Wir sind nicht gerettet!

von Julischka Eichel

Januar 2021.

Sehr geehrte Frau Monika Grütters, sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Julischka Eichel. Ich bin freischaffende Schauspielerin. Ich habe von 2003 bis 2006 an der Schauspielschule "Ernst Busch" in Berlin studiert und bin dann bis 2013 ans Maxim Gorki Theater (Berlin) als festes Ensemblemitglied gegangen. Dort hatte ich viele Premieren und eine sehr aufregende Zeit. Anschließend war ich ein Jahr freischaffend und arbeitete in Dresden am Staatsschauspiel und am Schauspielhaus Hamburg, um dann für ein Jahr ins Ensemble des Schauspiel Köln zu gehen. Danach war ich vier Jahre am Staatsschauspiel Stuttgart als festes Ensemblemitglied. 2018 beschloss ich, als freischaffende Schauspielerin zu arbeiten und spielte in Bremen, Basel, Leipzig und Berlin (Volksbühne).

JulischkaEichelJoachimGern 53282Julischka Eichel © Joachim Gern

Ich bin praktisch selbständig, aber eben nicht ganz. Als freischaffende Schauspielerin schreibt man keine Rechnungen, denn jedesmal, wenn ich arbeite, ob für Film, Hörfunk, oder Theater, bin ich angestellt mit allem, was dazu gehört. Das ist oft gut, weil man dann angemeldet ist und versichert und man in die Arbeitslosenkasse einzahlt. Allerdings schreibt man eben auch keine Rechnungen und kommt so nicht in die Künstlersozialkasse, die einzige Versicherung, die ungefähr weiß, wie unsere Arbeitsbedingungen und Arbeitsumstände aussehen.

Das zieht Ärger mit dem Arbeitsamt nach sich, das nicht mit der Rentenkasse zusammenarbeitet. Zum Beispiel kennt das Arbeitsamt oft die Vorgaben der Rentenkasse nicht und will mich dann fürs Arbeitslosengeld sperren oder nachzahlen lassen mit der Behauptung, ich würde den Bedingungen der Arbeitsagentur nicht entsprechen. Ich muss ständig erklären, dass ich, obwohl ich vom Theater oft durchversichert werde, was ja eine Vorgabe der Rentenversicherung ist, nur an den Tagen Geld bekomme, an denen ich tatsächlich arbeite, und ansonsten aber dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe und also den Bedingungen der Agentur für Arbeit entspreche.

Das "Nebentätigkeits"-Missverständnis

Ein weiteres Problem ist ein relativ neues Gesetz zur "Nebentätigkeit". Ich persönlich erlebe fast nur Sachbearbeiter*innen, die meine Arbeit fälschlicherweise als Nebentätigkeit bewerten. Für uns gilt ein Urteil vom Sozialgericht Berlin vom 24.5.2013. Darin heißt es: "Es ist verpflichtend, sich für eine sozialversicherungspflichtige Tagesanstellung aus dem Leistungsbezug des Arbeitslosengeldes abzumelden, um neue Anwartschaften zu begründen. Dies gilt selbst dann, wenn es sich bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nur um einen Arbeitstag handelt." Wenn die Vorstellung oder der Drehtag nun als "Nebentätigkeit" dokumentiert wird, darf man nur bis zu 450 Euro behalten, alles andere muss abgegeben werden. Wir sind aber nie nebentätig! Wir arbeiten in unserem Hauptberuf und immer sozialversicherungspflichtig, sind also an diesen Tagen sozusagen festangestellt. Wir melden uns trotzdem ab und an, eben weil wir sonst kein Arbeitslosengeld bekommen (bzw. einen neuen Anspruch erarbeiten können) und wir nur Geld bekommen nach gespielter Vorstellung oder absolviertem Drehtag.

Das ist kompliziert und oft unangenehm. Immer wieder erlebe ich Geringschätzung mir gegenüber und meiner Berufswahl ("Ist doch nicht meine Schuld, dass sie sich so einen scheiß Beruf ausgesucht haben, wo es keine Gesetze für gibt"). Immer wieder erklären, immer wieder anrufen, immer wieder widersprechen und es eigentlich besser wissen und immer wieder das Gefühl, beweisen zu müssen, dass mir die Hilfe – in Form von Rat und Information und vor allem von Geld – zusteht.

Neustart- oder Novemberhilfen: "keine Chance"

Wir sind nirgendwo einzuordnen. Wir sind freischaffend, aber nicht selbständig, weil wir nach sehr alten Definitionen weisungsgebunden sind und keine Rechnungen schreiben dürfen. Man nennt unsere Art von Beschäftigung UNSTÄNDIGE BESCHÄFTIGUNG und sie ist niemals eine NEBENBESCHÄFTIGUNG. Sie haben das alles bestimmt oft gehört, und ich habe es so oft erklärt und bin nun verzweifelt. Die Novemberhilfen, die Dezemberhilfen, die Ersthilfen, die Neustarthilfen, alle gehen an uns vorbei, weil wir nicht selbständig im klassischen Sinne sind, weil wir keine oder wenige Einnahmen an selbständiger Arbeit haben (eben weil wir keine Rechnungen schreiben). Die Steuerberater (ich fragte drei) sagten mir: "keine Chance". Der Rechtsanwalt des Bffs sagte: "Keine Chance ...da wurde (noch) nichts verbessert..."

Ich bin jetzt zu Hause in Süddeutschland, da kommt meine Familie her, und andauernd sprechen mich auf der Straße Nachbarn an, dass "wir Künstler ja jetzt gerettet werden", dass "der Staat uns Künstler ja pampert". Alle haben die Info, dass wir nun "gerettet" sind ... es stimmt aber nicht. Meine ganzen Freunde kommen aus der Branche, und die Freischaffenden unter uns sind fix und fertig. Alle berichten Ähnliches oder Schlimmeres. Es schmerzt mich, dass es so ist, wie es ist. Dass mein Erfahrungswert zum Theaterleben ein so anderer ist, als für so viele Menschen um uns herum. Theatermenschen, freischaffende Menschen arbeiten viel. Sie arbeiten am Wochenende, monatelang ohne Pause, zwischen den Vormittags -und Abendproben wird Text gelernt und werden Kostümproben gemacht (sehr oft ausserhalb der Arbeitszeit), treffen sich Kollegen zum Vorbereiten. Vor und nach den Vorstellungen wird vor- und nachbereitet, und nach Premieren gehen direkt die nächsten Proben los. Ist man freischaffend, ist man zusätzlich ständig auf der Suche nach neuen Arbeiten und Bewerbungsgesprächen mit anderen Theatern.

SchlossRosmersholm 560 Joerg LandsbergJulischka Eichel in "Schloss Rosmersholm" am Theater Bremen (11/2019, Regie: Armin Petras) © Joerg Landsberg

Will man drehen, verhält es sich nicht anders. Hier kommen neben der Netzwerkarbeit, den Bewerbungen und den Castings noch teure, aber essentielle Fotoshootings hinzu, Trainings bei Coaches und und und ... Immer wieder neu anfangen, sich neu orientieren und seinen Platz suchen in einem Ensemble, sei es im Theater oder bei Dreharbeiten. Ich kenne so viel zweifelnde und kämpfende Kolleginnen und Kollegen.

Keine Solidarität von den Theatern

Ich kenne so viele, die niemals ohne triftigen Grund Hilfe vom Staat annehmen würden oder angenommen haben. Wir zahlen ein überall dort, wo man als arbeitender Mensch zu zahlen hat. Wir arbeiten viel, wenn wir dürfen, weil es uns und das alles was angeht, weil es uns Spass macht, wir es gerne tun und wir was zu sagen haben. Das ist mein Erfahrungswert. Ständig bin ich konfrontiert mit Klischees, Unterstellungen und komplettem Unwissen über unseren Arbeitsalltag.

Aber, und das ist noch schlimmer, selbst Behörden und Verwaltungen, die es wissen müssten, haben eben nur gefährliches Halbwissen oder wissen gar nichts – entscheiden aber, ob wir unterstützt werden oder nicht. Das größte Aber ist allerdings: Meine/die Theater verhalten sich nicht öffentlich zu uns Gästen. Im ersten Lockdown gab es mehrere Theater, die nur teilweise die ausgefallenen Vorstellungen zahlen wollten. Genutzt haben ihnen die Gastverträge, die unmöglich sind, die Paragraphen enthalten, die arbeitsrechtlich nicht haltbar, aber gängige Arbeitspraxis sind. Da kein Schauspieler klagt, denn alle fürchten Repressalien und Nachteile, bleibt alles beim alten. Durch die Arbeit des Ensemblenetzwerks, mit dem ich phasenweise täglich zu tun hatte, zahlten "meine" Theater dann doch. Tatsächlich halfen Gespräche. Ich weiß aber von Beispielen, wo es anders ausging.

Bis heute fehlt eine öffentliche Ansprache bzw. überhaupt ein Gespräch mit uns, wie man mit Gästen umgehen will, jetzt und in der Zukunft. Das Theater hat immer schon seine Gäste gebraucht und sich mit ihnen geschmückt. Ich war sehr lange festes Ensemblemitglied und habe immer gerne mit Gästen gearbeitet. Sie sind wichtig, um offen zu bleiben und andere Einflüsse kennen zu lernen. Theater muss beweglich und fremd bleiben, also brauchen wir die Reisenden und die Fremden. Gäste sind, wenn sie am Theater arbeiten, immer, wie ich oben schon sagte, angestellt, kurzfristig, aber angestellt. Wir sind ein Teil des Ensembles. Wir sind Teil des Theaters.

"Coronagagen" und brachliegende Projekte

Durch Corona wurden wir als erste "nicht weiter beschäftigt", weil die Theater es aufgrund unsere Verträge können ("kann das Theater aufgrund höherer Gewalt ..." bzw. "Sollte das Theater aus nicht zu vertretenen Gründen (z.B. Streik oder behördliche Anordnung) während der oben vereinbarten Zeit geschlossen sein, so kann das Theater diesen Vertrag ab sofort auflösen, ohne dass dem Gast deshalb Entschädigungsansprüche zu steht."). Projekte, die in der Zukunft lagen und angedacht waren, wurden nicht mehr weiterbesprochen oder weggeschwiegen.

Es gab plötzlich "Coronagagen", die unter dem lagen, was Kollegen und ich sonst verdienen. Das kam im Theater und auch beim Dreh vor (nur einmal erlebte ich, dass mir wegen erschwerten Arbeitsbedingungen eine höhere Gage gezahlt wurde). Mir wurde nicht erklärt, warum die Gagen plötzlich niedriger waren, für die gleiche Arbeit. Alles war plötzlich so "verschmiert". Ich hatte mehrmals das Gefühl, dass ich froh sein sollte, überhaupt als Gast arbeiten zu dürfen (was man ist). Also tat man mir einen Gefallen? Oder gehörte ich doch wieder zum festen Kern und also dazu? Und sollte mich mit verantwortlich fühlen und mit anpacken, um die Krise gemeinsam zu überstehen? Wir sparen gemeinsam! Aber war ich nicht gerade eben ohne Theater und gehörte nirgendwo hin und brauchte tatsächlich das Geld, weil es mir bis zum Hals steht? Auf meine Frage, ob man die "Coronagagen" auch bei anderen angesetzt hatte, wie zum Beispiel bei Regie oder Intendanz, gab es keine Antwort.

Ich habe mich an mehreren Theatern beworben. Als Gast. Als Feste. Ich habe von den meisten keine Antwort bekommen. Mit denen, die ich gut kenne, habe ich gesprochen, sie sehen keine Chance, so wie die Lage ist. Die Theater sagen uns Gästen ab, weil es finanzielle Einbußen geben wird, nicht, weil sie uns nicht wollen. Man will sparen. In der Wirkung ist es aber so, als gäbe es uns nicht mehr, und bald wird das vielleicht auch Realität sein. Das kann nicht sein und ist nicht wahr.

Es geht um unsere Existenz

Ich bitte Sie uns nicht zu vergessen in dieser Pandemie. Damit es uns noch gibt, wenn es uns wieder geben "darf". Ich möchte spielen. Ich möchte arbeiten. Ich möchte eine Chance haben, meiner Arbeit nachgehen zu können. Unverschuldet sind wir in diese Lage gekommen. Wir wollen niemanden brauchen, nur einfach arbeiten. Solange wir das nicht können, weil wir unsere Kranken und Alten schützen – das ist ganz selbstverständlich –, brauchen wir Ihre Hilfe. Ihre Hilfe, um unsere Existenz zu erhalten, aber auch als Zeichen, dass wir Teil dieser Gesellschaft sind.

Ich weiß, dieses Schreiben ist vielleicht etwas zu lang, aber das muss es sein, weil es von Vielfalt und Komplexität zeugt und die Situation kompliziert ist. Mir liegt so sehr am Herzen, dass Sie und auch die Gesellschaft verstehen, also auch unsere eigenen Leute: Hier geht es um finanzielle Unterstützung, die uns tatsächlich erreicht , das heißt es müssen dringend die Voraussetzungen und Bedingungen der Hilfspakete angepasst werden. Hier geht es um die Suche nach Klarheit und Anerkennung unseres Status, sowie die Gleichbehandlung und Kenntnisnahme dieser Berufsgruppe "freischaffende Schauspieler*in" in Behörden, Verwaltungen und der Gesellschaft. Hier geht es um Kommunikation und Gespräche innerhalb des Theaters über Zugehörigkeit und Verantwortung. Hier geht es um Wissen, denn wir werden vergessen, weil man es nicht besser weiß.

Und während ich das an Sie schreibe, erreichen mich zwei Schreiben, das eine von der Investitionsbank Berlin und das andere von der Agentur für Arbeit. Beide wollen Beweise meiner Lage und fordern eine Rückzahlung. Beide zu Unrecht, aber eine Forderung bekommt gesetzlich Recht, weil ich nicht selbständig bin. Es muss anders werden.

Ich grüße Sie herzlichst

Julischka Eichel

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