Presseschau vom 11. März 2021 – Vergewaltigungsvorwurf gegen Ex-Intendanten Lignadis tritt #MeToo-Debatte in griechischer Theaterszene und Politik los

Große Dynamik

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11. März 2021. Dimitris Lignadis, im Februar zurück getretener Intendant des Nationaltheaters in Athen, ist in Untersuchungshaft aufgrund von Vorwürfen, männliche Jugendliche vergewaltigt zu haben, wie die taz berichtet (10.3.2021). Im Januar wurden durch die Berichte der olympischen Seglerin Sofia Bekatorou und anderer Athletinnen zahlreiche Vorfälle sexualisierter Gewalt im Sport öffentlich - jetzt greift die Debatte auch im griechischen Theaterbetrieb um sich und erreicht die Politik. In einem Interview äußern sich zu dem Fall um Ex-Intendant Lignadis der deutsch-griechische Regisseur Prodromos Tsinikoris und die Schauspielerin Antriana Andreovits, die letztes Jahr in den stellvertretenen Vorstand der griechischen Schauspieler:innen Union gewählt wurde. 

Tsinikoris und Andreovits berichten, dass verschiedene Medien das Problem herunterspielen und auf den Fall Lignadis reduzieren wollen - oder diesen als ein Opfer des Missverständnisses darstellen. So habe eine Journalistin des Fernsehsenders Skai gemutmaßt, dass Lignadis "einfach zu viele antike Stoffe gelesen habe und sich daher gern mit jungen Männern umgab" - so Tsikinoris in der taz.

Lignadis und sein Anwalt Alexis Kougias beschuldigten außerdem die Schauspieler:innen Union, die Vorwürfe der sexualisierten Gewalt in Reaktion auf Lignadis Kritik an der "finanziellen Intransparenz" der Union zu erheben. Antriana Andreovits kommentiert im taz-Gespräch: "Lignadis’ Anwalt ist in Griechenland sehr bekannt, allerdings nicht im guten Sinn, sondern für seine Aggressivität Opfern gegenüber, seinen Rassismus, seine Homophobie. Nun versucht er die Diskussion auf Boulevardniveau runterzubrechen und die Union zum Feindbild zu machen."

Auch von Seiten der Regierung und Opposition sieht Andreovits den Versuch, die Debatte für sich zu vereinnahmen und zu verfälschen. Es finde eine zunehmende Einordnung der Kunstszene als linkspolitisch statt. Darin sieht sie eine Taktik der liberal-konservativen Regierung, den Kampf gegen sexualisierte Gewalt  "als Teil der alltäglichen Parteipolitik und -konflikte herabzustufen."

Der Regisseur Prodromos Tsikinoris, der am Athener Nationaltheater die Experimentalbühne leitete, die in der Intendanz von Lignadis zur Bühne für antikes Theater wurde, schließt sich an. Ihm nach "wird die Kunst nun für die politische Positionierung missbraucht. Mitglieder der Regierung haben konkret ausgesprochen, dass die Kunstwelt von der Linken dominiert würde. Während – wie Sie sagen – Syriza, also die Linke, sich bislang kaum um die Kunst gekümmert hat."

Lina Mendoni, die Kulturministerin, die Lignadis 2019 im Rahmen der Regierungsübernahme durch die liberal-konservative Nea Dimokratia ins Amt rief, ist dabei eine zentrale Figur. Die Opposition fordert ihren Rücktritt - ihr wird vorgeworfen, die Missbrauchsvorkomnisse vertuscht zu haben. Sie weist das von sich und bezeichnet Lignadis öffentlich als gefährlichen Mann, der mittels Schauspiel die Wahrheit verfälsche. Sie sei demnach selbst getäuscht worden.

Antriana Andreovits von der Schauspieler:innen Union glaubt, dass das Thema noch eine große Dynamik entwickeln werde. Als Grund dafür, dass #MeToo Griechenland später als andere Länder erreichte, sieht sie die jahrelange schwere gesellschaftliche und politische Krisenlage des Landes. Und: "Wir sind ein kleines Land. In der Kunstszene kennen fast alle alle. Hinter einer Debatte wie #MeToo stecken Schicksale. So etwas sollte man daher nicht forcieren."

(taz / joma)

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