Die Pandemie kann Poesie

von Michael Wolf

13. April 2021. Ich habe beruflich und privat viel mit Sprache zu tun. Daher wurde ich hellhörig, als der CDU-Vorsitzende Armin Laschet kürzlich einen neuen Begriff zu prägen versuchte. Wann immer ein Mikrophon in der Nähe stand, forderte er einen "Brücken-Lockdown". Das Wort tönt etwas schief in meinen Ohren, ermöglicht eine Brücke doch Mobilität, anstatt sie einzuschränken. Zudem mag sie sich zwar absperren lassen, dann aber würde man eher von einem Brücken-Shutdown sprechen. Der Shutdown jedoch wurde, zu Anfang der Pandemie noch in aller Munde, vom Lockdown verdrängt, womöglich weil das Wort so hart klingt, an Schüsse erinnert. Die Brücke soll wohl Zuversicht und Verbindlichkeit transportieren, man denke an die "Berliner Luftbrücke".

Bezeichnend ist aber vor allem, dass Laschet es überhaupt für notwendig hält, seinem Lockdown einen Namen zu geben. Ich glaube, die Pandemie hat damit nicht nur sprachlich ein neues Level erreicht. Im "Lockdown light" vom November bezog sich das Attribut noch ganz auf den Inhalt des Vorhabens. Das "light" warb um Akzeptanz für maßvolle Einschränkungen. Die Brücke in Brücken-Lockdown hingegen beschreibt nicht die Beschaffenheit eines spezifischen Maßnahmenpakets, sondern grenzt dieses nur von früheren und kommenden ab.

kolumne wolfSprache hilft der Orientierung

Kritiker mögen argwöhnen, dass sich in dem Begriff die Hilflosigkeit der Politik ausdrückt, die nur immer wieder mit jenen Mitteln auf die Krise reagiert, die schon mehrmals nicht funktioniert haben. Ich persönlich habe noch immer keine Ahnung, wie man eine Pandemie am besten eindämmt, und sehe daher die Vorteile: Differenzierte Bezeichnungen dienen der Orientierung. Später können wir uns mal erzählen, dass wir im "Brücken-Lockdown" Monopoly gespielt, im "General-Lockdown" die Wohnung neu eingerichtet und im "Mini-Lockdown" Lego-Sets aufgebaut haben.

Nicht nur die Politik setzt Begriffe. Wir erleben seit einem Jahr eine rasante Veränderung der Sprache, ganz neue Wörter tauchen auf, verändern ihre Bedeutung oder treten aus ihren Nischen heraus. Die Zeitschrift Business Spotlight hat ein Glossar für krisenfestes Englisch online gestellt. Während früher wohl nur von "challenges" oder maximal von "pain points" die Rede war, lernen Manager nun alarmistische Vokabeln wie "to go stir-crazy" ("einen Lagerkoller haben") oder "panic-buying" (hamstern).

Alles kommt wieder

Gerade der an Kriegs- oder wenigstens Nachkriegszeit erinnernde "Hamsterkauf" oder auch die "Ausgangssperre" deuten darauf hin, dass auch für Wörter zu gelten scheint, was die Modeindustrie schon immer wusste: Alles kommt wieder. Oder entwickeln wir selbst uns etwa zurück? Das Wort "Herdenimmunität" erzählt für sich bereits eine ganze Geschichte vom Absturz in eine lange ignorierte alte Normalität. Sie handelt von einer Menschheit, die sich auf einmal mit der unangenehmen Tatsache konfrontiert sieht, Biologie nicht nur zu betreiben, sondern nach wie vor nicht viel mehr als eine Ansammlung von Tieren zu sein.

Aber es gibt auch Brandneues zu entdecken, das Corona-Glossar des Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache führt viele Novitäten auf. Hoffnungsvoll und widersprüchlich klingt der Begriff "Immunantwort", der die offensive Entgegnung als defensive Strategie verfolgt. Auch die "Hustenetikette" war längst überfällig. Und der "Intensivplatz" stiftet, abstrahiert man seine existenzielle medizinische Bedeutung, zu Tagträumen an. Wäre es nicht ein schöner Zustand, würde man – etwa im Theater – nicht einfach irgendwo Platz nehmen, sondern ganz bestimmt, ganz dezidiert, ganz intensiv dort sitzen?

Pro Mumeltier-Lockdown

Die Pandemie kann Poesie. In Österreich wird die empfohlene Entfernung zu Mitmenschen längst nicht mehr in schnöden Metern angegeben, man empfiehlt hier einen "Babyelefanten" Abstand. Die Werber von Jung von Matt haben das neue Maß entwickelt, es wurde sogar zum Wort des Jahres gekürt. "Unsere Aufgabe war es eine Symbol zu finden, das die Menschen lustig finden, sie aufregt, sich am Ende einfach bei ihnen auf eine Art und Weise festsetzt", so Werner Singer von der Agentur auf Nachfrage des ORF. "Es waren auch die Länge eines Besenstiels oder einer Riesenschildkröte im Gespräch." Vielleicht hätte Armin Laschet professionelle Beratung in Anspruch nehmen sollen. Ein Murmeltier- oder Faultier-Lockdown lüde sanft zum Rückzug in die eigenen vier Wände ein.

 

Michael Wolf, Jahrgang 1988, ist Redakteur bei nachtkritik.de. Er mag Theater am liebsten, wenn es schön ist. Es muss nicht auch noch wahr und gut sein. 

 

 Zuletzt schrieb Michael Wolf über das verräterische Verschwinden der Regieanweisungen.

 

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