Nonstop-Performance

von Janis El-Bira

3. November 2020. Darf man den Vorhersagen trauen (darf man?), dann müsste heute eigentlich ein weiterer in der zuletzt langen Reihe schlechter Tage für die Theater anbrechen. Denn mit dem absehbaren Ende der Präsidentschaft Donald Trumps verlieren Regisseur*innen und Dramaturg*innen jetzt auch noch ihren ziemlich besten Feind. Auf den Bühnen war Trump Witz- und Hassfigur, Symbol und Symptom und nicht zuletzt auch Distinktionsmarker für ein dem amerikanischen Ungeist sowieso verständnislos gegenüberstehendes Kulturbürgertum. Obendrein bescherte er den Theatern auch noch ungleich weniger Arbeit als den sich rührend abstrampelnden politischen Kommentator*innen: Orangenes Haar, roter Schlips – fertig war das Trump-Gesicht. Kurzum, ein Geschenk für Macher*innen und Publikum, das so billig lange nicht mehr zu haben sein wird.

Richard III., Macbeth, Julius Caesar

Die Bühnenfigur Trump zeigte aber auch exemplarisch die Ohnmacht eines politischen Theaters, das Abziehbilder des Bösen produziert, anstatt dem schillernden Rätsel seines liebsten Gegners auf den Grund zu gehen. Vielleicht hat das auch mit Angst zu tun. Denn in Trump war dem Theater ein Gegenüber erwachsen, den es nicht allein politisch und aufgrund seiner tiefen Verachtung für die Kunst zu fürchten galt. Vielmehr war er dem Theater selbst in dessen eigenen Mitteln haushoch überlegen. "For while I loathe Trump personally and politically", schrieb der amerikanische Kabarettist und Schauspieler Mike Daisey schon 2016, "I have to be honest and admit that I admire his work deeply. Whether I would like to admit it or not, our jobs are cousins to one another."

NAC Kolumne Janis El Bira V3Dabei war und ist Trump selbst alles andere als ein guter Schauspieler. Wer einmal etwa seine absurden Auftritte im Rahmen religiös-evangelikaler Veranstaltungen gesehen hat, erlebte einen Laien, der das Theater der gefalteten Hände und ergriffen geschlossenen Augen äußerst ungelenk mitspielte. In ihm die Wiederkehr eines Shakespeare-Tyrannen zu sehen, wie es selbst Stephen Greenblatt – ohne Trumps Namen zu nennen – in einem Buch versucht hat, scheint deshalb nur bedingt weiterzuhelfen. Zwar zeigen sich in Trump, sucht man nur danach, zahlreiche Züge eines Richard III., Macbeth oder Julius Caesar. Doch in allem, was er tut, steckt eben doch auch jener Typ, der 2007 bei einem Wrestling-Match seinem Gegner im Ring die Haare rasierte und dabei mehr echte Freude ausstrahlte, als man sie während seiner Präsidentenjahre je erleben würde. In diesem Trash-Theater der fantastischen Oberflächenreize schien Trump ganz bei sich.

Mit schockgeweiteten Augen

"Hauptberuflicher Entertainer" sei er, attestierte jüngst auch Claudius Seidl in der FAZ. Das mag stimmen. Mehr noch als das war Trump in diesen vier harten Jahren aber vor allem er selbst. Oder treffender: eine Version seiner selbst. Wie beim professionellen Wrestling die Kämpfer*innen als "Gimmicks" auftreten, als Bühnenfiguren also, die zur sie darstellenden Person in einem ausgesprochen intrikaten Verhältnis stehen, so erschien auch die Präsidentschaft Trumps in all ihrer Surrealität oft genug wie ein Rollenspiel. Aber so wie beim Wrestling der durch Tricks zwar kontrolliert, aber eben doch real blutende Körper eine Verbindung zum Bereich des Authentischen herstellt, so machte auch Trump seine allzeit uniforme Erscheinung zum Versprechen, selbst im Gimmick des Präsidenten stets das gewählte Produkt zu bleiben. Das Ergebnis war eine Nonstop-Performance, die immer stärker und dichter wurde, je weiter sie sich vom mäßig talentierten Schauspiel der präsidialen Rolleneinfühlung entfernte.

Das Theater konnte auf eine solche Leistung nur reflexhaft mit Lächerlichmachung oder schlichter historischer Allegorie reagieren. Weil Trump einfach besser war, weil er ein ernstes Spiel betrieb und spielend Ernst machte. Vor seinen Entfesselungen von Wahn und Irrsinn stand man mit schockgeweiteten Augen, die sich so lange nicht schließen wollten, bis auch die Mundwinkel hilflos zu zucken anfingen. Man will eigentlich hoffen, dass etwas von dieser Erschütterung an den Theatern haften bleiben wird. Fast genauso sehr, wie man hoffen muss, dass sie sich auf der Bühne des Politischen so schnell nicht wiederholt.

 

Janis El-Bira ist Redakteur bei nachtkritik.de. In seiner Kolumne "Straßentheater" schreibt er über Inszeniertes jenseits der darstellenden Künste: Räume, Architektur, Öffentlichkeit, Personen – und gelegentlich auch über die Irritationen, die sie auslösen.

 

In seiner letzten Kolumne erkundete Janis El-Bira die Stadt als Beute am Beispiel des Berliner Tacheles.

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