Vom Käfer dahingerafft

von Andrea Heinz

Wien, 26. Mai 2021. Wir Waldbäuerinnen wissen: Der Käfer ist ein Hund. Der Borkenkäfer nämlich. Thomas Bernhard, wenn auch kein Waldbauer, sondern Österreich liebster Nestbeschmutzer, wusste das auch. "Die Jagdgesellschaft", eines seiner selten gespielten, ihm selbst gleichwohl liebsten Stücke, handelt von der maximalen Zerstörung, im Menschen drin und um ihn herum: Ein mit Nachdruck als Ungustl markierter (Politiker, Großgrundbesitzer, Jäger, General) und zugleich höchst bemitleidenswerter, da in Stalingrad eines Armes beraubter Mensch, ein Mann, ist unheilbar erkrankt.

Jagdgesellschaft1 560 Susanne Hassler Smith uEin verwundeter Ungustl (Markus Scheumann) © Susanne Hassler-Smith

Draußen vor dem herrschaftlichen Jagdhäuschen wird derweil sein imposanter Wald vom Käfer dahingerafft. Seine Frau, im Jagdhäuschen sich mit einem Schriftsteller (ein recht deutliches Alter Ego des Autors) die Zeit mit Kartenspiel und Philosophiererei vertreibend, versucht, die in- wie auswändige Zerstörung vor ihm zu verbergen, was auch deshalb gut gelingt, da der Mann zu allem Überfluss dabei ist, zu erblinden. Die Bernhardschen Themen also: Gebrechen, Tod und Verfall wohin das Auge blickt, dazu gepflegte, Welt und Gesellschaft verachtende Konversation.

Schaukelpferdchen und Fleischerhaken

Lucia Bihler macht daraus in ihrer Akademietheater-Inszenierung einen Horror-Fiebertraum in Rot. Das Jagdhäuschen im Querschnitt füllt den Bühnenraum aus (Pia Maria Mackert), neben dem großen Salon mit Flügel, Kamin, Kronleuchtern und zwei Hasenställen (mit sehr putzigen, echten Hasen) ordnen sich auf beiden Seiten symmetrisch zwei Treppenhäuser mit Schaukelpferdchen und an der Wand hängenden Gewehren an, darüber befindet sich auf der rechten Seite ein Raum mit Badewanne, auf der anderen ein Zerlegeraum mit Messern und Fleischerhaken an der Wand. Ist schließlich ein Jagdhaus. Die Spieler*innen sind allesamt in roten Lack gekleidet (Laura Kirst), der Stil ist barock, man sieht Pumphosen, Wämser und Heerpauken (Marcus Scheumann als Schriftsteller zeigt kess Bein), Louis-Seize-Schühchen und Krinoline. Dazu werden lange, strähnige schwarze Haare kombiniert.

Es ist kalt

Jan Bülow als Holzknecht Asamer trägt (selbstverständlich roten) Lackmantel und Handschuhe mit langen, spitzen Fingern, seine Rolle ist die des ein bisschen grusligen, wortkargen Landburschens. Weil er ein Holzknecht ist, läuft er die meiste Zeit mit Axt herum, immer wieder verschwindet er hinter das Haus, wo man ihn durch die großen Fenster des Salons im leise rieselnden Schnee ein, zwei Scheite Holz hacken sieht. Denn es ist kalt. Viel geheizt aber wird nicht in diesem sparsamen Haushalt, trotzdem bald der Hausherr (Martin Schwab) mit zwei Ministern (Arthur Klemt, Robert Reinagl) erwartet wird, die zur Jagd eingeladen sind, den General aber unfreundlicherweise trotzdem stürzen wollen. Zu Bernhards Zeiten war Politik noch hart, keiner schickt dem General hier Bussi-Herzchen-HDGGGGDL-Sms. Auch nicht die etwas labil wirkende Köchin Anna (Dunja Sowinetz), die oben im Zerlegeraum irgendetwas durch den Fleischwolf dreht und nach der Jagd die Hasen-Bälger aufhängt.

Jagdgesellschaft3 560 Susanne Hassler Smith uAls Politik noch hart war: Gewalttraum in Rot (Ensemble) © Susanne Hassler-Smith

Bihler setzt nicht nur auf optische Überwältigung, sie arbeitet auch mit akustischen Effekten und Spielereien: Asamers Schuhe klackern laut und mit Hall verstärkt auf dem Boden, als ginge er die einsamen Gänge eines Vampirschlosses entlang. Wenn der Schriftsteller, den Markus Scheumann als androgynen, wild herummodulierenden und selbstverliebt dozierenden Menschen spielt, ein Buch aufschlägt, hört man es laut durch die Luft sausen. Mit einem verstärkten Axt-Hieb aus Asamers Hand werden jeweils die Blacks eingeleitet, in denen das Haus und seine Bewohner*innen ein Eigenleben entwickeln, als wäre es ein Traum oder ihre heimliche Phantasie. Das viel beschworene Verdrängte halt, das in diesem Land immer noch so penetrant herumgeistert. Das Haus wird – es ist Nacht (oder ist es das Unbewusste?) – plötzlich in ein kaltes, dunkles Blau getaucht, man sieht die Menschen darin einander mit Waffen bedrohen oder sich in immer wilderen Gewaltorgien ergehen. Ein maximaler Kontrast zum scheißfreundlichen Konversations-Ton, mit dem die Generalin (eine an ihrem Schicksal leidende, aber auch reichlich bösartige, elitäre Großbürgersfrau: Maria Happel), gerne selbst am Flügel Platz nehmend, die Gäste zum Singen und Tanzen animiert. 

Zu viel des Guten

Eine Erwähnung wert sind die engagierten Tanzeinlagen von Markus Scheumann, aber es sind auch Profis auf der Bühne: Prinzessin und Prinz, alternierend gespielt von Soleil Jean-Marain und Livia Khazanehdari bzw. Vito Vidovič und Soleil Jean-Marain, sind Tänzer*innen. Die Zwillinge wiederum werden von zwei Wiener Sängerknaben gespielt bzw. gesungen. Man merkt langsam schon: Es ist viel, visuell ebenso wie akustisch. Zu viel. So groß der Effekt zu Beginn noch ist, über die Dauer von zwei Stunden nutzt er sich ab, die Gewaltszenen sind irgendwann einfach nur noch plakativ, der Gesang und die hypnotische Musik (Komposition: Jörg Gollasch, Sounddesign: Thomas Felder, Clara Tesarik), so schön sie auch sind, erschließen sich nicht wirklich im Zusammenhang. In Summe zerfasern diese vielen Einzeleffekte und Ausschmückungen den Abend, es fehlt ihm an Konzentration und Klarheit. Leider. Bihler hat eine mutige Setzung gewagt, was ein Risiko birgt und in diesem Fall tatsächlich nicht aufgegangen ist. Trotzdem: Immer noch besser, als bequem auf Altbewährtes zu setzen.

 

Die Jagdgesellschaft
von Thomas Bernhard
Regie: Lucia Bihler, Bühne: Pia Maria Mackert, Kostüme: Laura Kirst, Choreografie: Paulina Alpen, Komposition: Jörg Gollasch, Sounddesign: Thomas Felder, Clara Tesarik, Licht: Norbert Piller, Dramaturgie: Alexander Kerlin.
Mit: Martin Schwab, Maria Happel, Markus Scheumann, Jan Bülow, Arthur Klemt, Robert Reinagl, Dunja Sowinetz, Soleil Jean-Marain, Livia Khazanehdari, Vito Vidovič, zwei Wiener Sängerknaben.
Premiere am 26. Mai 2021
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

https://www.burgtheater.at

 

Kritikenrundschau

"Lucia Bihlers monochrom-filmischer Blick entdeckt in der 'Jagdgesellschaft' die Untoten vergangener Gesellschaften", schreibt Uwe Mattheis in der taz (27.5.2021). "Das Schauermärchen, das diese Aufführung als Form wählt, lehrt vor allem einer Textposition das Fürchten, dem Schriftsteller." Die Konventionen des Genres forderten Suspense, das führe "trotz der streckenweise hohen Qualität der Darstellung" in kognitive und sprachmusikalische Dissonanzen. "Hier sind keine Seelen. Kein Drama, nirgends. Nur Sprache", so Mattheis.

"Furchtbar viel und zugleich enttäuschend wenig" habe Lucia Bihler aus diesem frühen Bernhard gemacht, schreibt Norbert Mayer in Die Presse (27.5.2021). Bei aller beeindruckenden Bildgewalt bleibe die Sprache "großteils auf der Strecke".

Habe man die Betriebsamkeit dieses Gruselmärchens erst einmal erkundet, falle es dem Abend schwer, sich weiter zu behaupten, schreibt Margarete Affenzeller vom Standard (27.5.2021). "Schon im mittleren Akt verliert die Inszenierung entschieden an Höhe, vor allem weil der Text, auf dessen Irrsinn von Anfang an nicht besonders viel Wert gelegt wird, unter die Räder kommt."

Worum es in 'Die Jagdgesellschaft' geht, interessiere Regisseurin Lucia Bihler herzlich wenig, mutmaßt Bernd Noack in der Neuen Zürcher Zeitung (31.5.2021). "Sie will allein visuell überwältigen." Die Farbe Rot beherrsche alles, bis hin zu den Lackkostümen. "Das ist dann aber auch schon die ganze Idee von Bihler."

 

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