Kein Anschluss unter diesem Kummer

von Sophie Diesselhorst

28. Oktober 2020. Einen besseren Erscheinungstermin als Halloween im pandemischen Herbst 2020 hätte sich "Hausen" (gedreht "vor Corona" im Sommer 2019) nicht aussuchen können: Porträtiert die achtteilige Serie über ein Hochhaus, das seine Bewohner*innen in sich festhält, doch einerseits das Leben in einer extremen Form von Lockdown; andererseits verbreitet dieses "Haunted House" eine derart gruselige Atmosphäre, dass einem das eigene Zuhause-Bleiben schaurig gemütlich wird.

Spuk im Castorf-Hochhaus

Die Produktion unter der Regie von Thomas Stuber ("In den Gängen", "Herbert") versammelt eine exzellente Theater-Schauspieler*innen-Riege. So braucht "Hausen" weder die künstliche Überforderung durch ein überkomplexes Drehbuch noch ein besonders schnelles Erzähltempo, um einen als Zuschauer*in einzusaugen wie das Haus seine Bewohner*innen. Stattdessen wird die Serie getragen von der Dringlichkeit, mit der die Schauspieler*innen ihre durchweg untot anmutenden Charaktere zu halbem Leben erwecken und mit herzzerreißenden Back-Stories ausstatten – es ist ein bisschen, als würde die Besucher*in einer Signa-Inszenierung mit Castorf-Cast ihre immersive Theatererfahrung heimlich mitfilmen.


Da sind Cleo (Lilith Stangenberg) und ihr Partner Scherbe (Daniel Sträßer), die gerade Eltern geworden sind, aber von ihren Erziehungspflichten durch schwere Entzugserscheinungen abgehalten werden. Wie viele andere Bewohner*innen des Hauses schnupfen sie eine Droge, die eine Jugendgang durch den Müllschlucker verteilt und von einem telekinetisch begabten Wesen (unter der zotteligen Verwahrlosungs-Maske anfangs kaum zu erkennen: Alexander Scheer) in den Kellerräumen erhält. Da ist die Teenager-Tochter des vietnamesischen Ladenbesitzers, die nichts als abhauen will von diesem Gruselort – allerdings ihre Ausbruchspläne an einen pädophilen Musiklehrer knüpft, der sie regelmäßig zu sich zitiert, um Nackfotos von ihr zu machen. Da sind die Nazis, die fackelschwingend und johlend durch die Gänge toben um sich für die Machtübernahme fit zu halten. Und natürlich gibt es auch die restlos Vereinsamten, einschließlich einer Frau, die so lange tot in ihrer Wohnung liegt, bis der Gestank in die Flure vorgedrungen ist. Eine kannibalische Katze und ein blutrünstiger Kampfhund komplettieren den dystopisch aufgebrezelten Sozialbau-Realismus.

Alle Leitungen tot

Die Protagonisten Jaschek (Charly Hübner) und sein Sohn Juri (Tristan Göbel) suchen einen Neustart, nachdem ihr Haus mitsamt der Frau und Mutter (als Geist: Constanze Becker) abgebrannt ist. Also hat Jaschek als Hausmeister angeheuert in diesem stets von Dunkelheit umgebenen Wolkenkratzer, in dem die Lichter in den langen Fluren unstet flackern und die Energieversorgung generell rätselhaften Schwankungen unterworfen ist. Die Heizung funktioniert schon länger nicht mehr, und auch die Telefonleitung, also die ganze Kommunikation nach außen (Internet gibt's nicht) ist gestört: Die alten Wählscheibentelefone klingeln zwar mitunter, aber die Stimmen, die durch den Hörer dringen, sind seltsam verzerrt, und wichtige AB-Nachrichten werden ohne menschliches Zutun wieder gelöscht, bevor sie abgehört werden konnten.

Bildschirmfoto 2020 10 27 um 19.15.20Charly Hübner in "Hausen" © SKY

Während Jaschek in seinem finsteren Hausmeister-Büro sitzt wie der Käpt'n auf dem Geisterschiff, versucht Juri dem Haus neue Freunde abzutrotzen. Je unterschiedlicher ihre Erfahrungen, desto stärker geraten sie aneinander und bringen schließlich das ganze Gebäude aus dem Gleichgewicht. Was die flackernden Lichter und der merkwürdige schwarze Schleim, der aus den Wänden quillt, schon angedeutet haben, wird zur Gewissheit: Dieses Haus ist kein Ding, sondern ein Organismus. Ein wütendes Monster, das wie ein umgekehrter Parasit vom Unglück seiner Bewohner*innen zehrt. "Etwas sitzt in den Wänden, es beobachtet uns, es will, dass es uns schlecht geht", sagt Juri.

Ein krankes Haus, ein Krankenhaus

"Hausen" spielt mit Phänomenen aus der Trickkiste des Horror-Genre, zeichnet aber seine Figuren trotz all ihrer Verrohung so scharf und vor allem so menschlich, dass die Handlung niemals vollends ins Übernatürliche abheben kann. Während sich die Katastrophe zusammenbraut, kommt man nicht umhin sich an den schrecklichen Brand 2017 im Londoner Grenfell Tower zu erinnern, bei dem 72 Menschen starben. Die Droge könnte Crystal Meth sein, der Schleim könnte Schimmel sein. Aber vor allem hallt hier natürlich auch die deutsch-deutsche Geschichte wieder, nicht nur im Drehort der Serie, dem ehemaligen Regierungs-Krankenhaus der DDR am nördlichen Stadtrand von Berlin, das einst den höchsten Funktionär*innen des Staats vorbehalten war. Jetzt "hausen" hier also die Aller-Übriggebliebensten, die man sich nur vorstellen kann.

Bildschirmfoto 2020 10 27 um 19.15.05Tristan Göbel als Juri © SKY

Sie haben den Anschluss an die globalisierte Welt komplett verloren, und sie sind überhaupt ganz aus der Zeit gefallen: Die Dialoge der Figuren legen nahe, dass "Hausen" ungefähr heute spielt. Aber es gibt weder Smartphones noch Computer. Und in den Rückblenden in seine Anfangszeit (1979) sieht das Haus schon genauso heruntergekommen aus wie 40 Jahre später. Es ist wie ein Sinnbild für die Verlierer*innen der Nachwendejahre, denen alles, selbst die guten Erinnerungen an eine bessere Vergangenheit, abhandengekommen ist: Ausgerechnet im "Hausgemeinschaftsraum", der schon lange leersteht, entfesselt das Haus-Monster seine größten und unheimlichsten Kräfte.

"Hausen" nimmt sich also Klischees vom grauen, im Plattenbau eingezwängten Osten, überhöht sie und bricht sie aber auch. Insgesamt werden die Ebenen viel zu elegant verschoben, um jemals bloß parabelhaft zu werden. Die Serie steigert sich hinein ins raffinierte Spiel mit den Realitäten, indem die Wahrnehmungen der einzelnen Charaktere immer disparater werden, alles auseinanderzufallen droht. Beim finalen Showdown zwischen Gut und Böse kann wohl keine*r der Beteiligten diese moralischen Kategorien noch sicher unterscheiden – das Serien-Publikum eingeschlossen.

Hausen
Idee und Konzept: Till Kleinert & Anna Stoeva, Buch: Till Kleinert & Anna Stoeva, Erol Yesilkaya, Alexandra Schulz, Annett Gröschner, Linus de Pauli, Thomas Stuber, Regie: Thomas Stuber, Kamera: Peter Matjasko, Schnitt: Kaya Inan, Julia Kovalenko, Szenenbild: Jenny Roesler, Kostüm: Anna Wübber, Maskenbild: Emilia Grund, Musik: Bryce Dessner, David Chalmin, Sounddesign: Kai Tebbel.
Mit: Charly Hübner, Tristan Göbel, Alexander Scheer, Lilith Stangenberg, Daniel Sträßer, Béla Gabor Lenz, Alexandra Guo, Constanze Becker, Sandra Hüller, Eva Weißenborn, Ilja Bultmann u.a.
8 Folgen à 50 Minuten, auf Sky ab 29. Oktober 2020
Eine Lago Film Produktion in Zusammenarbeit mit SKY Studios

 

 

Kommentare  
Serie Hausen: Schauspiel-Who is Who
In den acht jeweils knapp einstündigen Episoden passiert erstaunlich wenig. Während sich viele Serien in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten gegenseitig darin überboten, immer noch mehr Handlungsstränge zu verzahnen und mit einem unübersichtlichen Personal-Tableau zu verwirren, das auch einem Roman-Wälzer von Dostojewski zur Ehre gereichen würde, konzentriert sich „Hausen“ bis zum Showdown darauf, eine Mystery-Atmosphäre zu entwickeln und schickt die Hauptfigur, den Hausmeister-Sohn Juri (Tristan Göbel), durch ein Albtraum-Tableau.

Bemerkenswert macht „Hausen“, dass sich hier ein Who is Who der deutschen Theater- und Film-Schauspiel-Szene einen Wettbewerb liefert, wer am kaputtesten auftritt.

Nur den 7. Platz erreichte Charly Hübner vom Schauspielhaus Hamburg, der in „Hausen“ gegen die Windmühlen des Spuk-Plattenbaus kämpft und dabei so zerknautscht und kaputt ist, wie man ihn aus dem Rostocker „Polizeiruf“ kennt.

Der 6. Platz geht an Karin Neuhäuser vom benachbarten Thalia Theater in einem Kurzauftritt als schrullige alte Hexe und Wahrsagerin.

Rang 5 gebührt Constanze Becker vom Berliner Ensemble, die als Zombie durch die letzten Episoden geistert.

Der 4. Platz geht an Lilith Stangenberg aus vergangenen Volksbühnen-Tagen, die als verzweifelte Mutter in prekärsten Verhältnissen nach dem Verschwinden ihres Babys so fertig und derangiert wirkt, als hätte sie gerade 14 Stunden Frank Castorf hinter sich.

Knapp vor ihr liegt auf dem 3. Platz Peter Kurth, der sich nach Engagements bei Armin Petras am Berliner Maxim Gorki Theater und am Schauspiel Stuttgart vor allem auf Kino und TV konzentriert, und sich sturzbesoffen am Küchentisch einnässt.

Über den 2. Platz darf sich Daniel Sträßer freuen, der dem Wiener Burgtheater den Rücken kehrte und sich an der Seite von Vladimir Burlakov durch den „Tatort“ aus Saarbrücken modelt. Mit strähnigen Haaren und glasigen Augen spielt er den drogensüchtigen Partner von Lilith Stangenbergs Figur.

Aber niemand kommt an Alexander Scheer vorbei: der Ex-Volksbühnen-Star und täuschend echte David Bowie-Imitator im Hamburger „Lazarus“ Musical streift als bis zur Unkenntlichkeit entstelltes Zottel-Wesen durch die Keller und Schächte des Plattenbaus.

Zwischen all den deprimierten, kaputten Gestalten darf nur eine strahlen: Sandra Hüller in einem Kurzauftritt als fürsorgliche Krankenschwester.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2021/01/19/hausen-sky-serie-kritik/
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