Presseschau vom 19. April 2021 – Intendant Wilfried Schulz in der FAS zur Rassismusdebatte am Düsseldorfer Schauspielhaus

Keine getrennten Räume

Keine getrennten Räume

19. April 2021. "Theater dürfen als künstlerische Arbeitsorte zu Recht an den ethischen Maßstäben gemessen werden, die sie auf der Bühne und in der Kunst vertreten. Kunst deckt weder Missbrauch noch Diskriminierung. Darüber herrscht selbstverständlich Konsens", schreibt Intendant Wilfried Schulz in einem Beitrag zur an Vorfällen an seinem Düsseldorfer Schauspielhaus entzündeten Rassismusdebatte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung – in der zuletzt ein von über 1400 Theaterschaffenden unterzeichneter Offener Brief gegen Einlassungen des Dramaturgen Bernd Stegemann veröffentlicht wurde, Stegemann hatte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das Düsseldorfer Schauspielhaus gegen die Rassismusvorwürfe verteidigt und sich im Zuge dessen abwertend über den Schauspieler Ron Iyamu geäußert, der die Debatte angestoßen hatte.

Der gesamte Theaterbetrieb sei darauf ausgerichtet, einen kollektiven künstlerischen Prozess zu ermöglichen, "der einerseits des Schutzes bedarf und der andererseits kein Alibi für Diskriminierungen jeglicher Art bieten darf", schreibt nun Wilfried Schulz in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. "Und an dieser Stelle diskutieren wir die Grenzen der Kunstfreiheit." Die Kunstfreiheit richte sich nicht nur auf die konkrete künstlerische Produktion, "sondern sie bewahrt auch das Theater als Institution vor der politischen Einflussnahme."

Der Safe Space, der eigene Produktionsraum, wie ihn in einem Offenen Brief ein Bündnis von derzeit am Düsseldorfer Schauspielhaus arbeitenden PoC-Theaterschaffenden um Natasha A. Kelly forderte, "darf nicht unser Ziel sein, wenn wir die gesellschaftliche Notwendigkeit von Dialog und Gemeinschaft ernst nehmen", so Schulz. "Also müssen wir auch für den Schutzraum der künstlerischen Arbeit Grenzen und Formen finden, um Diskriminierung und Verletzungen zukünftig zu verhindern."

Klar sei, dass sich das Stadttheater verändern müsse, wenn es weiterhin eine wichtige Rolle für die gesellschaftliche Selbstverständigung spielen wolle. "Denn die Theater und damit auch das Düsseldorfer Schauspielhaus bilden in den seltensten Fällen die diverse Realität der sie umgebenden Gesellschaft ab."

Das Theater habe viele Eigenarten, "unterschiedliche Tarifsysteme, die Kolleginnen und Kollegen auf und hinter der Bühne in sehr unterschiedlichem Maße absichern beziehungsweise einschränken, sehr viele unterschiedliche Gewerke unter einem Dach, ungewöhnliche und durchaus belastende Arbeitszeiten nicht nur abends und an den Wochenenden, Mehrschichtbetrieb und geteilte Dienste, Urlaub nur im Sommer, hoher Produktionsdruck".

Aus den Vorfällen und Diskussionen der letzten Wochen sei an seinem Haus bereits klargeworden, dass einige "bisher zu zögerlich begonnene Aktivitäten wie Antidiskriminierungs- und Critical-Whiteness-Workshops oder die Arbeit an einem neuen Verhaltenskodex" jetzt mit mehr Nachdruck betrieben werden müssten. "Damit sind keine Lippenbekenntnisse gemeint, sondern der Aufbau eines dauerhaft verankerten Weiterbildungsprogramms für alle im und am Düsseldorfer Schauspielhaus Arbeitenden, eindeutige Verantwortlichkeiten sowie klar benannte interne und externe Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für Betroffene."

Für Kommunikation und respektvollen Dialogs müssten Raum und Zeit geschaffen werden. "Das ist jetzt eine zentrale Aufgabe der Leitung des Theaters, es ist aber auch ein Appell an die Kulturpolitik, die diese Freiräume zulassen muss."

"Man kann die Meinung vertreten, dass in den Kulturinstitutionen in den vergangenen Jahrzehnten schon viel zu viel Zeit ungenutzt verstrichen ist. Doch wenn wir das Theater nicht zur Disposition stellen wollen, werden wir Geduld miteinander haben müssen. Wir müssen uns über nicht weniger als die Grundlagen unserer gemeinsamen Arbeit verständigen, dabei Fehler zulassen und verlorenes Vertrauen wieder aufbauen. Im Augenblick gibt es viele Antworten – aber noch mehr Fragen. Wenn wir sie ernst nehmen, können sie uns ein Kompass auf dem Weg in die Zukunft sein."

(sd)

 

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