Generation Schlafanzug

von Ralph Gambihler

Magdeburg, 19. Oktober 2008. Das postpubertäre Herumsitzen der Generation X hat man zwar nicht vergessen. Irgendwie muss es aber doch etwas aus dem Blickfeld geraten sein zwischen all den Generationenbildern, die nach Douglas Couplands Roman plakatiert wurden. Insofern ist es fast Erinnerungsarbeit, die nun am Schauspiel Magdeburg geleistet wird. Aber eben nur fast. Denn die Generation X kehrt an diesem Abend nicht wieder, allenfalls eine Generation X plus irgendwas. Obwohl man auch daran zweifeln kann, denn diese Menschen sind letztlich nur noch in der Erinnerung vereint.

Die Bühne ist eine hermetisch abgeriegelte Innenwelt, in der es tropft und plätschert. Die sechs Darsteller sitzen hier keineswegs auf dem Sofa postmoderner Konsumverweigerung. Sie liegen vielmehr in sichtlicher Vereinzelung auf sechs Bettgestellen, die wie Inseln aus dem gefluteten Bühnenboden ragen. Das Ganze macht den Eindruck eines längst vergessenen Nachtasyls unter Hochwasser. Viel Lebensmüdigkeit, viel emotionaler Tod.

Panoptikum der Erinnerungen
Doch das Bild trügt. Wenn zwei dieser Schlafanzugträger aneinander geraten, kann es durchaus heftig zugehen. Depression und Obsession liegen dicht beieinander in diesem merkwürdigen Panoptikum der Erinnerungen. Drumherum irritiert ein paradoxer Bühnenzauber. Das spärliche Licht, von den Wellenbewegungen des Wassers gespiegelt, tanzt und tänzelt verführerisch auf der umlaufenden Wand, schöner noch als an den schönsten Brunnen in römischer Nacht.

Der Kanadier Coupland war bereits ein weltberühmter Autor, als er 1993, zwei Jahre nach seinem Erstling "Generation X", die episodisch zerklüftete Erzählung "Life After God" veröffentlichte. Er skizziert darin ein Bild von Entfremdung, Einsamkeit und misslungener Sinnsuche ohne Gott. Sechs Mittdreißiger treffen sich nach fünfzehn Jahren wieder, weil einer von ihnen alle anderen zu einem Klassentreffen überreden will. Couplands 1968 geborener Landsmann Michael Lewis MacLennan, der sich in Übersee einen Namen als Dramatiker, Drehbuchautor und TV-Produzent gemacht hat, adaptierte die Geschichte vor zwei Jahren fürs Theater. Lukas Langhoff (Regie und Bühnenbild) besorgte nun die deutschsprachige Erstaufführung.

Nihilistisch-metaphysischer Gelee
Das Gespenst der Verlorenheit und die Verzweiflung, ihm womöglich nicht zu entkommen, gehen um in diesem Figuren-Sextett. Für die Protagonisten endet die Suche nach dem Wesentlichen mit dem Fall in die Wirklichkeit. Julie, die im Traumhaus über der Stadt eingesperrte Gattin und Mutter, schmort mit zwei Söhnen in der Ironie-Hölle. Die schöne Stacey arbeitet als Trainerin eines Fitnessclubs gegen die Ankunft der Pfunde. Todd leidet an seiner Arbeitslosigkeit, an der bösen Welt und möchte sowieso am liebsten wieder Pott rauchen. Kristy flieht vor dem Alkohol und dem nicht vorhandenen Mann in die Berge. Der ehemalige Pornodarsteller Dana ist ein fanatisch religiöser Kleinfamilienvater geworden, der im Auto Krähen nachfährt. Und Scout, die Nervensäge mit der Idee eines Klassentreffens, schluckt rezeptpflichtige "Bonbons" gegen seine Depressionen.

Coupland und MacLennan besichtigen in "Life after God" das Elend einer Generation, in deren nihilistischen Aussteigerträumen keine neuen Begriffe von Sinn, Liebe oder Identität entstanden sind. Das metaphysische Wollen der Autoren ist unübersehbar. Es ist zu einer geleeartigen Textmasse geronnen, hergestellt aus zeitspezifischen Lebensgefühlen und zeitlosen Existenzängsten, angerührt mit den Zutaten eines postmodernen Denkens, das sich seiner selbst noch sehr sicher ist. Klimakatastrophe und Finanzkrise eilen dem Werk zu Hilfe. Wenn es in der Welt nach unten geht, geht es mit "Life After God" nach oben.

Wartende in den Fluten des verpassten Glücks
Und doch: Das Stück ist und bleibt kein leichter Fall für die Regie. Lukas Langhoff sucht sein Heil im atmosphärisch Entrückten und rettet sich in eine kleine Wortoper. Das ist keineswegs ein Patentrezept, hat aber den Vorteil, dass man der Bühnenversion im Laufe der 90 Minuten immer weniger anmerkt, wie das Erzählte in Dialoge und Monologe gepresst worden ist.

Die sechs Darsteller Simon Brusis, Nicole Lippold, Iris Albrecht, Franziska Melzer, Jochen Gehle und Floria Schmidtke stehen, wenn sie nicht auf ihren Bettinseln liegen, viel im Wasser herum. Sie sind Wartende in den Fluten ihres verpassten Glücks, beziehungsunfähig und tendenziell krank vor Liebessehnsucht. Wenn gar nichts mehr hilft, hilft auch ihnen bisweilen Gott. Das jedenfalls ist die nicht sonderlich erschütternde Pointe. Früher war es die Not, die Beten lehrte, heute ist es eher das Nichts.

 

Life After God (DEA)
von Michael Lewis MacLennan
nach den gleichnamigen Erzählungen von Douglas Coupland
Deutsch von Ute Scharfenberg
Regie und Bühne: Lukas Langhoff, Kostüme: Sven Nahrstedt.
Mit: Simon Brusis, Nicole Lippold, Iris Albrecht, Franziska Melzer, Jochen Gehle, Floria Schmidtke.

www.theater-magdeburg.de

 

Kritikenrundschau

Mit dem Wasserspiegel-Bühnenarrangement, das das Scheinwerferlicht reflektiert, habe Lukas Langhoff eine "optische Metapher" gefunden, so Liane Bornholdt in der Magdeburger Volksstimme (21.10.): "Es geht um nichts denn die Reflexion von Innenwelten." Das "Auf und Ab der Empfindungen" innerhalb der Figuren-Clique werde vor allem durch die abrupten Wechsel "zwischen exaltiertem Schreien und intimem, ja verängstigtem Flüstern" deutlich. Die "tieferen Schichten der Lebensverläufe" blieben letztlich jedoch "in Klischees verhaftet": "allgemeine Sehnsucht nach der verlorenen Gott- oder Ideal-Gläubigkeit", die "Fassaden, die sich jeder aufgebaut hat" und die "verschiedenen Temperamente des Zweifelns" an ebendiesen. Das sei "geschickt gemacht, auch wenn nicht viel gespielt werden kann", sich die Spieler nur "durch die Stimme und deren Stimmung“ unterschieden. Es gebe "viel Unerhebliches in diesem Stück, ein paar kluge Sätze und ehrliche Lebensweisheiten auch". Weil Langhoff und seine Schauspieler, "alles nicht allzu schwer" nähmen, sei das Ganze dann aber doch "kurzweilig".

 

Kommentare  
Life After God: tolle Iris Albrecht!
Mich überrascht es immer wieder positiv, wie Iris Albrecht das Publikum gefangen nehmen kann. Sei es mit bloßen Worten, wenn sie vom Glitzern der Sonne in ihren Fenstern redet, oder sei es mit rhythmischen Bewegungen, wenn sie auf dem Klassentreffen tänzelt. Eine tolle Frau!
Life After God: Iris Albrecht war leider das einzige
frau albrecht war aber leider auch das einzige was man in diesen 80 minuten, neben der tollen wasser-licht-installation sehen konnte.
man hofft nur dass wellemeyer diesen inszenator dem potsdamer publikum erspart.
Life after God: Auf Provokationsversuche verzichtet.
Herr Wellemeyer hat ja bereits angekündigt, dass er den 'Inszenator' mitnimmt. - Aber beide Vorredner haben Recht: Frau Albrecht ist very very very nice gewesen und außer ihr war da nicht so viel los. Die Beschreibung des Stücks im Spielplan ist berührender gewesen als das Stück an sich - wie so oft bei Langhoffs Inszenierungen ("Angst", "Raststätte", "Handlungsreisender", "Psychose"). Glücklicherweise hat er diesmal weitestgehend auf seine peinlichen Provokationsversuche verzichtet. Und der angenehme Text (Danke! an die Übersetzerin und den Dramaturgen) hat über vieles hinweggetröstet.
Life after God: Textfassung enttäuschend
"Das metaphysische Wollen der Autoren ist unübersehbar. Es ist zu einer geleeartigen Textmasse geronnen" - hier gebe ich Ralph Gambihler gerne recht: Der Text bringt wirklich keine neuen Gedanken hervor oder ordnet sie gar um. Im Gegenteil: er schichtet eher zusammen, was Coupland Seite für Seite differenziert. Tatsächlich macht das Buch mehr Spaß als Michael Lewis MacLennan's Textadaption. Hier wird sich wohl auf die dramaturgisch dichte Zusammenführung aller Figuren bedacht, als auf die Schönheit des Textes. Was bei Coupland noch neugedacht und anregend scheint, ist bei MacLennan zu einem Tür-an-Tür Soap A-spricht - B-spricht zusammengeschrumpft. Dieses strukturierte Gestelze entspricht keinesfalls der Couplandschen Gedankenschönheit. Metaphysische Anstrengung hin oder her: Dieser Text hätte eine verständnisvollere und weniger ambitionierte Adaption verdient.

Gut, dass Langhoff weniger auf Text(verständlichkeit) achtet und vornehmlich atmosphärisch arbeitet.
Vielen Dank für das lange Grübeln, das ich hatte, bevor mir klar wurde, dass das einfache Öffnen von Fenstern, während die Aktion im Raum einfriert, als tolles Stilmittel gelten kann.
Life after God, Magdeburg: gibt Denkanstöße
Habe nun auch das Stück gesehen und kann die ersten drei Kritiken in diesem Forum nicht verstehen.
Muss zugeben, dass ich das Stück in seiner Gesamtheit nicht verstanden habe, aber die vielen Ideen der Inszenierung geben mir immer wieder Denkanstöße.
Und natürlich beeindruckte mich die Atmosphäre der Inszenierung.Außerdem finde ich es nicht richtig einzelne Schauspieler an diesem Abend herauszuheben, da es, wie so oft bei den Langhoff Inszenierungen eine geschlossene, sehr gute Ensembleleistung ist.
Liebe Generation 21, eine Frechheit finde ich, alle Inszenierung von Langhoff über einen Kamm zu scheren und abzuwerten.Ich finde, dass es Stücke von ihm gab, die zu den Höhepunkten der sieben Jahre Wellemeyer in Magdeburg zu zählen sind.Denke da vor allem an die Staatsbankzeit.
Aber wenn man immer nur Hartmanninszenierungen schaut, scheint sich der Theatergeschmack ein wenig einzutrüben.Im übrigen sollte man sich, wenn man die Macbethinszenierung in Leipzig gut findet, zum Thema
"Peinliche Provokationsversuche" zurückhalten.
Life after God in Magdeburg: Luftnummern und Höhepunkte
@Klaus: Sollte man nicht, denn bei Hartmann funktionieren die Provokationen, bei Langhoff doch eher nicht.
Zudem schere ich nicht alle Langhoff-Inszenierungen über einen Kamm, sondern habe explizit die aufgeführt, die im Spielplan echt geil klangen und auf der Bühne dann für mich Luftnummern waren. Das schließt nicht aus, dass sie dennoch gute Stellen und tolle Schauspieler hatten und "Denkanstöße" geben konnten. Nur leider waren "Angst", "Rasttätte", "Handlungsreisender" und "Psychose" nicht einmal im Ansatz so gut wie z. B. Langhoffs "Jungfrau" oder "Räuber" (Staatsbank, you know), die du zu Recht zu den Höhepunkten der Wellemeyer-Ära zählst.
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