Quatsch mit Sauce

von Janis El-Bira

2. Februar 2021. Der Eintopf, den die Algorithmen von Twitter und Co. in den vergangenen Tagen aufkochten, hinterließ seltsame Kleckse auf so mancher Timeline: Überall ging es plötzlich um Würzsaucen und ein Talkformat im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, um M*****-Apotheken und N****-Könige, blonde Frauen mit großen Brüsten und alte weiße Männer, um Jimi Hendrix, Thomas Gottschalk, Sinti und Roma und die türkischen, arabischen und sonstigen Freund:innen eines Schlagersängers. Doch selbst wer den Anlass der zahllosen Tweets und Posts ausnahmsweise nicht mitbekommen hatte, verstand trotzdem das Entscheidende: Es ging offenbar um Rassismus. Genauer um jene komplizierte Art von Rassismus, bei dem Menschen sich regelmäßig um Kopf und Kragen reden. Sie also standhaft beteuern, keinesfalls Rassist:innen zu sein, nur um sich im Gegenzug nicht von einem rassistischen Sprachgebrauch (Z*******-Sauce, M*****-Kopf, …) trennen zu müssen. Kurzum: Es geht um den Rassismus in uns allen.

Gesellschaftliche Ungleichzeitigkeit

Das macht die besondere Brisanz der Debatte um die WDR-Sendung "Die letzte Instanz" aus, die seit dem Wochenende die Gemüter erhitzt. Sie dreht sich um einen scheinbaren Rassismus ohne Rassist:innen und spiegelt darin eine wesentliche gesellschaftliche Ungleichzeitigkeit. Denn immerhin 84 Prozent der Teilnehmer:innen an einer WDR-Umfrage beantworteten die (bemerkenswert blöde) Frage "Das Ende der Z****-Sauce: Ist das ein notwendiger Schritt?" mit Nein. Ebenso signalisierten die vier Show-Gäste auf dem Podium mit dem Hochhalten einer roten Karte einhellig ihre Ablehnung der Namensänderung auf dem Flaschenetikett. Die Empörung der Diskurs-Galoppreiter:innen auf Twitter scheint demgegenüber nicht mehrheitsfähig.

NAC Kolumne Janis El Bira V3Doch es geht nicht um Saucen. Nicht einmal alte weiße Männer können ihr Herz derart ernsthaft an den Namen eines Fertigprodukts hängen. Vielleicht geht es noch nicht einmal wirklich um das, wofür der Saucenstreit steht, nämlich um vermeintliche "Sprachverbote" und den Anspruch, Gewohntes nicht freiwillig aufgeben zu wollen – selbst dort nicht, wo Menschen sich von diesen Gewohnheiten verletzt fühlen.

Differenzierung als erstes Opfer

Der eigentliche Skandal der Sendung liegt vielmehr in ihrem Kalkül, in der Unverfrorenheit, mit der sensible Themenkomplexe der Show geopfert werden. "Die letzte Instanz", die als Bühnenversion auch an einem Hamburger Privattheater zu sehen war, nimmt sich das allerdings zum Prinzip. "Wie eine Runde von Freunden, die sich in einer Kneipe trifft", solle die Sendung wirken, schreibt Moderator Steffen Hallaschka selbst in einem Facebook-Statement zum Saucen-Eklat. Darin ist das Format geradezu eine Inszenierung von Differenzierungsmüdigkeit, zusammengecastet und thematisch besetzt von einer Redaktion, die es natürlich besser weiß, aber nicht anders machen will. Ein Meinungstheater, das seine Figuren in etliche offene Messer rennen lässt, auf dass diese sich anschließend reumütig zeigen, weil sie öffentlich sagten, was auf viel zu vielen Familienfeiern zum Standardrepertoire gehört. Diesem Kalkül, diesem üblen Spiel mit der Rassismusthematik gilt die Wut vieler, die sich in den Sozialen Medien jetzt zu Recht fassungslos zeigen.

Die vier Gäste der Sendung muss man deswegen nicht in Schutz nehmen. Aber gute Inszenierungen, die sich um ihre Figuren wenigstens ein bisschen scheren, geben diese nicht kampflos den eigenen Unzulänglichkeiten und kruden Gedanken preis. "Was für Saucen recht ist, ist für Menschen nicht billig", schreibt jemand auf Twitter. Ganz so einfach ist es nicht, denn auch die Sauce kleckst nicht jenseits von Sprache. Aber wie man die Sauce und wie den Menschen bezeichnet, darin scheint doch ein Unterschied zu liegen. Wie dieser zu vermessen ist und warum beides irgendwie mit Anstand zu tun haben könnte, darin hätte auch für "Die letzte Instanz" ein Anfang liegen können.

 

 

Janis El-Bira ist Redakteur bei nachtkritik.de. In seiner Kolumne "Straßentheater" schreibt er über Inszeniertes jenseits der darstellenden Künste: Räume, Architektur, Öffentlichkeit, Personen – und gelegentlich auch über die Irritationen, die sie auslösen.

 

In seiner letzten Kolumne erzählte Janis El-Bira von seinen Corona-Tests, bei denen er sich dem Theater ganz nah fühlte.

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