Der Blondinen-Quäler

von Dominique Spirgi

Basel, 27. Oktober 2020. Wenn einem zu diesen Zeiten Vorstellungsabsagen mitgeteilt werden, denkt man natürlich an Corona. Das Theater Basel hat vor gut zehn Tagen zwei Vorstellungen der Schauspiel-Eröffnungsproduktion der neuen Ära unter Benedikt von Peter wegen einer Covid-19-Erkrankung im Ensemble absagen müssen. Das Konzert Theater Bern hat vor wenigen Tagen auf Anordnung des Kantons die Schotten komplett dicht gemacht. Und am vergangenen Freitag verkündete wiederum das Theater Basel, dass die auf Samstag angesetzte Premiere von "Hitchcock im Pyjama" nicht stattfinden werde. Allerdings nicht wegen Corona, sondern weil man für diese Uraufführung noch drei weitere Tage Probenzeit benötige.

Es wäre wohl besser gewesen, die Produktion gleich ganz abzusagen. Da hätten wohl auch drei weitere Wochen Probenzeit nicht mehr gereicht, um einen Theaterabend zustande zu bekommen, der irgend so etwas wie Hand und Fuß hat. Aber da wäre das Haus wohl in den drohenden Mini-Lockdown geschlittert, der sich in der föderalistischen Schweiz gegenwärtig ausbreitet und vom Bundesrat bereits am Mittwoch möglicherweise landesweit verfügt wird.

Hitchcock Edgar Eckert 560 FotoJudithSchlosserEdgar Eckert im Bühnenbild von Aleksandra Pavlović © Judith Schlosser

"Hitchcock im Pyjama" ist die dritte Schauspielproduktion der noch jungen neuen Basler Theater-Ära. Und es ist das dritte freihändige Projekt auf dem Spielplan, womit sich das neue Schauspiel gleich mal deutlich vom literarischen Ansatz der nach München abgewanderten Vorgängercrew unter Andreas Beck abgrenzt. Das kann qualitativ vorzüglich ausfallen wie bei der Eröffnungsproduktion Metamorphosen, das kann in seiner ganzen Unfertigkeit recht vergnüglich sein, wie beim zweiten Streich Das Ende der Welt wie wir es kennen, oder aber ganz einfach scheitern.

Ab ins Bett!

Der Titel "Hitchcock im Pyjama" ist dieses Mal Programm. Zumindest was den Pyjama angeht, den alle auf der Bühne tragen: die vier Protagonisten und das gute Dutzend mit Schutzmasken versehenen Jungs, die im Verlauf des Abends aus welchem Grund auch immer zu Meerjungmännern werden.

Zu Beginn sitzen sie auf einem übergroßen ovalen Bett im Kreis um einen langhaarigen Guru (Edgar Eckert) herum, der sich, ans Publikum gerichtet, als Alfred Hitchcock vorstellt. Er sei nicht am Inhalt, sondern vor allem am Suspense interessiert, sagt er. Die Schlafanzüge und das Bett sollen suggerieren, dass man hier in die Traumwelten des großen Meisters eintauchen wird, dass hier also ein traumwandlerisches Psychogramm der Titelfigur ausgebreitet werden soll.

Hinab in die Unterwelt

Um das einigermaßen verstehen zu können, muss man im Programmzettel nachlesen, dass (Alp-)Träume in Hitchcocks Werk eine wichtige Rolle gespielt hätten. Dass der Master of Suspense ein Blondinen-Quäler gewesen sei. Und dass er hier seiner verstorbenen Muse Tippi Hedren (Elmira Bahrami) – bekannt aus seinem Horror-Klassiker "Die Vögel" – in die für sie bereitete Unterwelt nachsteigen muss. Wie einst Orpheus seiner Geliebten Eurydike in den Hades folgen musste, um als Prototyp des Männlichen irgend so etwas wie die weibliche Quelle seiner Inspiration wiederzufinden. So also ist es im Programmzettel zu lesen.

Theater Basel - Hitchcock im Pyjama - von Charlotte Sprenger und Ensemble nach Motiven von Alfred Hitchcock 2020/2021v.l.n.r: Rosa Lembeck, Egar Eckert, Statisten des Theater Basel©Judith Schlosser, e-mail: j_schlosser@bluewin.ch, Bankverbindung: ZKB, 1137-0586.405, IBAN:CH7000700113700586405, SWIFT:ZKBKCHZZ80ARegen statt Happy End © Judith Schlosser

Man muss sich große Mühe geben, auf der von Aleksandra Pavlović aufwändig eingerichteten Bühne etwas davon nachzuvollziehen. Hitchcock beginnt mit einem fahrigen Diskurs über das Wesen des Sunspense, schwafelt etwas von Frauen, die von Dächern fallen und aus dem Bild verschwinden, was von zwei Figuren mit den Namen von Hitchcocks Frau (Rosa Lembeck) beziehungsweise dem eines Charakters aus "Cocktail für eine Leiche" (Fabian Dämmich) chargierend nachgespielt wird.

Schluss mit Spielfreude

Für den Rest hat Regisseurin Charlotte Sprenger zwar symbolbeladene, mehr oder weniger aber willkürliche Szenen-Versatzstücke aneinandergereiht, in denen die Darsteller niemals Halt finden, außer wenn Bahrami als Hedren mal kurz etwas singen darf. Aus dem Bett wird in der Unterwelt, sofern sie denn eine ist, eine Art Pool, in dem es am Schluss – "Psycho" lässt grüßen – auf den nackten Hitchcock herunterregnet. An der Rampe wird chargiert, im Pool herumgewälzt. Dabei wirkt das Ensemble, das sich in den ersten beiden Produktionen so spielfreudig präsentiert hatte, so uninspiriert wie der Text, den es offenbar selber verfasst hat.

Einziger Lichtblick ist ein Vorhang, der sich wiederholt in virtuosen Volten über die Bühne schlängelt. Aber das ist dann nun doch etwas gar wenig für einen ganzen Theaterabend, wenn er auch nur eine Stunde kurz ist.

 

 

Hitchcock im Pyjama
von Charlotte Sprenger und Ensemble nach nach Motiven von Alfred Hitchcock
Regie: Charlotte Sprenger, Bühne und Kostüme: Aleksandra Pavlović, Musik: Julian Stetter, Lichtdesign: Vassilios Chassapakis, Dramaturgie: Michael Gmaj.
Mit: Elmira Bahrami, Fabian Dämmich, Edgar Eckert, Rosa Lembeck und der Statisterie des Theater Basel.
Premiere am 27. Oktober 2020
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.theater-basel.ch

 

 

Kommentare  
Hitchcock, Basel: Kritikkritik
Sehr geehrter Herr Spirgi,
ich habe die Inszenierung nicht gesehen und möchte Ihnen trotzdem etwas schreiben. Etwas, was mir bei vielen Kritiken oder zumindest einigen auffällt und was mich auch bei ihrer Kritik traurig macht. Im Theater probieren Menschen etwas aus, was manchmal klappt oder funktioniert oder wie immer das auch heißen möchte und manchmal eben leider nicht. Darüber sind meistens die Menschen, die den Versuch gewagt haben am unzufriedensten und enttäuschtesten. Dass die Premiere dieser Inszenierung verschoben wurde, weist doch schon ein klein bisschen darauf hin, dass es hier ein Bewusstsein für ein noch nicht fertig sein und ein noch arbeiten müssen gab; ein Bewusstsein, dafür dass der Versuch noch nicht gelungen ist. Wenn Sie als Kritiker das jetzt so harsch und gnadenlos abstrafen wollen, dann ist das qua ihres Kritikeramtes natürlich absolut ihr Recht und vielleicht empfinden Sie es auch als Ihre Aufgabe. Es fühlt sich mir beim Lesen so an, als hätten Sie sich wirklich sehr geärgert und ließen jetzt diesem Ärger ziemlich freiem Lauf. Das dürfen Sie natürlich. Ich als jemand, der die Inszenierung nicht gesehen hat und daran auch nicht beteiligt war (war ich wirklich nicht, sonst könnte ich das jetzt wahrscheinlich gar nicht so einfach schreiben) frage mich etwas, was ich mich bei so vielen auf diese Art geschriebenen Kritiken frage: Wozu tun Sie das eigentlich? Wo wollen Sie mit dieser Art zu schreiben, zu beschreiben, zu kritisieren eigentlich hin? Wozu schreiben Sie in dieser souverän-verächtlichen Sprache? Soll das irgendjemand helfen? Soll deswegen irgendjemand Lust und Interesse bekommen, noch ins Theater gehen? Soll daraus irgendjemand der Beteiligten etwas lernen? Wozu machen Sie das? Ich spüre doch, dass Sie wirklich Ahnung von Theater haben und ein Bewusstsein dafür, und dass Ihnen Theater etwas bedeutet. Ich finde es nur so traurig, dass Sie all das hier nur zum verächtlich-machen benutzen. Ich persönlich fände es viel interessanter, hilfreicher, wenn ein dem Theater doch eindeutig zugewandter Mensch wie Sie, diese Kompetenz dazu verwenden würde, etwas konstruktives zu tun. Als Leser würde mich interessieren, dass Sie beschreiben, was versucht wurde, und warum das vielleicht nicht funktioniert hat oder was vielleicht ein besserer Weg gewesen wäre, oder vielleicht sogar wie an welchen Stellen noch etwas besser gemacht werden könnte. Oder warum ein gescheiterter Versuch vielleicht sogar spannender ist als eine Inszenierung, die gar nichts versucht. All das wären Möglichkeiten, die irgendwohin weiterführen, die irgendwie konstruktiv wären. Aber so steht da nur "Es wäre besser gewesen, die Produktion ganz abzusagen". Das ist dann leider nur destruktiv, spricht einem gewagten Versuch einfach nur Existenzberechtigung ab. Das ist es, was mich an Ihrer Kritik und so vielen in dieser Art verfassten so traurig macht. Dass Menschen, die Theater eigentlich wertschätzen und die Kompetenz hätten, konstruktiv zu sein, einfach nur destruktiv in souverän-verächtlicher Sprache aburteilen und abwerten. Wozu wird das immer wieder gemacht? Wozu machen Sie das?
Hitchcock, Basel: im Minusbereich
Lieber Dommek,

ich bin sehr dankbar für Ihren Kommentar auf Herrn Spirgis Kritik. Es betrifft eine grundlegende Haltung von vielen Theater-Kritiken, nicht nur hier auf der Nachtkritik Plattform. Wobei man sagen muss, dass sich die Nachtkritik nun ja unter Theaterverständigen doch als einschlägige Kritik-Plattform etabliert hat. Da stellt sich mir doch die Frage nach dem Anspruch auf Differenzierung und der Wunsch nach einer Diskussion über die Intention des Kritikertums anhand dieser Kritik. Ist es denn das Ziel, gerade noch auf ein "die Nachtkritik hat den Abend ja auch maßlos zerrissen" abzusehen? Das ist doch ein sehr niedriger Anspruch. Der Informationsgehalt der Kritik von Ihnen, Herr Spirgi, liegt in einem ebensolchen Minusbereich, der wiederum selbst von der Kritik in Bezug auf die beschriebene Produktion bemängelt wird. Es ist doch völlig absurd vermeintlich "Schlechtes" (wobei man sich fragt, weshalb diese Kategorisierungen gerade in Bezug auf Kunst überhaupt angebracht werden) so schlecht zu beschreiben. Ich gehe auch nicht auf den Wochenmarkt und sage der Frau am Stand, ihre Äpfel seien gnadenlos mehlig und begründe das damit, dass ich Äpfel sowieso nicht mag und eine Apfelallergie habe. Jeder, der innerhalb des Theaterbetriebes arbeitet (und jeder interessierte Mensch überhaupt) weiß, dass auch ein Theaterabend, der nicht "gefällt" ein Lehrstück über eigene Empfindungen, Geschmack, Haltungen ist und die Diskussion darüber erst spannend ist. Wer möchte sich denn Kunst anschauen, um eine Meinung dazu zu haben. Ich empfinde das als zutiefst uninteressant. Scheitern ist ein Prozess, den alle Kunstschaffende durchlaufen und er gehört zum kreativen Leben dazu. Sie radieren da mit Ihren Worten herum, Herr Spirgi, als seien Sie gerade eben aus der preußischen Kadettenschule entlassen und Theater eine Institution zur moralischen Erziehung. Dieser von Dommek so treffend als "verächtlicher" Tonfall bezeichnete Ton in Ihrer Kritik kommt dem Niveau dessen gleich, was Sie selbst kritisieren und damit haben Sie sich irgendwie selbst neutralisiert.
Vielleicht ist die Bemerkung noch wichtig, dass ich den Abend ebenfalls nicht kenne, auch nichts über den Abend weiß, aber durchaus im Theaterbetrieb arbeite. Ich bin froh, dass die Kritik an solchen Kritiken hier einmal sehr deutlich vorgebracht wurde.
Hitchcock, Basel: Werbung machen?
#2: Wenn ich auf den Markt gehe, um Äpfel zu kaufen, dann geht es darum, dass ich etwas erwerben möchte. Ich muss nicht meine Miete davon bezahlen, dass ich dem Menschen, der mir Äpfel verkaufen will, sage, was ich von seinen Äpfeln halte. So viel nur zum dann doch sehr hinkenden Vergleich.
Aber dieser Vergleich hinkt eben auch auf verräterische Weise, denn so wie #2 ihn anwendet, wirft das die Frage auf: was soll einE KritikerIn eigentlich genau machen? Die Fresse halten, wenn ihm etwas nicht gefällt? Lügen? Jeden seiner Kritikpunkte dramaturgisch hieb- und stichfest begründen? Oder soll er nach Möglichkeit einfach nur „Werbung machen“?
Ich weiß, wie beschissen sich ein Verriss anfühlt. Ich weiß, dass man auf einen Kritiker stinksauer sein kann, weil er/sie gefühlt zu hart geurteilt oder vielleicht auch nix kapiert hat. Das ist ärgerlich, aber es gehört dazu. Da muss man nicht gleich die „preußische Kadettenschule“ rausholen und behaupten, es sei völlig uninteressant, eine Meinung zu einem Theaterabend zu haben. Tatsächlich Werden nämlich KritikerInnen genau dafür (meistens schlecht) bezahlt: dass sie eine Meinung zu einem Abend haben und diese formulieren.
Ich sehe da eine etwas beunruhigende Entwicklung in den letzten Jahren: zunehmend stellen sich Theaterschaffende hin, gebaren sich auf verschiedenste Weise progressiv, kritisch, gerne auch anklägerisch - aber Widerspruch oder gar Ablehnung wird nicht geduldet. So wird die eine Blase (die der angeblich angestaubten, literarisch geprägten „Hochkultur“, Theaterkritik inklusive) einfach nur durch eine andere ersetzt.
Also, ganz kurz gesagt: ich finde, man darf einen Abend schon so richtig schlecht finden und das als KritikerIn auch schreiben, auf die Gefahr hin, dass man damit einigen Menschen (vor allem Beteiligten, aber offenbar nicht nur) auf den Schlips tritt. Denn: genau die gleiche Freiheit, kompromisslos Kunst machen zu können, wollen wir Theaterschaffenden doch auch. Oder?
Hitchcock im Pyjama, Basel: Abgesang
#3
Es geht ja nicht darum, dass ein Abend nicht kritisiert werden soll. Im Gegenteil. Das steht nicht zur Debatte, Die Aufgabe einer Kritik ist es selbstverständlich, Kritik zu äußern. Aber es ist auch die Aufgabe einer Kritik, verständlich zu machen, WARUM man diese oder jener Haltung hat. Und dazu gehört, dass man beschreiben kann, um was es überhaupt geht. Ich konnte aus der Kritik von Herrn Spirgi kein Bild darüber entwickeln, wie dieser Abend überhaupt aussieht, worum es geht, inhaltlich, was denn versucht wurde, das dann der Meinung des Kritikers nach nicht gelang. Wenn das beschrieben werden kann, ist jede Meinung interessant, weil man etwas verhandelt. Aber einfach nur einen Abgesang auf etwas zu schreiben, das man nicht einmal darlegt, DAS ist die Art die Kritik, die ich nicht interessant finde und ich habe das Gefühl, dass sie auch nicht von jemandem geschrieben wird, der Theater-liebend ist. In Bezug darauf ist die Frage, wozu dann? von Dommek genau richtig.
Wenn mir in einer Kritik ein Abend beschrieben wird, in seinen Facetten, was da versucht, verhandelt wurde, gespielt und so weiter und das differenziert ist und dann jemand schreibt, dass das ganze ein misslungener Fehlversuch ist, dann finde ich es interessant und wichtig, weil ich mir überlegen kann a) ob ich in den Abend gehe und b) wenn ich reingehe, was die Kritikerin/ der Kritiker gemeint haben könnte. Ein einfacher Abgesang macht garnichts auf, sondern im Gegenteil eher zu und DAS ist für mich eine Form von Hochkultur. Das hat nichts damit zu tun, dass nicht kritisiert werden soll. Aber Meinungsmache ist doch gerade meist inhaltslos und deswegen ist der Inhalt um so wichtiger in einer Kritik über einen Theaterabend, finde ich.
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