Alles in Scheinordnung

von Michael Bartsch

Zittau, 4. Juni 2021. Wer beim Etikett "Sommertheater" in Verbindung mit dem Ortsnamen Zittau seine Erwartungen spontan herunterschraubt, ist schlecht beraten. Er oder sie würden sowohl die besonderen Umstände als auch die Qualität der Aufführung von Joe Ortons Krimikömodie "Beute" unterschätzen.

Britisches Gaunerstück mit Esprit

Zunächst feierte die Schauspielsparte des Gerhart-Hauptmann-Theaters Görlitz-Zittau mit dieser Sommerpremiere ihren erlösenden Endlich-Wieder-Tag nach sieben Monaten Schließzeit. Dass mit der Stückwahl zugleich ein langgehegter Wunsch von Schauspielintendantin Dorotty Szalma in Erfüllung ging, steht freilich nicht im Programmheft. Als junge Frau führte die gebürtige Ungarin in Budapest bei "Beute" ihre erste Regie. Seit ihrer Berufung nach Zittau 2013 suchte sie nach einer Gelegenheit, diesen schwarzen britischen Humor auch den Zittauern und Gästen zu vermitteln.

Beute 3 560 Pawel SosnowskiSchwarzhumorig: "Beute" © Pawel Sosnowski

Und das Kennenlernen dieses hier kaum gespielten, nur 34 Jahre alt gewordenen Autors lohnt sich. Seine lediglich drei Schaffensjahre für das Theater wurden übrigens 1967 von seinem Lebensgefährten Kenneth Halliwell mit neun fürchterlichen Hammerschlägen beendet, angeblich aus Eifersucht auf seinen Erfolg. Hätte er die Attacke überlebt, hätte Orton daraus und aus dem anschließenden Selbstmord Halliwells vermutlich auch ein gruftig-makabres Drama gemacht. Selbst die schröcklichste Moritat gerät bei dem britischen Autor zu einem sprachlichen Vergnügen mit aphoristischen Sätzen fürs Archiv. Man versteht, dass es den Sprachvirtuosen und Begriffsschöpfer René Pollesch zu einer Übersetzung drängte.

Klamottig, aber intelligent

Die Handlung ist komödienturbulent: McLeavys Sohn hat mit seinem Freund eine Bank ausgeraubt, in den 1960ern geradezu ein Volkssport und irgendwie auch eine klassenkämpferische Umverteilungsgeste im Sinne des Brecht’schen Bankgründungsspruchs. Die beiden benehmen sich anschließend so herzlich dilettantisch, dass man sie einfach mögen muss. Wie konnten sie auch in den Parallelkonflikt verwickelt werden, der durch das nicht ganz zufällige Ableben von Mrs. McLeavy ausgelöst wird? Eine ominöse und körperlich stark präsente Hauskrankenschwester namens Fay hat es offenbar auf reiche Witwer oder Männer abgesehen, von denen schon sieben völlig unverdächtig an ihrer Seite starben.

Die Leiche der verstorbenen Hausherrin landet statt auf ihrer Beerdigung im Schrank und wird dann als Schneiderpuppe in slapstickhaften Szenen herumgeschubst, während die Bankbeute in ihrem weißen Sarg keinesfalls so sicher lagert wie erhofft. Die ermittelnde weibliche Scotland-Yard-Parodie Mrs. Truscott tarnt sich als Beamtin der Wasserwerke nur schlecht, schlüpft aber gegen Beteiligung an der Beute ebenfalls clever unter die mafiöse Decke. 

Beute 2 560 Pawel SosnowskiGeld statt Gattin, Schrank statt Sarg: Makaberes ereignet sich vor rosa Rosen © Pawel Sosnowski

Die Verruchten, die sich sukzessive verschwören und verfilzen und am Ende Mr. McLeavy opfern, den einfältigsten im Personarium, entziehen sich in dieser komödiantischen Brechung jeder moralischen Verurteilung. Du musst ein Schwein sein in dieser Welt, und wenn alle mitmachen, genügt es, ein bisschen Anstand zu simulieren. So schließt das Stück und müsste allein schon deshalb einen Schock auslösen, wenn es nicht zuvor auf heimtückische Weise Wiedererkennungseffekte beim Zuschauer und damit Sympathien ausgelöst hätte.

Keine Schuld, nirgends

Abgemildert wird ein Bestürztsein ob der Untaten auch durch die Szenerie der Aufführung, die Sommerspielstätte im Klosterhof gegenüber des Theaters in der Zittauer Innenstadt. Die historischen Gräber hier passen wohl zum morbiden Geschehen, ebenso zwei Steinskulpturen auf der Bühne, die wie herausgelöst aus dem Ambiente wirken. Aber der aufgebaute Bühnenpavillon in blumengeschmücktem Unschuldsweiß lenkt optisch von allen Untaten ab, und die hineinhängende Weide trauert auch nur ein bisschen.

Regisseurin Olga Wildgruber, zum dritten Mal in Zittau engagiert, gibt zwar dem sprichwörtlichen Affen den verdienten Zucker, vermeidet aber naheliegende Plattheiten. Es hat postumes Niveau, wie die Ensembleseniorin Sabine Krug als durchaus noch teilbewegliche Leiche alle Versuche mitspielt, sich ihrer zu entledigen. Natürlich muss eine solche Krimi-Farce Typen präsentieren, aber sie werden erfreulicherweise nicht als Stereotypen gespielt. Dem Ensemble ist die Lust anzumerken, endlich wieder "losgelassen" zu werden.

Jeder ahnt, dass es bei Orton um Bloßstellungen einer Scheinmoral geht, um die Selbstverständlichkeit des Kriminellen. Zeitlose Bonmots amüsieren auch intellektuell, etwa "Ich erwarte gar nichts, ich bin eine Frau" oder "Ich kann Sie nicht heiraten – Sie sind nicht katholisch und Sie haben den falschen Kontostand". Intendantin Szalma vergleicht das Publikumsecho damals in Ungarn vor Orbán mit dem jetzt in Zittau. Während ihre Landsleute besonders über die zahlreichen Anspielungen und das Gelästere laut gelacht hätten, frage man sich hierzulande, ob solcher Spott über den Staat, seine Staatsbürger und seine Beamten erlaubt sei. Aber nach der Verteilung der Banknoten-Beute hat auch auf der britischen Insel alles wieder seine Scheinordnung.

 

Beute
von Joe Orton, deutsch von René Pollesch
Regie: Olga Wildgruber, Ausstattung: Antonia Kamp, Dramaturgie: David Mews
Mit: Tilo Werner, Sabine Krug, Patricia Hachtel, Paul Antoine Nörpel, Fabian Quast, Martha Pohla und Philipp Scholz
Premiere am 4. Juni 2021 
Dauer: eine Stunde 50 Minuten, eine Pause

www.g-h-t.de

 

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