Bis der Kopf platzt

von Michael Laages

Osnabrück, 16. April 2021. Frau von Storchs Geschichte passt: Die Berliner Sirene der blaubraunen Anti-Partei steht stramm im Erbe einer historisch stark belasteten Familie von alt-rechtem Oldenburger Adel. Und als sie Falk Richter die "Fear"-Attacke an der Berliner Schaubühne verbieten lassen wollte, hat sie alle Masken fallen lassen.

Aber warum landet eine wie Frau Weidel, die Finanzstrategin mit Wohnsitz in der Schweiz, am äußersten rechten Rand der Gesellschaft – und im Bundestag? Wie kann eine offenbar mäßig zurechnungsfähige junge Frau aus Kassel (Jana) es wagen, sich auf einer Demo in Hannover die eigene erbärmliche Rolle schön zu faseln, indem sie sich als Wiedergängerin des Widerstands von Sophie Scholl deklariert? "Kriegerinnen", das gemischt mediale Theaterprojekt des Teams um Regisseur Ron Zimmering am Theater Osnabrück, nimmt die Spur von Frauen auf, die den Lebenssinn für sich selber gefunden haben in Hass und Kampf von ganz Rechtsaußen aus gegen die liberale Kern-Gesellschaft.

Der Zoom-Kanal ist offen fürs Gespräch

Und wenigstens für Sekunden sollten sich Zuschauerin und Zuschauer der Premiere als Konferenz im Zoom-Format schon fragen, warum es hier nur um Frauen geht – weil dieses "Kriegerinnen"-Tum gerade von ihnen eher nicht zu erwarten wäre? An der Frage ist ja was dran – so tief durchseucht von Männermacht und Männerphantasien sind Denken, Theorie und Ideologie von rechts. Zimmerings Projekt fordert diese Kern-Frage, dieses Staunen ausgerechnet über rechte Frauen, nur zu Beginn heraus.

kriegerinnen 3 560 Rina Zimmering Ute Radler uFaible für Waffen: Juliane Böttger spielte eine der rechten Kriegerinnen © Rina Zimmering / Ute Radler

Gelegentlich wendet sich das Theater selbst ans Publikum vor dem Computer-Bildschirm: im virtuellen Diskurs, bei dem wir, die knapp hundert Gäste, das eigene Denken und Fühlen hinterfragen sollen; ganz für uns allein oder im Ja-Nein- oder Daumen-rauf-Daumen-runter-Verfahren bei eingeschalteter eigener Kamera. Der Horizont dieser Fragerunden ist weit gefasst – rechtes und rassistisches Gedankengut werden unhinterfragt in eins gesetzt; ein wenig mehr an Differenzierung zwischen Klassismus, Rassismus, Machismus und Faschismus wäre gelegentlich ganz hilfreich gewesen.

Mit Input von Expert*innnen

Eine Handvoll Osnabrücker Expertinnen und Experten im alltäglichen Umgang mit Menschen von ganz weit rechts sind in Video-Sequenzen befragt worden über eigene Erfahrungen; sie repräsentieren nun in der Aufführung die Haltungen der Zivilgesellschaft gegenüber rechtem Radikalismus. Ebenso zentral ist "Ein deutsches Mädchen", die Aussteiger-Biographie von Heidi Benneckenstein, die aus stramm rechter Nationalisten-Familie stammt und als sehr junges Mädchen Halt suchte und fand unter Kameradinnen und Kameraden in extrem rechten Gruppen. Drei junge Schauspielerinnen aus dem Osnabrücker Ensemble haben Benneckensteins Erinnerungen derart intensiv studiert, dass sie per Los oder gar auf Zuruf aus Publikum Benneckensteins Ego improvisieren und interpretieren können.

kriegerinnen 2 560 Rina Zimmering Ute Radler uDie Riege der Kriegerinnen: Juliane Böttger, Hannah Hupfauer, Hannah Walther © Rina Zimmering / Ute Radler

Außerdem lärmen sie sich als Mädchen-Band auch durch rechte Rock-Musik, optisch spektakulär erweitert um Sequenzen, in denen Baseballschläger Milch-Pakete spritzend zum Platzen bringen oder Äxte Rotkohlköpfe in Fetzen hauen. Für einen Augenblick liegt auch ein Kopf auf dem Hack-Klotz … uff.

"Wie ich Nazi wurde"

Wirklich problematisch aber geraten die "Biogramme" aus einem 1934, mitten im Aufschwung des deutschen Nationalsozialismus von Theodor Abel herausgegebenen Verherrlichungs-Buch unter dem Titel "Wie ich Nazi wurde" – die jungen Frauen hier, mit Zöpfen über Sportunterhemden mit Nazi-Emblemen drauf (ein per Kameratrick geklontes Zwillingspaar darunter wie Hanni und Nanni), berichten zum Gruseln leuchtend von der eigenen Erweckung und Berufung; dass allerdings ihr Traum von "Deutschsein" automatisch verbunden sein muss (und historisch nun mal war) mit der Vernichtung anderer Völker, scheint nie und nirgends durch. Nur ein Bild von den Leichenbergen in Bergen-Belsen, Dachau oder Buchenwald, nur eine jener Sequenzen verzückt-entrückter Hitler-Hysterie gerade von Verehrerinnen aus Joachim Fests Hitler-Film hätte eine Ahnung davon vermittelt, wohin die "Berufung" der Zopf-Mädchen führte. Was übrigens macht es mit jungen Schauspielerinnen (und in anderen Fällen natürlich auch mit jungen Schauspielern), wenn sie auf diese Weise den dokumentarischen Anspruch im Theater erfüllen … der Beruf tut sicher oft sehr weh.

Zimmerings Projekt hat einige wenige Macken, es wirkt zuweilen auch ein wenig überangestrengt; aber die Recherche ist dicht und kompakt, selbst da noch, wo sie sich ein bisschen verirrt. Und das durchaus riskante Konzept der Präsentation als Zoom-Konferenz funktioniert bei der Osnabrücker Premiere – das Team, das Ensemble, die Expertinnen und Experten kommen tatsächlich ins Gespräch mit uns, in der Aufführung selbst und erst recht danach. Wir reden miteinander. Was aber wäre, wenn tatsächlich auch von rechts mitdiskutiert würde? Das wissen wir nicht – und nach 90 Minuten ist auch kein Mechanismus in Sicht, der Frauen nach rechts treibt. Keiner weiß mehr.



Kriegerinnen
Projekt von Ron Zimmering
Uraufführung
Regie: Ron Zimmering, Bühne: Ute Radler, Kostüme: Benjamin Burgunder, Kamera & Schnitt: Rina Zimmering, Dramaturgie: Theresa Sophie Leopold, Theaterpädagogische Betreuung/Mitarbeit Interviews: Sophia Grüdelbach.
Mit Juliane Böttger, Hannah Hupfauer, Hannah Walther.
Premiere am 16. April 2021
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten

www.theater-osnabrueck.de

 

Mehr zu dem Stoffkomplex: Die Austeigerin-Biographie "Ein deutsches Mädchen" von Heidi Benneckenstein kam 2019 am Landesthater Schwaben auf die Bühne.

 

Kritikenrundschau

"Experiment geglückt", schreibt Christine Adam in der Neuen Osnabrücker Zeitung (19.4.2021) über diese "blitzgescheite" interaktive Streampremiere. 90 Minuten, die unter die Haut gehen, aber herkömmliches doch vermissen lassen." Mutig und entschieden nähert sich diese erste digitale Produktion des Theaters aus Sicht der Kritikerin seinem "heißen Thema". Die drei Spielerinnen meistern ihre Sache, so Adam weiter, "mit bewunderungswürdiger Präsenz". "Großartig erhellend" findet sie aber auch die Beiträge einiger Expert*innen. Ron Zimmering habe aus der Not digitalen Theaters eine perfekt inszernierte Tugend gemacht, die man sich nicht entgehen lassen sollte.

 

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