Backstage-Häuser. Plötzlich ist Spannung da. Höfgen triumphiert als Mephisto, und Lotte Lindenthal und ihr Mann, der Ministerpräsident, gemeint sind Emmy und Hermann Göring, geben das gespenstische Herrscherpaar. Dass sie so wirken liegt weniger an Anna Kubin und Sebastian Kuschmann als an ihren aberwitzigen Kostümen und dem Spiel mit Voice-over. Er ist ein roher Fleischklumpen mit rotem Teufelsgesicht, sie blonde Theaterschranze mit Helium-Stimme. Und während sich vorhin alle in Mephisto verwandelten, schalten sich jetzt alle zu Lotte-Lookalikes gleich. Starke Momente an einem insgesamt zerfasert wirkenden Abend.

Im "linksversifften" Theatermilieu

Auf der Bildebene richtet Bauer die Geschichte überzeitlich ein, es gibt keine Nazisymbole oder sonstige historische Eindeutigkeiten. Einmal ist die Rede von einem "Smoothie" und mehrmals vom "linksversifften" Theatermilieu. Die letzten Worte gehören dann nicht wie im Roman Hendrik Höfgen, sondern dem Gottfried-Benn-Verschnitt Benjamin Pelz und seiner selbst erklärten Liebe zum Nationalsozialismus. Dagegen wirkt Muttersöhnchen Höfgen plötzlich wie ein verheulter, verspielter kleiner Junge. Und so soll er wohl auch wirken.

3236 mephisto 9505 600 Puethoff Kuschmann hinten Sandmeyer Arno Declair uAm Schädel: Christoph Pütthoff und Sebastian Kuschmann, hinten Fridolin Sandmeyer © Arno Declair

Am Ende liegt ein riesiger glänzender Totenschädel auf der Bühne, der einerseits stellvertretend für Höfgens Hamlet-Auftritt steht, andererseits auch an Damien Hirst und seine millionenschwere Skulptur gemahnt. Womöglich ein Sinnbild für den Größenwahnsinn und Opportunismus des Kulturbetriebs. Hirsts Schädel als Micky Maus der bildenden Kunst und Gustav Gründgens als Micky Maus des good old Sprechtheaters? Richtig schlau werde ich aus dem Abend nicht; doch je länger ich darüber nachdenke, desto interessanter wird er.

 

Mephisto
nach Klaus Mann
Regie: Claudia Bauer, Bühne: Andreas Auerbach, Kostüme: Vanessa Rust, Musik: Peer Baierlein, Dramaturgie: Katja Herlemann, Live-Video: Benjamin Lüdtke.
Mit: Paula Hans, Anna Kubin, Sebastian Kuschmann, Katharina Linder, Christoph Pütthoff, Fridolin Sandmeyer, Melanie Straub, Mark Tumba, Andreas Vögler.
Premiere am 3. Oktober 2020
Dauer: 2 Stunden 25 Minuten, keine Pause

www.schauspielfrankfurt.de

 

Kritikenrundschau

In den fast zweieinhalb Stunden, die der Abend dauert, hangelt sich das Geschehen aus Sicht von Judith von Sternburg von der Frankfurter Rundschau (5.10.2020) "von einer bunten Szene zur nächsten". Die erste sei noch vielversprechend, der Geburtstag des Ministerpräsidenten "wird vom Ensemble als gut dosierte szenische Lesung dargeboten". Dann aber vereinzeln sich dem Eindruck der Kritikerin zufolge "Geschehen und Leistung in eine revuehafte Abfolge in aufwendigen Kostümen und Musik (Peer Baierlein)". Am Ende sieht sie den Abend an einer unerklärlichen Unverbindlichkeit und Ziellosigkeit scheitern.

"Geschichtsunterricht will Claudia Bauer nicht erteilen. Sie treibt den Stoff lieber der Gegenwart entgegen," schreibt Sandra Kegel in der FAZ (5.10.2020). "Auch wenn entsprechende Schlüsselbegriffe nicht fallen, über 'Smoothies' und 'versifftes linkes Theater' geht die Aktualisierung letztlich nicht hinaus, lassen sich in Motiven und Mentalitäten Bezüge zu heute herstellen, wenn etwa die Schauspieler in der Kantine darüber streiten, wie viel und vor allem Engagement für wen womöglich welche Konsequenzen hat. Dass die Schauspieler die meiste Zeit in schwarze Trikots gekleidet sind, verstärkt den Anspruch auf Zeitlosigkeit."Trotzdem bleibt die Intention des Abends für die Kritikerin bis zuletzt offen.

 

 

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