Die Blumen des Bösen am Rhein

von Ulrike Gondorf

Bonn, 15. Oktober 2008. Felix heißt er, aber das ist grausame Ironie. Denn nicht zum Glück, sondern zum Unglück ist Wolfgang Koeppens Held geboren. Zwei schwül-warme, gewittrige Tage im Sommer 1952 genügen, um das Verhängnis auszubrüten, das der Bundestagsabgeordnete Kettenheuve in sich trägt. Bonn, die provinzielle Hauptstadt der jungen Bundesrepublik - mulmig-neblig durch ihre Lage im Rheintal und überhitzt durch politische Machenschaften - ist das Treibhaus, dessen Klima die Katastrophe beschleunigt.

Am Abend des zweiten Tages springt Kettenheuve von der Beueler Brücke in den Rhein - keine hundert Meter entfernt vom Aufführungsort der Bühnenbearbeitung dieses Romans in der Werkstatt des Theaters Bonn. Der Abend war Auftakt einer Veranstaltungsreihe, die unter dem Titel "60 Jahre in 6 Wochen" die Geschichte der Bundesrepublik beleuchtet.

Gescheiterter Idealismus

Was hat den unglücklichen Felix zum Sprung in den Abgrund gebracht? Der Autor Wolfgang Koeppen schürzt den fatalen Knoten doppelt: Felix hat gerade seine junge Frau begraben, an deren Tod er sich die Schuld gibt. Er ist an einem Punkt, wo seine Biographie sich ihm als ein einziges Scheitern darstellt. Dass er sich als junger Journalist vor den Nazis im Ausland in Sicherheit gebracht hat, erscheint ihm als feige Flucht, und dass er als Politiker seine idealistischen Ziele an der Realität scheitern sieht, empfindet er als persönliches Versagen.

Auch seine heimliche literarische Leidenschaft, mit der er versucht, Baudelaires Gedichte "Blumen des Bösen" zu übersetzen, findet keine Erfüllung. Als er Lena kennen lernt, ein sehr junges Mädchen, erwacht das Begehren – aber zugleich das Wissen, dass alles illusionär ist. Und dann kommt der Morgen, an dem er im Parlament als überzeugter Pazifist gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik spricht und gegen die Integration in ein westliches  Verteidigungsbündnis, die die Teilung Deutschlands zementieren würde. "Und während er sprach, hatte er das Gefühl: es ist zwecklos. Wer hört mir zu?" Als schäbiges, abgekartetes Spiel erlebt er die Politik, alle Werte erscheinen ihm als Fassade, mit der zynische Machtmenschen ihre wahren Interessen verbrämen.

Spannendes Stück Nachkriegsliteratur

Koeppens – aus der Perspektive unmittelbarer Zeitgenossenschaft erstaunliche – Hellsicht und seine verzweifelte Wut über die Saturiertheit, das restaurative Klima und die Gefahr eines neuen Militarismus in der jungen Bundesrepublik machen "Das Treibhaus" zu einem spannenden und wichtigen Stück Nachkriegsliteratur. Und seinen Autor zu dem wahrscheinlich am meisten unterschätzten Schriftsteller dieser Epoche: Er denkt zivilisierter als Jünger, er schreibt besser als Böll, das bilder – und mythenreiche Geflecht seiner Prosa nimmt es jederzeit auf mit den Weltentwürfen von Günter Grass.

Insofern kann man dem Theater Bonn und dem fringe ensemble, einer professionellen Gruppe aus der freien Szene der Bundesstadt, nur dankbar sein für diesen Anstoß, Wolfgang Koeppen (wieder) zu lesen. Theatralisch ist die Ausbeute des Abends, den Frank Heuel, Gründer und Leiter des fringe ensembles, mit Mitgliedern seiner Truppe und des Bonner Schauspiels inszeniert hat, allerdings gering.

Heuel hat den Text aufgeteilt auf die sechs Mitwirkenden, die – wechselnd zwischen Erzähler- und Figurenrollen – die Geschichte vortragen. Ein Minimalbühnenbild aus hunderten von verstreuten Polaroid-Fotos und einigen Projektionen gibt den Rahmen ab für diese szenische Rezitation. Intendiert war offensichtlich eine Form, die dem komplexen Stil Koeppens entspricht: der mischt Bewusstseinsstrom, inneren  Monolog, Reportage, sarkastischen Kommentar, zeitgeschichtliche Dokumentation.

Wenig Ausbeute für die Bühne

Dieser Vielschichtigkeit wird im Ensemble aber nur die großartige Tanja von Oertzen gerecht. Die Modulationsfähigkeit ihrer Stimme orchestriert den Text wie eine Partitur, ihre Fähigkeit, übergangslos von der Identifikation auf die distanzierte Außensicht, von der großen Emotion auf die kalte Ironie zu wechseln und alles mit der gleichen Glaubwürdigkeit einzulösen, bringt den Text in seiner ganzen Vielschichtigkeit zur Geltung.

Tanja von Oertzen gibt jedem Moment eine zwingende Präsenz und macht ihn damit dramatisch; sie erweckt Wolfgang Koeppens phantastischen Bilderreichtum und seine faszinierende sprachliche Kraft und Originalität unmittelbar zum Leben. Damit beweist sie, dass es einen Mehrwert geben könnte, den das Theater dem Leseerlebnis voraus hat. Da sie mit diesem Vorstoß allein bleibt, bestätigt der Abend das im Ganzen aber nicht. 
                                

Das Treibhaus
von Wolfgang Koeppen
Dramatisierung des Theaters Bonn
Kooperation von Theater Bonn und fringe ensemble
Inszenierung: Frank Heuel, Bühne und Kostüme: Annika Ley. Mit: Bettina Marugg, Maria Munkert, Tanja von Oertzen, Matthias Höhn, Stefan Preiss, Harald Redmer.

www.theater-bonn.de

 

Mehr vom Bonner fringe ensemble: Im Dezember 2007 inszenierte Frank Heuel den dokumentarischen Abend Generation P.

Kritikenrundschau

Hans-Christoph Zimmermann schreibt im Bonner General-Anzeiger (17.10.) über den Roman von Wolfgang Koeppen: Keetenheuves Kampf gegen die Wiederaufrüstung ähnele dem des Don Quichotte, "nur dass Keetenheuve darum weiß und den Untergang auch genießt". Regisseur Frank Heuel, der diesen Roman dramatisiert hat, vertraue, so Zimmermann weiter, zunächst auf den Rhythmus der Sprache. Die Inszenierung kontere Koeppens mythische Anspielungen mit einer taghell erleuchteten Bühne. Mit "kleinen, eindrücklichen Bildern" überführe Heuel den Roman "behutsam" in die Szene. Ihm gelinge eine "zwischen respektvoller Textbehandlung und bildlicher Umsetzung klug vermittelnde Dramatisierung", die zwar Distanz herstelle, aber die aktuellen Züge in Koeppens Roman nicht verschweige.

In der Süddeutschen Zeitung (17.10.) schreibt Vasco Boenisch, Frank Heuel arrangiere Koeppens "Roman des Scheiterns" als "vielstimmige szenische Anamnese". Die vier Schauspieler rezitierten den Text "versatzstückartig und mit respektvoller Distanz", aber auch mit "subtil mitleidigem Belächeln", als wären sie Fraktions- und Parlamentskollegen, die den "Fall Keetenheuve" auf die Couch legten. Boenisch konstatiert wie weit weg das sei, Koeppens Roman und die Bundeshauptstadt Bonn. Doch Heuels "Gang ins Staatsarchiv" lasse "Gestalten und Gefühle plastisch hervortreten". Mundharmonikatöne illustrierten Keetenheuves "fiebrige Spannung", kontrastiert von "piefigen Filmaufnahmen vom Rhein". "Innere und äußere Bilder einer verflossenen Republik." Ineinander gingen "staubige Melancholie" und "mürber Fatalismus" und mündeten in "kafkaeske Beklemmung". Möglicherweise bringe die Lektüre des Romans "größere Erfüllung". Doch die "unspektakuläre Präzision", mit der hier "visuelle Assoziations- und Erinnerungsräume" geschaffen würden, mache den Abend zu einem "berechtigten, berührenden Stück Literaturtheater".

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