1000 Jahre Boys - Volkstheater Wien
Kein Gott ohne Prediger
von Theresa Luise Gindlstrasser
Wien / online, 12. Mai 2021. Pippi Langstrumpf macht sich die Welt, wie sie ihr gefällt. Und zwar in Dauerschleife. Bis das Knattern von Flugzeugmotoren unterbricht. "Der liebe Beuys, der muss noch einiges lernen." Und widdewidde wer will es ihn lehren? Jonathan Meese! Der zum 100. Geburtstag vom 1986 verstorbenen Kunst-Papa Joseph Beuys gemeinsam mit seiner Mutter-Mami Brigitte Meese im Wiener Volkstheater eine Online-Party schmeißt – "1000 Jahre Boys" – die den "verfilzten Beuys" befreien sollte. Also den jungen vom alten befreien, den Künstler vom Politiker, vom Parteigründer, vom Guru, von der Religion und von jedem aktivistischen "Aufruf zur Alternative".
Immer in Bewegung
Zu DAF und Sirtaki umrundet Meese – immer noch einen weiteren Hut, eine Tiermaske, einen Mantel von der Garderobe mitreißend – die leere Stelle, wo am Anfang ein Pferd stand und unbeteiligt dreinschaute. Er stampft und singt und spricht rastlos ins Mikrophon hinein, derweilen sitzt Brigitte Meese in einen Pelzmantel gehüllt und lässt sich als "alter Beuys" verhören und sitzt Dramaturg Henning Nass als "klassischer Beuys" mit Anglerjacke und Hut an der Seite und darf immer noch fünf Mal Sirtaki einspielen.
So ein Kreistanz, der führt nirgendwo hin. Und das will diese Kunst ja auch nicht, irgendwohin führen, sondern will totale Freiheit. Keine Politik, kein nix, nur tautologisch "Kunst, Kunst, Kunst". Eben! Aber andererseits: Kunst ist nie nur tautologisch, nie nur negative Theologie, nie frei von allem, sondern immer frei für ganz Bestimmtes. Meeses Werk ist dieser Selbstwiderspruch immanent. Der zwischen der Ankündigung einer totalen Kunst und dem Prediger, der sie notwendigerweise immer auf und für seine Weise, also sicher nicht total, ankündigen wird.
Auf der Bühne steht ein Kind
"Einhörner kennen keine Politik. Einhörner kennen nur Kunst. Einhörner sind das Gesamtkunstwerk", beteuert Meese. Und da hat er natürlich Recht. Einhörner können totale Kunst, aber Einhörner existieren halt auch nicht, genauso wenig wie irgendein Gott ohne Prediger existiert, oder Kunst ohne Menschen, Menschen ohne Politik existieren. Dass Meese in diesem Moment eine drollig-profane Tiermaske trägt, macht den Widerspruch zwischen Ankündigung und Ankündiger ausdrücklich. Auf der Bühne steht ein Kind, das die unmögliche Kunst will und gerne dafür scheitert.
Der Spaß vergeht jedoch, wenn Meese die Kunst als Diktatur denken will. Dann heißt es etwa: "Die überkultivierte, demokratische Gesellschaft ist degeneriert. Demokratie ist die Lehre des Mittelmaßes." Damit's auch wirklich niemand verpasst, gibt's noch den obligatorischen Hitlergruß in einer obszön nahen Naheaufnahme. Nämlich so nah, dass es fast schon ein Kommentar war. Nur bleibt unklar, was für einer.
Im Übrigen will Meese nicht nur den "Kunst-Beuys" vom "Polit-Beuys" befreien, sondern auch den deutschen vom französischen. Hä? Der "echte Beuys" war vielleicht ein Adept der Französischen Revolution, aber eine französische Staatsbürgerschaft hatte der nicht. Meese will auf anderes hinaus: Er identifiziert "politisch" mit "französisch" und setzt dem ein "deutsch" entgegen. Aber inwiefern wäre so eine unpolitische Total-Kunst "deutsch"? Meese bietet hierfür Endzeitstimmungs-Faschismus und Übermenschen-Ideologie an. Und da hat es wieder einen Widerspruch. Weil unpolitisch ist dieses Zeugs nicht. Könnten wir also mit Meese gegen Meese sagen, dass "deutsch" doch "politisch" ist, mithin "französisch", dass also "deutsch" überhaupt nur widersprüchlich, unselbstständig und gebrochen existiert?
"Du glaubst doch an die Kunst!"
Aber warum überhaupt soviel wohlmeinende Dialektik an den Abend herantragen? Das hat mit Brigitte Meese zu tun. Die Mutter-Sohn Beziehung konterkariert das Übermenschen-Gehabe, da wird der gerade noch erhobene Arm zur Stütze für den zu umsorgenden Menschen. Wenn Meese-Er wiederholt und wiederholt "Ich glaube an nichts", dann kommt von Meese-Sie: "Doch! Du glaubst an die Kunst!" Und dann ist der Selbstwiderspruch wieder als Selbstironie da, der Faschismus verflogen.
Alles in allem: eine komplizierte Geburtstagsparty. Und dabei wurde das Komplizierteste noch gar nicht zitiert: "Wir waren mit Kunst. Aber wir mussten nicht mitmachen." Dieses Mal ja tatsächlich ganz entspannt vom Sofa zuhaus.
1000 Jahre Boys
eine Online-Geburtstagsparty von Jonathan Meese, Henning Nass und Bernhard Schütz
Konzept und Soundtrack: Henning Nass, Ausstattung: Eleonore Carriere.
Mit: Jonathan Meese und Brigitte Meese.
Dauer: 2 Stunden, eine Pause
www.volkstheater.at
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