Im Spannungsfeld

23. April 2021. In Zusammenhang mit der satirischen Web-Aktion #allesdichtmachen, mit der 53 Schauspieler*innen gestern die Corona-Maßnahmen kritisiert hatten, äußert Kulturstaatsministerin Monika Grütters in einer Pressemitteilung Kritik: "Bei allem Respekt vor der Freiheit der Kunst: Ich hätte mir von den an der Aktion '#allesdichtmachen' beteiligten Schauspielerinnen und Schauspielern deutlich mehr Empathie für die Menschen gewünscht, die vom Corona-Virus betroffen sind oder im Gesundheitssystem harte Arbeit leisten", heißt es in ihrem Statement.

"Es geht in dieser Naturkatastrophe um die Rettung von Menschenleben, das dürfen wir nie vergessen", so Grütters weiter. Zu einer "komplexen Abwägung in einer hochpolitischen Frage wie bei dem Infektionsschutzgesetz" gehörten Kontroversen, Kritik und alternative Anregungen dazu, sie habe auch Verständnis, dass Betroffene der Corona-Maßnahmen auf die spezifischen Einschränkungen für ihre Branchen oder Berufszweige hinwiesen. Doch "wie immer macht auch hier der Ton die Musik". Einmal mehr zeige sich, so Grütters, "vor welch große Herausforderungen uns die Gefahren der Pandemie im Spannungsfeld zwischen Infektionsschutz und Kunstfreiheit stellen".

Mit ihren Videos hatten die an #allesdichtmachen beteiligten Film- und Theaterschauspieler*innen – darunter Meret Becker, Ulrike Folkerts, Inka Friedrich, Jan Josef Liefers, Heike Makatsch, Nicholas Ofczarek, Trystan Pütter, Ulrich Tukur oder Hanns Zischler – auch in den sozialen Medien Kritik auf sich gezogen.

Sandra Hüller, Elyas M’Barek oder Laura Tonke wandten sich gegen die #allesdichtmachen-Aktion. Schauspiel-Kollegin Nora Tschirner kritisiert auf Instagram, an Jan-Josef Liefers gewendet, die "brandgefährlichen Stilmittel von Zynismus und Sarkasmus": "Als Schauspieler beschäftigt Ihr Euch täglich mit dem Stilmittel Sprache in all seinen Facetten. Und ihr müsstet wissen, wie sie wirkt. Mittlerweile ist doch wirklich dem letzten klargeworden, dass das nicht das Kommunikationsmittel eines nachhaltigen Diskurses sein kann." Auch Christian Ulmen schloss sich der Gegenaktion #allesschlichtmachen auf Twitter an, wie der Tagesspiegel berichtet.

Zurückgezogen haben ihre Videos u.a. Heike Makatsch und Meret Becker. Heike Makatsch postete eine Entschuldigung auf Instagram, in der es heißt: "Ich finde es wichtig, unsere nicht mehr wieder zu erkennende Welt auf irgendeine Art zu spiegeln oder zu kommentieren. Wenn ich damit rechten Demagogen in die Hände gespielt habe, so bereue ich das zutiefst." Meret Becker bezeichnet die #allesdichtmachen als "vielleicht zu zynisch gestaltete Kunstaktion" und erklärt in einem Instagram-Video, dass sie an den Corona-Maßnahmen die ungleiche Behandlung von Wirtschaft und Kultur störe. Auch die Webseite der Aktion ist nicht mehr online. Auf ein Laufwerk mit den Videos verlinkte auf Twitter der ehemalige Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen, der die Aktion als "großartig" bezeichnete. Auf diejenigen  Tatort-Schauspieler*innen, die bei der Aktion nicht mitgemacht hätten, darunter Maria Furtwängler, Axel Prahl oder Fahri Yardim, weist der Tagesspiegel hin. "Gefeiert wird die Aktion dagegen von Querdenkern, Rechtsextremisten und anderen Verschwörungsgläubigen", heißt es in dem Beitrag.

(Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien / Tagesspiegel / Instagram / eph)

 

Update vom 24. April 2021:

Distanziert haben sich von der Satireaktion #allesdichtmachen mittlerweile auch Ulrike Folkerts und Richy Müller, wie der Spiegel berichtet. Jan Josef Liefers verteidigte bei Radio Bremen das Projekt, zieht aber das gewählte Mittel in Zweifel: "Ich finde auch den Punkt interessant, dass vielleicht Ironie wirklich ein ungeeignetes Mittel ist", zitiert ihn der Spiegel. ER sehe aber eine Lücke, so Liefers: "Es gibt nicht nur auf der Seite der Erkrankten Trauer und Leid, sondern auch auf der Seite derer, die unter diesen Maßnahmen inzwischen nun wirklich anfangen zu leiden, die sehe ich nicht so richtig vertreten", sagte er dem Spiegel zufolge in der Talkshow "3nach9".

Armin Laschet, NRW-Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der CDU, Kanzlerkandidaten der Union, äußerte, ebenfalls in der Talkshow "3nach9", Verständnis: "Man darf das sagen in einem freien Land", betonte Laschet. Es sei "ganz schlimm", gegenüber Andersdenkenden zu leichtfertig der Vorwurf einer rechten Gesinnung zu erheben. "Von diesen 50 ist keiner AfD, ist keiner rechts", sagte Laschet in Bezug auf die Teilnehmer*innen der Social-Media-Aktion. "Sie haben eine andere Meinung als die Mehrheit." Er teile diese Meinung nicht, finde es aber wichtig, dass sie geäußert werden dürfe, so der Spiegel.

Ulrich Matthes hat bei 3sat kein Verständnis für die Aktion: "Das Wundern vieler Kolleginnen und Kollegen dieser 50, die jetzt sagen, 'Ach Gott, wir sind ganz erschrocken darüber, dass Hans-Georg Maaßen, die AfD und alle möglichen anderen aus der Querdenker-Szene jetzt begeistert von uns sind', halte ich für komplett naiv."

Zu Wort meldet sich auch der Geschäftsführer der Wunder am Werk GmbH, Bernd Wunder, dessen Agentur die Videos initiiert hatte. Dem Evangelischen Pressedienst epd sagte er, mit Gegenwind habe man gerechnet, nicht aber mit einem „Bashing“ in diesem Ausmaß, so der Spiegel: „Die Kulturschaffenden wollten Kritik äußern, aber niemals pietätlos sein; sie sehen die Gefahren von Corona“, sagte Wunder. Ziel der Kampagne für mehr Öffnung im Kulturbereich sei gewesen, mit den Mitteln von Satire, Ironie und Zuspitzung Gedankenanstöße zu geben, "den Diskussionsraum wieder zu öffnen und andere Meinungen zu hören". Nun sehe man sich "in eine Ecke gestellt mit rechten Verschwörungstheoretikern, Reichsbürgern und Corona- und Pandemieleugnern. Nichts liegt uns ferner", so Wunder. "Von der AfD sind wir weit, weit entfernt."

(Der Spiegel / 3sat / eph)

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