Dieser Raum lädt noch

von Janis El-Bira

Berlin, 13. Dezember 2020. Irgendwann wird die Zeit reif und die Übergänge werden fließend sein. Zwischen Analogem und Digitalem, unserem Körper und seinem virtuellen Stellvertreter. Bis es so weit ist, vertreiben wir uns die Zeit im Zwischenreich der Ladescreens und Warteräume. Von diesen gab es so einige während des am Samstag zu Ende gegangenen Digitalfestivals zur Wiederbelebung des Praters in der Berliner Kastanienallee.

Von Pollesch und Vinge zur Digitalspielstätte

Das ehrwürdige Biergarten-Theater, dessen echte Pforten sich erst im Laufe des kommenden Jahres als Galerie erneut auftun sollen, hatte bis zu seiner sanierungsbedingten Schließung ja so manches gesehen. Hier wurde René Pollesch berühmt, hier entäußerte sich Vegard Vinge phantasievoll seiner Körpersäfte. Nun aber blickten die von der Programmiererin Berrak Nil Boya gebauten Pixelwände der digitalen Repräsentanz vier Tage lang auf kuriose Erscheinungen ganz anderer Art. Ein Prater-"Second Life" haben sie und Kurator Julian Kamphausen entworfen, durch das sich mit selbstgewählten Avataren frei bewegen – per WASD-Ego-Shooter-Steuerung am Bildschirm oder gleich vollimmersiv mit VR-Brille – und über Mikrofon kommunizieren ließ.

Bildschirmfoto 2020 12 08 um 15 11 51Stelldichein der Avatare in der digitalen Prater-Galerie   Bild: Screenshot

Das galt allerdings nur für jene, die sich früh genug um Einlass bemüht hatten. Maximal 25 Personen konnten die 3D-Räumlichkeiten zur selben Zeit betreten, da die Rechenleistung der aufwändigen Modelle ansonsten in die Knie zu gehen drohte. Für die spät zur Party erschienene Nachtkritik blieb da nur der Blick durchs Schlüsselloch eines Streams, in einer Art "out of body experience" gleichsam huckepack genommen von einem neutralen Avatar im Raum, jedoch ohne Interaktionsmöglichkeiten. Halber Spaß nur, aber wohl auch halbes Leid, entging man so doch der Teilnahme am langwierigen Vorgeplänkel der Talks und Performances, das sich regelmäßig in Technikdingen und im etwas zudringlichen Foyer-Plausch ("Hey User XY, wer bist du nochmal wirklich?") eines vor allem auf die Macher*innen und assoziiertes Kulturpersonal beschränkten Publikums erschöpfte. Nur was die langen Ladezeiten beim Betreten neuer Räume betraf, da war man auch als Passiv-Avatar mitgefangen und erst recht mitgehangen.

Der Kultursenator ist gelöscht

So entstand oft eher der Eindruck eines internen Verständigungstreffens als der einer ablaufgeprobten öffentlichen Veranstaltung, was schon die verstolperte Eröffnung mit einem nach wenigen Begrüßungssätzen abrupt digital erlöschenden und fortan unauffindbaren Berliner Kultursenator verdeutlichte. Dennoch machten die Schauwerte und technischen Möglichkeiten der vom Foyer mit alten Volksbühnen-Plakaten bis hin zu einer lichtdurchfluteten Galerie liebevoll ausstaffierten Räume immer wieder staunen. Etwa wenn aktive User*innen Mediendateien einspielten oder rein akustisch ein echtes Gefühl von Nähe und Ferne entstand, sobald sich unser Träger-Avatar einmal etwas zu weit von den gerade Sprechenden wegbewegte.

Im spektakulärsten der Bereiche, einer ausladenden Felslandschaft mit antikem Amphitheater im Zentrum, ließ sich das eindrücklich erleben, wenn dort etwa der Performer Philipp Joy Reinhardt im Avatar-Gewand eines gekochten Eis monologisierte – und dabei droben im umliegenden Gebirge schlichtweg nicht mehr zu verstehen war.

Bildschirmfoto 2020 12 11 um 17 31 37Das antike Amphitheater war noch für seine erstklassige Akustik berühmt. Anders das digitale.  Bild: Screenshot

Überhaupt schien diese weitläufige Außenlandschaft auch etwas von der Einsamkeit jener VR-Welten zu vermitteln, die alle Begegnungen unter die Abhängigkeit vom technischen Gelingen stellen. "It just slows down and starts lagging", erklärte Berrak Nil Boya so auch auf Nachfrage, was denn passiere, wenn zu viele User*innen die Räume bevölkerten.

Was im Talk der Künstler Uwe Gössel und Thomas Goerge am zweiten Tag von "Prater Digital" noch als Utopie von der im Digitalen verbundenen Weltgemeinschaft beschworen wurde, verkehrte sich in sein Gegenteil: Die Kapazitäten digitaler Räume sind eben nicht unerschöpflich. Wo zu viel gewollt, zu viele reingelassen werden, reagiert das System mit Abstoßungserscheinungen. Es ruckelt, zuckt und lässt uns sitzen. Allein. In Zukunft, auf der weiterhin alle Hoffnungen liegen, wird sich das ändern – verschwinden wird es wohl nicht.

Prater digital
Programm von Julian Kamphausen und Berrak Nil Boya

www.pratergalerie.de

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