Und die Bäume brabbeln Beckett

von Andreas Klaeui

Zürich, 4. Dezember 2020. Das Corona-Metatheater: Das ist möglicherweise eines der neuen pandemischen Formate dieser Herbstsaison, an die man sich später mal erinnern wird. Das Spiel über das Spiel, das nicht realisiert werden konnte.

Ursprünglich hätte Samuel Becketts "Warten auf Godot" am Neumarkt schon im Frühjahr zur Premiere kommen sollen, in Kooperation mit Monster Truck und dem Theater Hora. Nun kommt zwar eine Produktion heraus, aber nicht die geplante. Denn die Spieler*innen des Theaters Hora sind, weil sie der Covid-Risikogruppe angehören, bis auf weiteres im Home Office. Und warten.

Männer, die nicht kommen

Sie reden dabei, vor der Kamera, über Corona und die Welt, über das Warten an sich und auch ein bisschen über Godot. Eingangs stellen sie den Text vor, den sie vielleicht im kommenden Jahr auf die Bühne bringen werden. "Immer warten, immer", erläutert zum Beispiel Hora-Spieler Matthias Grandjean. "Und dann haben sie wieder langweilig, weil Godot nicht kommt. Nicht kommt er, wieder.“ Und die Neumarkt-Spielerin Sascha Özlem Soydan ergänzt treffend und mit leichtem Kopfschütteln: "Da warten Männer auf andere Männer. Die nicht kommen."

Warten auf Warten auf Godot 2 600 Cristiano RemoAus dem Home Theater zugeschaltet: Robin Gilly (l.) sowie Sascha Ö. Soydan, Robin Gilly und Noha Badir (v.o.n.u.) © Cristiano Remo

"Nur der Baum lebt", sagt Wladimir mal bei Beckett. Das nimmt das Neumarkt zum Ausgangspunkt für eine kurze, leichtfüßige "Godot"-Reflexion so gut wie ohne Live-Präsenz auf der Bühne, dafür im Spiel mit den im Doppelsinn "entfernten" Darstellern.

Ein Baum mit Eigenleben

Bis auf einen kurzen Auftritt des Neumarkt-Spielers Alireza Bayram ist tatsächlich nur der Beckett'sche Baum auf der Bühne, der sich allerdings bald verdoppelt und verdreifacht und überhaupt ein höchst bewegliches Eigenleben entfaltet. Grad so wie die Wladimirs und Estragons in geblümten Overalls und mit Zwergenbärten, die im Hintergrund als Projektion mit Beckett-Textfetzen jonglieren, unterstützt dabei von einer grotesken Gebärdensprache. Sie verdoppeln sich, verdreifachen sich im Maß, wie auch der Raum sich weitet und nach hinten öffnet, Prospekt um Prospekt, zum stets weniger fassbaren Godot-Schacht.

Warten auf Warten auf Godot 3 600 Cristiano RemoNur der Baum lebt! Im Hintergrund hinter Masken: Alireza Bayram, Lucas Maurer, Matthias Grandjean, Noha Badir, Sascha Özlem Soydan, Matthias Grandjean © Cristiano Remo

Die Mise en abyme, die sich im Titel schon ankündigt ("Warten auf: Warten auf"), erweist sich auf der Bühne als Mittel der Nähe. "Nicht kommt er, wieder." Die hübsche Spiegelfechterei ist mehr als Surrogat, sie ist ein Tasten in die Tiefe und Weite des Stoffs, in den Raum.

Bald schon übersteuern die Spielerstimmen, verhaspeln sich die Dialoge und Gebärden im absurden Schnelldurchlauf. Am Ende fangen auch die Bäume an, mit Hora-Stimme Beckett zu zitieren. Und mit all dem in sich kreisenden Schabernack kommt diese "Godot"-Skizze Beckett näher als manche breit ausgespielte, fette Vollinszenierung.



Warten auf: Warten auf Godot
Ein Baum mit entfernten Darstellern
von Theater Hora und Monster Truck
Konzept und Regie: Nele Jahnke (Theater Hora), Manuel Gerst (Monster Truck), Ausstattung: Manuel Gerst, Konzept und Dramaturgie: Julia Reichert, Sound: Rolf Laureijs, Video: Robert Meyer. Mit: Noha Badir, Alireza Bayram, Robin Gilly, Matthias Grandjean, Lucas Maurer, Sascha Özlem Soydan.
Premiere am 5. Dezember 2020
Dauer: 45 Minuten, keine Pause

www.theaterneumarkt.ch
hora.ch
monstertrucker.de

 

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