Böse Geister ignorieren

von Christian Rakow

München, 20. März 2021. "Und doch ist es weniger ein Mangel an Bildern, unter dem der afrikanische Kontinent leidet, als vielmehr ein Mangel an eigenen Denkfiguren und an der Erzeugung eigener Zukunftsmetaphern", schreibt der senegalesische Sozialwissenschaftler Felwine Sarr in seiner Studie "Afrotopia" (2016). Mit dem Kolonialismus, der gewaltsamen Ausbeutung von Ressourcen, dem Überstülpen fremder Sprachen und Praktiken wurde das einheimische Denken der "Herrschaft der mechanistischen Vernunft" unterstellt und also einer "Festschreibung des Primats der Quantität gegenüber der Qualität, des Habens gegenüber dem Sein". Dieser "Verwestlichung Afrikas", seiner Kultur, Sprache und Wirtschaft, müsse man begegnen, wolle man "Geist und Fantasie entkolonisieren" und den Kontinent neu positionieren.

Kolonialistische Kontinuität

Sarrs Text steht nicht in den Begleitmaterialien dieser Produktion und doch wirkt "'Wir Schwarzen müssen zusammenhalten'. Eine Erwiderung" schon mit seiner Auftaktszene wie ein künstlerisches Pendant zu dieser Entkolonisierungsutopie: Da stürzt Nancy Mensah-Offei in einem afrofuturistischen Raumanzug (Ausstattung: Julia Kurzweg, mit Ayanick Nini Nicoué) auf den harten Savannenboden Togos und landet mitten im Jahr 1914. Als "Geisterjägerin" stellt sie sich vor, im vollen doppelten Sinne: Expertin für Spukhaftes und Geistes-Jägerin, Ungeist-Jägerin. Gerufen hat sie der Funker Siegfried Gaba Bismarck (Komi Togbonou), dem ein konkreter Untoter zu schaffen macht: der einstige bayerische Ministerpräsident und CSU-Pate Franz Josef Strauß. Also der Strauß mit der Amigo-Affäre, Spiegel Affäre, Starfighter Affäre und und und. Aber vor allem der Strauß, der 1983 nach Togo reiste und den titelgebenden Kalauer raushaute: "Wir Schwarzen müssen zusammenhalten."

erwiderung3 560 Thomas Aurin uDer Funker (Komi Togbonou) und die Geisterjägerin (Nancy Mensah-Offei) © Thomas Aurin

Von diesem als unangemessen fraternisierend empfundenen Schulterklopfen aus starten Togbonou (in verspielter Kolonialoffiziersmontur) und Kosmonautin Mensah-Offei zur Zeitreise durch die entscheidenden Epochen deutsch-togoischer Beziehungen: aus der Kolonialzeit (1884 bis 1914) bis in die Globalisierungsschritte Anfang der 1980er, als sich die bayerische Fleischindustrie in Togo ansiedelte – mit dem Segen von Strauß (und reichlich Schmiergeldzahlungen an den örtlichen Machthaber). In der Gegenwart angekommen, vernimmt man schließlich, dass auf deutscher Seite Togo noch immer ein wenig als "Musterkolonie" angesehen wird und der Afrika-Beauftragte der Bundeskanzlerin noch 2018 in einem Interview zu Protokoll gab, die Kolonialzeit habe "dazu beigetragen, den Kontinent aus archaischen Strukturen zu lösen".

Die Wucht der Verwerfungen

Die Inszenierung, die Jan-Christoph Gockel mit seinem Ensemble kollaborativ hergestellt hat, wechselt elegant zwischen Dokumentarmitteln, popartigen Comic-Einblendungen und Live-Spiel im Bühnenraum. Im Februar war das Team vor Ort in Togo und hat Filmmaterial mitgebracht, das nunmehr dazwischen geschnitten, überblendet und spielerisch vermischt wird. In einer Live-Konferenzschalte aus der Hauptstadt Lomé erzählt Jeannine Dissirama Bessoga, dass die deutsche Kolonialzeit auch in Togo durchaus positiv erinnert, ja verklärt werde. Die bayerischen Importe fruchteten auch, sogar ein Oktoberfest gibt's. Dazu lässt Gockels vertrauter Puppenspieler Michael Pietsch einen süffigen Franz Josef Strauß als Holzpuppe auf Kniehöhe bajuwarisch jovial herumspazieren. Selbst seine Großwildjagd kommt noch leutselig daher.

erwiderung1 560 Thomas Aurin uNancy Mensah-Offei mit Franz Josef Strauß-Puppe © Thomas Aurin

Gockel hat dem Abend eine vorsichtige Eskalationsdramaturgie verpasst; lange bleibt's bei Anspielungen, in der Geste humoresk, gegenüber den Dokumentationen behutsam. Und dann kracht die Wucht der kolonialen Verwerfungen rein, wenn Kataloge von Medizinern ausgebreitet werden, die in Togo mit tödlichen Menschenexperimenten an Tropenkrankheiten forschten (einige wie Claus Schilling setzten ihr Tun später in Konzentrationslagern der Nazis fort). Im Anschluss schraubt sich Martin Weigel als Vertreter der ausgewanderten Fleischindustrie (in aufgepumpter Eishockey-Kluft) in brachialere Töne. Mit dieser Figur verbreitet sich das, was man mit Sarr den kruden Ökonomismus und das "Primats der Quantität gegenüber der Qualität" nennen dürfte.

Franz Josef Strauß-Schrumpfung

Gockel hat unlängst am Schauspielhaus Graz mit "Die Revolution frisst ihre Kinder" nach Burkina Faso geschaut und stand sich dort mit Anflügen von Theaterbetriebssatire noch ein wenig selbst im Weg. Dieser Abend aus dem benachbarten Togo wirkt weitaus konzentrierter, näher am Material, auch stärker auf die Kraft seiner Protagonist*innen Togbonou und Mensah-Offei bezogen. Die beiden finden einen guten Mittelweg zwischen Empörung und Comic Relief. Und sie schaffen es, als alle Zeichen auf Resignation stehen, das Ruder ins Emanzipatorische herumzureißen. Ins Finale stellt Mensah-Offei, die Geisterjägerin, ein Ritual: Franz Josef Strauß wird geschrumpft, immer kleinere Miniatur-Puppen von ihm tanzen heran. "Je mehr du ihn bekämpfst, desto mächtiger wird er. Du musst ihn ignorieren!", lehrt sie ihren Kompagnon Togbonou. Diese Faustregel gilt hier für den Umgang mit dem Amigo-Pfundskerl wie mit dem westlichen Denken überhaupt. Und dann folgt ein Gang ans Meer, sanfte Bilder aus Togo zu den Klängen von David Bowies "Cat People", als Auswaschung der Vergangenheit, Versöhnung mit der Gegenwart. "Diese Tränen müssen zu ihrer Quelle zurückkehren, damit sich der Kreislauf schließt", sagt Mensah-Offei und hat die Geister bezwungen.

"Wir Schwarzen müssen zusammenhalten". Eine Erwiderung
Eine bayerisch-togoische Zeitreise von und mit Ramsès Alfa, Dr. Kokou Azamede, Jeannine Dissirama Bessoga, Danaye Kalanféi, Nancy Mensah-Offei, Michael Pietsch, Komi Togbonou, Martin Weigel
Regie: Jan-Christoph Gockel, Text: Elemawusi Agbédjidji und Ensemble, Comic: Adodokpo Kokou Armand, Paulin Assem, Tsidkenu Ezechias Gbadamassi, Tsidkenu Ezechiel Gbadamassi, Wissenschaftliche Beratung: Dr. Kokou Azamede, Bühne und Kostüm: Julia Kurzweg, Kostüm-Kollaboration: Ayanick Nini Nicoué, Licht: Christian Schweig, Live-Kamera und Bildgestaltung: Eike Zuleeg, Bildmischung und Schnitt: Denize Galiao, Ton Filmszenen: Caled Boukari, Puppenbau: Danaye Kalanféi, Michael Pietsch, Dramaturgie: Olivia Ebert, Übersetzung und Übertitelung: Charlotte Bomy, Yvonne Griesel, Outside Eye: Kokutekeleza Musebeni, Koordination Recherchereise und Live-Stream Lomé: Goethe Institut Lomé (Edem Attiogbé, Séraphin N’Taré Adjogah).
Premiere im Livestream am 20. März 2021
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

https://www.muenchner-kammerspiele.de

 

Kritikenrundschau

"Gockels togolesisch-deutsche Koproduktion ist ein überbordendes Patchwork-Kunsterlebnis, kein abgefilmtes Theater, sie ist irre, witzig, klug und voller Zorn", schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (online, 21.3.2021). Seine Mischung "aus Film, Puppenspiel, historischen Dokumenten, Comic und Live-Theater" mache "das Unmögliche möglich" – und: "Digital überwindet Theater in Corona-Zeiten Grenzen und Kontinente", so der begeisterte Rezensent.

"Regisseur Jan-Christoph Gockel und sein Team betten akribisch recherchierte Fakten aus Vergangenheit und Gegenwart in eine fantastische Geschichte", berichtet Christoph Leibold im Bayerischen Rundfunk BR|24 (21.3.2021). "In Collage-Technik entsteht ein Bilderstrom, der vorzüglich auf dem Bildschirm funktioniert und einen hineinsaugt in verstörende Abgründe." Für den Kritiker ein "bestechende(r) Theaterabend".

Auf "eine intensive Zeitreise vom Ersten Weltkrieg bis heute, die die Gegenwart als eine Verlängerung der Kolonialgeschichte schildert", hat sich Mathias Hejny von der Abendzeitung (22.3.2021) begeben. "Aus den seuchenbedingten Theaterschließungen macht Gockel das Beste und nutzt den Livestream aus dem Werkraum souverän als multimediale Wundertüte, in der Genres und Erzählformen ebenso verschmelzen wie Orte und Zeiten". Die Inszenierung wirke "sehr fokussiert, von hoher Dichte und dennoch fast spielerisch".

Gockel wolle "viele Perspektiven sichtbar machen – zu viele", berichtet Barbara Behrendt im rbb Kulturradio (22.3.2021). "Die Science-Fiction-Sause schlägt einem Dokumente um die Ohren, ohne sie wirklich einzuordnen." Wie sich Strauß "die koloniale Vergangenheit Togos zunutze gemacht hat", bleibe "bruchstückhaft". Die Inszenierung gleiche einem "unsortierten Zettelkasten" und "ertrinkt letztlich in ihrer Materialflut".

Einem "vogelwilden Bühnen-Film-Crossover irgendwo zwischen Science-Fiction-Farce und bayerischer Dada-Groteske, angereichert mit wunderbar knalligen Comic-Animationen und einer Video-Live-Schaltung nach Togo", folgte Alexander Altmann vom Merkur (22.3.2021) und lobt am Projekt seinen "schönen Drall ins Absurde" ebenso wie den integrierten kolonialgeschichtlichen "Doku-Teil".

 

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