29. Oktober 2008 – Pressemitteilung des Deutschen Schauspielhauses zu "Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?"

Ist's möglich?

Hamburg, 29. Oktober 2008. Das Deutsche Schauspielhaus Hamburg teilt mit:

"Mit äußerster Verblüffung haben wir die Stellungnahme der Kultursenatorin zu unserer Aufführung "Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?" zur Kenntnis genommen. Gemeinhin üben sich die politisch für die Kultur Verantwortlichen klugerweise in öffentlicher Solidarität oder in Zurückhaltung gegenüber den Ihnen anvertrauten Theatern, außer in Fällen pflichtwidrigen Verhaltens einzelner, sprich: des Intendanten. Üblicherweise werden kritische Fragen intern ausgetauscht oder als Meinungsverschiedenheiten ausgetragen, sei es im persönlichen Kontakt, sei es im zuständigen Gremium des Aufsichtsrats.

Hier liegt nun der Fall vor, dass die Senatorin von Welck der Öffentlichkeit die Meinung der Bürgerin von Welck über eine Aufführung des Deutschen Schauspielhauses mitteilt, wovon der betroffene Intendant nur per Fax Kenntnis erhält, nicht im direkten Gespräch. Dass die Senatorin sich bemüht, das Wohlwollen potenter Sponsoren für ihre politische Arbeit nicht zu gefährden, die sie offensichtlich durch den Theatervorgang gefährdet sieht, indem sie auf das wohltätige Tun dieser Menschen verweist, ist nachvollziehbar. Dies steht aber während des ganzen Abends nicht infrage und nicht zur Diskussion.

Dass sie zu diesem Zweck als Bürgerin spricht, die eine Meinung zu der Vorstellung hat, ist das Problematische an dem Vorgang. Denn natürlich ist die Eine nicht von der Anderen zu trennen. Und ihre Beurteilung reduziert sich nicht auf die ihr als Inhaberin der Dienstaufsicht einzig zustehenden Fragen, sondern resultiert aus falschen Schlüssen bei der Betrachtung der Bühnenvorgänge.

Für jede Aufführung gilt, dass alle Äußerungen auf der Bühne lediglich die subjektiven Äußerungen des/der Sprechenden sind, gleich, ob Individuum oder Kollektiv. (Das unterscheidet sie von jeder veröffentlichten Nachricht, die nicht ausdrücklich als Kommentar gekennzeichnet ist.)

Wer da spricht, ist im Zusammenhang der Aufführung völlig unzweifelhaft, ebenso, aus welcher Verletzung heraus das geschieht und mit welcher Intention. (Was sich im übrigen dem Publikum in beiden bisher stattgefundenen Vorstellungen unmittelbar erschlossen hat - mit der entsprechenden Betroffenheit.)

Dies zu unterschlagen, heißt, den szenischen Vorgang zu verkennen und den Verantwortlichen der Produktion und des Hauses zu unterstellen, sie wären nicht in der Lage, gesellschaftliche Vorgänge differenziert und auch abweichend von der auf der Bühne vertretenen Haltung zu beurteilen. Jenseits aller subjektiven Bewertungen nimmt die Aufführung unzweifelhaft eine polemische Haltung ein, indem sie sich die Haltungen der Agierenden zunutze macht und die literarische Vorlage aus dem Jahre 1964 in die Wirklichkeit des Jahres 2008 fortschreibt, allerdings in einer Weise, die den Bewertungsmaßstäben der Bürgerin von Welck, wie sie in der Pressemeldung der Senatorin zum Ausdruck kommen, nicht entspricht. Das ist nun allerdings der Aufführung nicht vorzuhalten.

Was schließlich die inkriminierte "Stelle" betrifft: Es geschieht nicht mehr, als dass bereits veröffentlichte Informationen zu Gehör gebracht werden, der Blick aus der Tiefe von 324 Euro zu den Höhen von hunderten Millionen und Milliarden gerichtet wird. Das gesellschaftliche Verhalten der aufgelisteten Personen wird weder genannt noch bewertet, ungeachtet der von ihnen erwiesenen Wohltaten. In diesem Zusammenhang spielt das Zahlen ihrer Steuern als staatsbürgerliche Selbstverständlichkeit keinerlei Rolle (es sei denn, man wolle sie angesichts der in jüngster Zeit veröffentlichten Fälle von Steuerhinterziehung, die eine ganze Klasse in Verruf gebracht haben, als Wohltaten bewerten).

Die Genannten sind allerdings Teil einer Gesellschaft, die sich auf scharfe Weise in Arm und Reich scheidet. Mehr teilt der Abend an Tatsachen nicht mit. Wer wird hier in Misskredit gebracht? Bringt den Reichen sein Reichtum in Misskredit?

Abgebildet wird ein Zustand, auch eine Haltung. Über Armut darf geredet werden, über Reichtum nicht? Ein Wirtschaftsmagazin darf, wir nicht? Potentielle Sponsoren bestimmen, was auf der Bühne stattfindet und was nicht? Wissen muss man freilich, dass, noch ehe die Bürgerin eine Anschauung, die Senatorin bereits eine Meinung hatte und vom Intendanten schon vor der Premiere unter Hinweis auf seine Pflichten verlangt hat, den inkriminierten Teil der Aufführung zu unterbinden."

 

 

mehr medienschauen