Viel Blut auf weißem Nachthemd

von Anna Landefeld

Münster / Online, 5. Juni 2021. Aus schwarzer Unschärfe kommt sie auf uns zu. Leicht wankend, leicht gebückt die Arme ausgebreitet, als wolle sie uns gleich überwältigen und mit ihrem violetten Mantel verschlucken. Näher kommt sie, diese Gestalt mit dem silbernen Haar, dem bleichen Gesicht und dem mythisch-gekrönten Haupt. Wer ist sie? Sie wird uns warnen, noch bevor es richtig losgeht: "Denn ich bin all das, was Sie befürchten." Die Augen weißäpfelig, auf der Stirn starrt das dritte in Auge in blau. Die Geschichte, raunt die Heidnische dunkel, sei immer die Geschichte der Helden, der Gewalt, und wer diese habe, habe die Macht. Kurzum: nicht die Frauen*. Die wurden über Jahrhunderte christlich-patriarchal geframed und in zwei Kategorien eingeteilt: Jungfrau oder Hure? Unbefleckte Gottesmutter Maria oder sündige Maria Magdalena, Zeugin von Jesus' Tod und Auferstehung.

Aufmüpfig oder schwererziehbar?

So spitzt es Autorin Svenja Viola Bungarten in ihrem dritten Theaterstück "Maria Magda" zu und hat eindeutig keine Lust mehr auf solchen Dualismus. Keinen Monat ist es her, dass die Dramatikerin dafür den deutschsprachigen Autor:innenpreis beim diesjährigen Heidelberger Stückemarkt gewann. Theresa Thomasberger hat das Stück als gothy Horrorstory am Theater Münster inszeniert, nun hatte es online Premiere. "Maria Magda" ist auf Krawall aus und es geht um nicht viel weniger als das große Ganze: Reproduktionsmythen, die Erbsünde, um biblische Erzählungen von Weiblichkeit, Mutterschaft, Sexualität und zu guter Letzt, und das nur logischerweise, marxistische Theorie und Kapitalmaximierung.

MariaMagda 2 560 Oliver Berg uMädels-Trio im katholischen Internat für schwererziehbare Mädchen: Lea Ostrovskiy, Marlene Goksch, Rose Lohmann in "Maria Magda" © Oliver Berg

Puh, könnte man meinen, bei all der Theorie. Doch nichts da. Bungarten lässt alles in einem katholischen Internat für schwererziehbare Mädchen spielen, ein bisschen Mythen, ein bisschen Splatter. Die Selbstermächtigung der Frauen ist ja nun einmal auch eine adoleszente Coming-of-Age-Geschichte, eine kurze im Vergleich zur Jahrtausende währenden weiß-männlichen Machtakkumulation.

Religionskritische Phantasmen

Regisseurin Theresa Thomasberger hat ein gutes Gespür für Bungartens anti-naturalistischen Furor. Alles ist hier ziemlich campy und bizarr. Die Internatsbewohnerinnen sind drei nervtötende 90's-Girls. Lea Ostrovskiy als Magda pretty in pink – vom Trainingsanzug bis zu den Kontaktlinsen, Rose Lohmann als Hildie all black im Kunstlackmantel und Marlene Goksch bauchfrei und mit Dauerkaugummi.

Ganz Internat, spielt sich das meiste in zwei mintgrünen Betten ab vor rosa Tapeterie. Hier erzählen Magda und Hildie dem Neuzugang Maria großmäulig die Gegengeschichte der Hexenverfolgung. Sie erzählen von den Nonnen, die hier einst lebten und die männliche Hexenmeister verfolgt und getötet haben sollen. Das sprudelt herrlich dialogisch. Der gelenkte Blick der Kamera und der Schnitt tun hier Gutes, zeigen überdeutlich den Widerwillen, die Angst und die Wut in den Gesichtern der drei Schauspieler:innen. Dazu Regine Andratschke als Grandseigneura, nur halb Nonne, zur anderen Hälfte Film-Noir-Vamp mit rotlackierten Fingern und Lippen, die ihre Schützlinge durch Jalousien beobachtet.

MariaMagda 3 560 Oliver Berg uBrüste und Augen im Bühnenbild von Mirjam Schaal © Oliver Berg

Und über der Internatsszenerie hängt Abscheuliches: blutige Brüste, ein riesiges Paar Augen und ein Kopf mit herausgestreckter Zunge. Schauderhaft. Noch schauderhafter, weil durchaus real-katholisch wird es nur noch dadurch, dass es sich um die abgeschnittenen Brüste der heiligen Agatha von Catania, um die herausgerissenen Augen der heiligen Lucia von Syrakus und den abgeschlagene Kopf der heiligen Barbara handelt. Sie schweben (in Form eines Kreuzes?) über dem Boden, mahnen und gedenken stellvertretend diesen drei Opfern misogyner Gewalt.

Gottes Strafe ist der schlimmste Horror

Bungarten umspielt immer wieder Horrorgenre-Motive, Regisseurin Thomasberger tut es auch. Licht aus, Licht an. Personen, die gerade noch da waren, sind auf einmal verschwunden. Dazu rote, schwarze Beleuchtung, wenn es besonders alptraumhaft wird. Blut auf weißem Nachthemd. Dazu das The-Shining-Dröhnen von Komponist Oskar Mayböck und die seltsame, videoprojezierte Fratze eines kleinen Jungen, der den Mädchen immer wieder im Traum erscheint. Der Griff in die Theatertrickkiste ist vielleicht einfach, aber auch zauberhaft kurzweilig und mittlerweile ungewohnt.

Bei so viel surrealem Krawall ist es nur eine Frage der Zeit, bis Gott selbst zu Wort kommt. Doch so richtig was zu melden außer Drohungen hat er nicht. Thomasberger versteckt diesen Gott hinter verzerrter Computerstimme, ohne körperliche Gestalt irgendwo abstrakt von oben herab wie einen miesen kleinen Erpresser am Telefon: "Maria, du kleine Bitch. Weil ich ein Gott bin, werde ich dich vergewaltigen.  (…) Du wirst schwanger werden und einen Sohn mit einem gekrönten Kopf aus der Fotze pressen. Dieser Sohn wird die Menschheit in mein Reich führen. Das Reich der Väter, der Männer und der weißen Vorherrschaft." – Wow. Das trifft und sitzt. Dieser Gott wird diese Sätze sechsmal wiederholen. Sechsmal, weil Bungarten uns sechs verschiedene Enden der Geschichte gibt. Wie es ausgeht, ist eigentlich einerlei. Wichtig ist das, was danach kommt: der Anfang nach dem Ende. Hier wird es auf einmal pathetisch, schlicht und ernst. Zeit für eine neue Geschichte.

Maria Magda
von Svenja Viola Bungarten
Uraufführung
Inszenierung: Theresa Thomasberger, Bühne und Kostüme: Mirjam Schaal, Komposition/Musik: Oskar Mayböck, Video: Louis Caspar Schmitt, Dramaturgie: Barbara Bily.
Mit: Regine Andratschke, Marlene Goksch, Rose Lohmann, Ulrike Knobloch, Lea Ostrovskiy, Leon Maria Spiegelberg.
Online-Premiere am 5. Juni 2021
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theater-muenster.com

 

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