Theatertreffen 2007

tt 07 – Preisverleihungen und Abschlussdiskussion der Jury

Offene Bürgerwunde

von Esther Slevogt

Berlin, 20. Mai 2007. Eigentlich war das Theatertreffen schon fast zu Ende, die Bilanzen längst formuliert. Nur die Schlussdiskussion mit der Jury stand noch aus und die zwei Preisvergaben: der 3sat-Preis für, wie es so schön im Auslobungstext heißt, " zukunftsweisende Impulse für das deutsche Schauspiel", der diesmal an das "Dido und Aeneas"-Team Sebastian Nübling, Lars Wittershagen und Muriel Gerstner ging, sowie der Alfred-Kerr-Preis, mit dem seit 1991 viel versprechender Schauspielernachwuchs ausgezeichnet wird – in diesem Jahr Julischka Eichel aus Tilmann Köhlers Weimarer Ensemble.

Offene Bürgerwunde

von Esther Slevogt

Berlin, 20. Mai 2007. Eigentlich war das Theatertreffen schon fast zu Ende, die Bilanzen längst formuliert. Nur die Schlussdiskussion mit der Jury stand noch aus und die zwei Preisvergaben: der 3sat-Preis für, wie es so schön im Auslobungstext heißt, " zukunftsweisende Impulse für das deutsche Schauspiel", der diesmal an das "Dido und Aeneas"-Team Sebastian Nübling, Lars Wittershagen und Muriel Gerstner ging, sowie der Alfred-Kerr-Preis, mit dem seit 1991 viel versprechender Schauspielernachwuchs ausgezeichnet wird – in diesem Jahr Julischka Eichel aus Tilmann Köhlers Weimarer Ensemble.

Jurorin Martina Gedeck wartete darauf, ihre Laudatio zu halten, die aus London angereiste Judith Kerr, noch einmal ganz persönlich an den Stifter des Preises, ihren Vater Alfred zu erinnern. Und daran, dass es eigentlich ihr Mann Thomas Kneale gewesen ist, der einst die Idee zur Stiftung dieses Preises hatte.

Gegenwartstheater vom Tisch gewischt
Doch vorher trat noch der Präsident der Alfred-Kerr-Stiftung, Günther Rühle, ans Mikrofon. Er zog Bilanz über vierzehn Tage Theatertreffen, um dann mit großer Geste Peter Steins "Wallenstein" als souveräne Setzung gegen das Theater von heute zu feiern. Als Versuch, sich der Entwertung aller Werte durch das Gegenwartstheater entgegen zu werfen, deren Regisseure mit nichts anderem mehr beschäftigt seien, als alle Differenzierungen auf das Niveau puren Entertainments einzuebnen.

Ironischerweise sei Stein gerade mit jener Generation groß geworden, mit deren Erbe sich Nicolas Stemanns Eröffnungsinszenierung "Ulrike Maria Stuart" auseinandersetzen würde. Und während Rühle Stemann zumindestens noch zubilligte, den Sinn- und Bedeutungsverlust des Politischen auf dem Theater zu thematisieren und zu beklagen, wischte er den Rest des Gegenwartstheaters mit einer Handbewegung als belanglos vom Tisch.

Herzzereißendes Pathos vor Untergang der Titanic
Steins "Wallenstein" erinnere daran, dass Theater eine Zeitmaschine sei, keine Zeitverleugnung wie das Theater von heute, welches alle Themen und Stoffe in einen diffusen Gegenwartsbegriff eingemeinden würde. Und während man noch dachte, dass Steins Zeitmaschine doch eigentlich nur in hübsch dekorierte altdeutsche Tableaus und zu historisch-korrekt kostümierten Schauspielern geführt hat, die statt ewiger Werte nur noch totes Bildungsmaterial bewegen, lag in Rühles Rede plötzlich die ganze große Bürgerwunde offen, die der Verlust der eigenen Bedeutung und des liebsten Spielzeugs und Sinngenerators Theaters geschlagen hat, und wirkte das Pathos, mit dem Rühle noch einmal die die ganze vergangene Größe des Theaters beschwor, fast ein wenig herzzerreissend. Dies hatte allerdings auch den Effekt, dass einem die große Geste, mit der Peter Steins "Wallenstein" noch einmal auf das Wahre, Gute und Schöne zielt, plötzlich erst recht wie das letzte Ächzen der Titanic kurz vor ihrem Untergang erschien.

Rückkehr zur Kulinarik?
In der Schlussdiskussion der Jury argumentierte man dankenswerter Weise ein paar Nummern kleiner. Sympathisch, dass den JurorInnen viel daran lag, den subjektiven Faktor bei ihrer Auswahl zu unterstreichen. Die Tatsache zu betonen, dass hier kein programmatisch aufeinander abgestimmtes Gesamtfestival kuratiert, sondern immer nur einzelne Aufführungen diskutiert und ausgewählt würden. Selbstredend kam man trotzdem nicht um Stellungnahmen zur ewigen Ekel-und Edeltheaterdebatte herum, deren letzte Steilvorlagen von Jury-Mitglied Christine Dössel im Katalog des Festivals schließlich höchstselbst gegeben worden waren.

Und manchmal klang die Emphase, mit der einzelne Jurymitglieder die Kulinarik der diesjährigen Auswahl unterstrichen, eine Spur zu defensiv gegenüber den revanchistischen Frontalangriffen der Spiralblockfraktion der vergangenen Saison. Als hätte man sich in der Pflicht gefühlt, mit der Auswahl den Ekeltheatervorwurf zu widerlegen.

Und damit hat es die Jury natürlich auch wieder nicht allen Recht gemacht. Moderator Tobi Müller zitierte dpa, die auf dem Theatertreffen derbe Lesarten bekannter Stoffe und Spaßtheater gegen die Spaßgesellschaft dominieren sah. Diskussionsteilnehmer im Publikum vermissten das Politische, die Irritationen und irgendwie auch den emotionalen Kick. "Ja", fragte Jury-Mitglied Barbara Burckhardt, "was soll denn das Politische sein? Wenn man hinter dem Spass die Leere spürt, die da klafft, wenn die Inszenierungen das auch noch transportieren, dann ist das doch politisch!" Und Jury-Mitglied Karin Cerny gab zu bedenken, dass die Formulierung des Verlusts schliesslich auch schon eine Haltung sei.

Insgesamt registrierte Barbara Burckhardt bei den Theatern eine Bewegung auf das Publikum zu. Vielleicht, sagte sie, setze man dort nun auf Kulinarik, weil man sich aggressivere ästhetische Entwürfe im Moment nicht leisten könne, um das Publikum nicht zu verschrecken. Ja, und da lag sie dann offen, die ganze Tragik der gegenwärtigen Debatte. Dass nämlich der Bürger vom Theater einerseits Avantgarde verlangt, sozusagen erwartet, dass es mit der Sinnproduktion in Vorleistung geht. Andererseits droht er dem Theater mit Liebesentzug, wenn dessen Befunde nicht geschmackvoll genug ausgefallen sind. Aber dann soll man sich auch nicht beschweren, wenn man zur Strafe elf Stunden bei Peter Stein nachsitzen muss.

 

Kommentare  
Ekelkritiker?
Der Artikel von Ester Slevogt hat mich sehr belustigt.Bravo!Aber nicht das Publikum ist das Problem des Theaters, sondern die Schaltstellen der Feuilletons, die mit Leuten besetzt sind die offensichtlich einen Haß, verbunden mit einer irrealen Heilserwartung ,auf das ges.Regietheater haben, und die dem Theater zur Entwicklung keine Chance geben, es diffamierend kaputtreden,Wertungen abgeben ohne Differenzierung. Vielleicht ist so die Macht in den Feulletons zu zementieren,denn wer läßt sich schon gerne verunsichern.Aber es zeugt schon von einem borniert engen Blick. Man müßte mal statt über Ekeltheater über Ekelkritiker reden.
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