Ich bin ein Dreck

von Jorinde Minna Markert

Augsburg / online, 27. Februar 2021. Der schöne Satz im Titel entstammt einem Brecht-Gedicht aus dem "Lesebuch für Städtebewohner". Neben den Erzeugnissen des Big B (dem Einfluss auf die Hip Hop Kultur nachgesagt wird, weshalb man ihm wohl durchaus einen Nickname mit street cred verpassen darf), sind in dem Abend "Ich bin ein Dreck" bei der digitalen Edition des Brechtfestivals Texte von Margarete Steffin, Helene Weigel und Inge Müller zu hören; Schauspielerinnen, Intendantinnen, Schriftstellerinnen, darunter eine Geliebte und die Ehefrau des Big B.

Auftritt: Stefanie Reinsperger

Die Beziehungen, die im Fokus dieser Arbeit stehen, eröffnen einen größeren Fragenkomplex. Es scheint, wo ein Autor aus seinem "Wahnsinn" künstlerisch schöpfen darf, stirbt eine Autorin an ihrem – und sei es, weil ihr nicht der Narzissmus vergönnt ist, ihr An-Sich-Selbst-Leiden zum Zentrum zu machen. Mit Inge Müller, der zweiten Ehefrau Heiner Müllers, kommt außerdem beispielhaft der Topos der Schriftstellerin aufs Tapet, die eine Existenz im Schatten das Gatten führt.

Dreck2 600 Hamdemir Isletme uNervous Breakdown in der Dusche: Stefanie Reinsperger und Wolfgang Michael spielen Brecht und die Frauen  © Hamdemir & Isletme

Die Texte sind in ihrer Klarheit und Ungeschöntheit ein Zuhörgenuss und stellen überhaupt erst szenischen Zusammenhang her. Optisch erinnert diese filmische Arbeit, konzipiert von Akin Isletme und BE-Schauspielerin und Hauptdarstellerin Stefanie Reinsperger herself, an den Netflix-Kracher Dark oder neuere "Tatorte": Close-Up auf Zigarette, mehr Nebel, als einer Fluppe entstammen kann, hüftabwärts gefilmte Gestalten in verschneitem Walde mit Schusswaffe, der vollbekleidete nervous breakdown in der Dusche. Das Ganze in entsättigter Farbgebung, aus der Reinspergers rotbemalter Mund herausknallt – man bekommt es also mit optischen Klischées zu tun.

Reinspergers Spiel ist auch nicht gerade klischeebefreit. Sie entwickelt dabei aber so viel Wucht, dass sie alle Klischees im Moment ihres Erscheinens auch schon wieder zur Hölle jagt: und immer besser wird, je tiefer sie ihr Spiel ins Uneitle und Eklige treibt. Ihre Mitspieler Wolfgang Michael und Julian Keck legen ebenfalls einiges an virtuoser Gequältheit vor.

Auch wenn Dramaturgie vermisst und "Tatort" verwünscht werden – dass diese wenig huldigende Arbeit ein wichtiges Thema mit ins Brechtfestival-Programm bringt, ist erbaulich. Und wichtig ist das Thema "Brecht und die Frauen" (zum Nachhören der Podcast mit Stefanie Reinsperger) nicht nur, weil es ein Politikum in der Biografie eines politischen Autors darstellt. Sondern auch, weil "Brechts Frauen" einen relevanten Beitrag zum Werk vom relevanten Big B leisteten, also – Stichwort credibility – add them to the credits!

Und jetzt kommt Corinna Harfouch

Corinna Harfouchs Film "Fabriktagebuch/Die Mutter" scheint sich ebenfalls in Kritik am (gern sogenannten) Meister zu üben. Zitate führen ein in die Vorstellungen des Fabrikdirektorensohns BB vom Sozialismus. Beispiel: "Wir sprechen nicht für uns als kleiner Teil, sondern für die gesamte Menschheit [...]". Dagegen steht Simone Weils kritische Überlegung: "Wenn ich daran denke, dass die großen bolschewistischen Führer eine freie Arbeiterklasse zu schaffen behaupteten und dass wahrscheinlich keiner von ihnen je den Fuß in eine Fabrik setzte […], dann erscheint mir die Politik als ein übler Witz." Und was ist mit den großen sozialistischen Künstlern, die nie einen Fuß in eine Fabrik setzten? Die Frage schließt sich natürlich an.

harfouch1 ScreenshotCorinna Harfouch zeigt das Lehrstück und seinen Meister BB (Mitte) als Papierpuppenspiel © Brechtfestival / Screenshot

Simone Weil, einer wohlhabenden Familie entstammend, entschloss sich zu einem Jahr der selbstgewählten Plackerei als ungelernte Arbeitskraft in Elektro-, Metall- und Autoindustrie. Das in den Jahren 1934 und 1935 dazu geführte Fabriktagebuch wird hier versetzt mit Szenen aus "Die Mutter", Brechts Lehrstück nach Maxim Gorki über eine Frau, die sich aus Sorge um ihren Sohn in einen Aufstand von Fabrikarbeitern einmischt, dann überzeugte Kommunistin wird (übrigens mit der oben genannten Helene Weigel in der Hauptrolle bei der Berliner Uraufführung im Jahr 1932).

Erfreulich düster

Die Erzählerin des Lehrstücks tritt auf als Handpuppe in Harfouch-Gestalt – und mit Harfouch-Stimme. Diese teilt sie sich mit den gezeichneten, papiernen und auf Stöckchen geklebten Figuren des Brecht-Stücks. Harfouch leibhaftig sieht man in den Szenen, in denen sie in einem kargen Zimmer an einem Schreibtisch von losen Papieren "Das Fabriktagebuch" abliest. Sehr geschickt und unaufdringlich positioniert sich diese Arbeit – das Maß an Ernsthaftigkeit, welches jeweils der Bebilderung von Brechts und Weils Schriften entgegen gebracht wird, macht deutlich, wem Sympathie gilt.

harfouch2 screenshotCorinna Harfouch liest  © Brechtfestival / Filmstill 

Trotzdem parodiert die Inszenierung das Lehrstück nicht – sie scheint sich lediglich einer Strichmännchenhaftigkeit, Scherenschnitthaftigkeit, ja Handpuppenhaftigkeit zu bedienen, die bereits ein Charakteristikum des Textes selber ist. Damit schlägt Corinna Harfouch dem epischen Stil ein cleveres Schnippchen, ohne ihn zu verunglimpfen – denn alleine von den gelesenen Passagen könnte man in dieser Inszenierung trotz aller Harfouch'schen Bannkraft dann doch nicht zehren.

Die Eindringlichkeit der Schilderungen des Fabriktagebuchs und die konzentriert vorlesende Schauspielerin rufen die anfängliche Frage wieder herbei: Ist das ein übler Witz: der von den sozialen Realitäten abgeschirmte, intellektuelle Kampf gegen das Leid? Im Falle dieses düsteren und erfreulichen Films fällt es schwer, das zu bejahen.

 

Ich bin ein Dreck
Konzeption: Stefanie Reinsperger, Akin Isletme Regie: Akin Isletme Regieassistenz: Zoé Miray-Su Hamdemir Kamera & Schnitt: Bahadir Hamdemir Musik / Sounddesign: Bendrik Grossterlinden, Matthias Schubert
Mit: Stefanie Reinsperger, Wolfgang Michael, Julian Keck
Verlagsrechte: Suhrkamp Verlag Berlin / Bertolt-Brecht-Erben, Rowohlt Verlag

Fabriktagebuch / Die Mutter
Mit Texten aus Bertolt Brecht: "Die Mutter" (1933) und Simone Weil "Fabriktagebuch" (1934)
Idee, Konzept, Stückfassung: Corinna Harfouch
Regie: Corinna Harfouch, Hannah Dörr, Musik: Hannes Gwisdek, Kamera, Licht: Jesse Mazuch.
Dank an: Bo Anderl, Oscar Olivo, Suheer Saleh.
Verlagsrechte: Suhrkamp Verlag Berlin / Bertolt-Brecht-Erben

www.brechtfestival.de

 

Kritikenrundschau

"Stefanie Reinsperger legt die ganze Bitterkeit, Tragik, Verzweiflung, aber auch Wut einer früheren, kurz nach 1900 geborenen Frauengeneration in ihr wuchtiges, blitzschnell Stimmung und Ausdruck wechselndes Spiel", lobt Hubert Spiegel und stellt den Abend in seinem Festivalbericht für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (5.3.2021) nebst Suse Wächters Puppenspiel "Helden des zwanzigsten Jahrhunderts singen Brecht" im Augsburger Brecht-Festivalprogramm hervor.

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