Historisches Krisenmanagement

von Reinhard Kriechbaum

Salzburg, 30. Januar 2021. Jeder Dokumentarfilmer weiß das, und auch alle, die dieses Genre schätzen: Das weitaus Interessanteste sind Menschen, die wirklich etwas zu erzählen haben. So wie der ehemalige Salzburger Bürgermeister Heinz Schaden, wenn er sich an den 1. September 2015 und die Tage und Wochen danach erinnert.

Salzburg im Sommer 2015

Was damals geschah: Hunderte, Tausende syrische Geflüchtete waren über die Balkanroute nach Budapest gekommen. Ihr Ziel: Deutschland. Der ungarische Regierungschef Orbán hat sie in Busse verfrachten und an die österreichische Grenze bringen lassen. Weiter ging's nach Salzburg. Vor dem Grenzübertritt nach Deutschland gab es Wartezeit. Heinz Schaden hat kurzerhand die Tiefgarage am Bahnhof in eine Anlaufstation verwandelt. Im Lauf weniger Wochen wurden dort 350.000 Menschen versorgt. Und auch sieben Kilometer weiter unmittelbar an der Grenze vor der Brücke nach Freilassing gab es viel zu organisieren, Probleme zu lösen und Leid zu lindern.

Nuran David Calis, Spezialist für dokumentarisches Theater, hat sich dem Thema nicht aus der Perspektive der Flüchtenden genähert, sondern aus dem Blickwinkel derjenigen, die sich damals mit viel Einsatz und ziemlich perfekten Ergebnissen eingebracht haben. Viel Recherche hat stattgefunden für diesen vorerst als Livestream gezeigten Abend im Salzburger Landestheater. Das Ergebnis ist auch ein Programmbuch mit Oral History auf über achtzig Seiten. Zeithistoriker werden einmal dankbar sein, für den Premierenstream nicht weniger als für dieses Erinnerungsbuch.

Ersthelfer 3 560 Anna MariaLoeffelberger u#Ersthelfer*innen: Maximilian Paier, Skye MacDonald, Larissa Enzi und Nikola Jaritz-Rudle © Anna-Maria Löffelberger

Calis schickt vier junge Schauspieler*innen und Heinz Schaden, jetzt Ex-Bürgermeister, auf die Bühne. Kein schlechter Weg, um der Jungspund-Truppe, die sich aufrichtig und mit Herzblut einbringt, sich aber gelegentlich in überschießende Selbst-Betroffenheit hineinsteigert, in Schach zu halten. Wenn's allzu krass wird mit der Ausformulierung der eigenen Betroffenheit, sind des Politikers und damaligen Chef-Organisators unaufgeregte Erinnerungen ein mäßigendes Korrektiv.

Staats-Versagen, Gesellschafts-Leistung

Die Sache ist gut strukturiert. Zuerst dürfen die Darstellerinnen und Darsteller erzählen, wo sie waren in diesem Spätsommer 2015 – sie waren im Prinzip alle mit sich und der beginnenden Schauspielerkarriere beschäftigt. Was damals geschah, haben sie nur am Rande wahrgenommen.

Dann geht's ans Dokumentarische. Aus dem gesammelten Material wird zitiert, der damalige Bürgermeister wird vom Ensemble dazu befragt. Für einen Gegenwartsbezug sorgt ein kurzes Skype-Interview mit einer Flüchtlingshelferin auf Lesbos. Man arbeitet viel mit der Live-Kamera, was der Technik für den Live-Stream gute Schnittmöglichkeiten bietet: Der Abstand zwischen Streaming und realem Theatererlebnis dürfte also geringer ausfallen als bei einer bloß "abgefilmten" Aufführung.

Ersthelfer 2 560 Anna MariaLoeffelberger uLarissa Enzi, Skye MacDonald © Anna-Maria Löffelberger

Jene im Publikum, die damals vor Ort waren, erfahren manch Aufschlussreiches aus diesen Tagen, die der damalige Bürgermeister als ein Total-Versagen des Staates und der Bundesorgane in Erinnerung hat. Eigentlich kommt nur der damalige Eisenbahn-Chef Christian Kern (der es dann in Österreich zum glücklosen Kurzzeit-Bundeskanzler gebracht hat) gut weg. Zur Erinnerung: Der damalige Außenminister hieß Sebastian Kurz. Er hat sich an den Flüchtlingen damals nicht die Finger verbrannt, sondern später das Schließen der Balkanroute auf seine Erfolgsliste gesetzt ...

Wer ein Menschenleben rettet ...

Es kam also entscheidend auf die Hilfe vor Ort an. Heinz Schaden jetzt: "Die Gesellschaft hat damals das Beste gezeigt, was in ihr steckt." Und er beklagt, wie viele, die derzeitige Stimmungslage in einem Land, "das sich scheinbar hoffnungslos, wie die EU, im Flüchtlingsthema verheddert hat".

Verzichtbar ist jener Abschnitt, in dem dem die jungen Leute auf der Bühne mit größter Emotion ihre politische Rolle als Schauspieler*innen und ihre bescheidenen Möglichkeiten, etwas zum Guten zu bewegen, ventilieren. Das ist nun wirklich hundertfach durchgekaut. Die Welt-Errettung von der Bühne ausgerechnet des Salzburger Landestheaters herunter ist eben leider nicht zu erwarten.

Aber das Schlusswort gehört wieder Heinz Schaden, der von einem Jungen erzählt, Omar, den es nach seiner Zwischenstation in Salzburg nach Schweden verschlagen hat. Er ist dort in eine verständnisvolle Familie gekommen, hat eine gute Schulbildung bekommen und ein Harvard-Stipendium vor sich (noch verhindert die Pandemie die Reise in die USA). Schaden zitiert den Talmud: "Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt."

#Ersthelfer #Firstaid
Schauspiel von Nuran David Calis
Regie: Nuran David Calis; Bühne: Anne Ehrlich; Musik und Sounddesign: Vivan Bhatti; Licht: Daniela Klein; Dramaturgische Mitarbeit: Ivan Vlatković, Clara Bender, Friederike Bernau, Christina Piegger.
Mit: Larissa Enzi, Nikola Jaritz-Rudle, Skye MacDonald, Maximilian Paier, Heinz Schaden.

Online-Premiere am 30. Januar 2021

Dauer: 1 Stunde 56 Minuten

www.salzburger-landestheater.at

 

 

Kritikenrundschau

"Statt statischem Abfilmen agiert die Kamera, das Theaterstück bekommt filmischen Charakter", findet Thomas Neuhold im Standard (online 31.1.2021). Dass es dem Regisseur dabei gelungen sei, Salzburgs Ex-Bürgermeister "auf die Bühne zu bringen", verleihe "#Ersthelfer#FirstAid eine besonders authentische Färbung." Gleichzeitig dürfte auch der "Werbeeffekt für den trotz seiner Verurteilung im Zuge des Salzburger Spekulations-Skandals immer noch überaus populären Schaden" dem Landestheater "gelegen kommen", so der Rezensent.

Kommentare  
#Ersthelfer, Salzburg: zähe Umsetzung
Sehr, sehr wichtiges Thema! Leider, zumindest in meiner Wahrnehmung, eine sehr didaktische und zähe Umsetzung. Mehr wie ein Pro-Seminar als ein Theaterabend. Ich habe mich beim Zuschauen trotz der Thematik sehr gelangweilt, wofür ich mich bei so einem zentralen Thema natürlich geschämt habe. Aber leider habe ich es so empfunden. Die gepresst wirkenden Emotionen der Spieler*innen habe ich ähnlich wie die obige Kritik als störend empfunden. Vielleicht mehr für zukünftige Zeithistoriker gedacht als für die heutige Zuschauerin*? Insgesamt für mich ein enttäuschender Theaterabend, leider.
Kommentar schreiben