Presseschau vom 30. Oktober 2008 – Volker Löschs Inszenierung "Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?"

Skandal!

Maike Schiller hat am 29. Oktober im Hamburger Abendblatt über von Welcks Pressemitteilung als Erste informiert. Sie weiß auch zu bestätigen, dass von Welck versucht habe, Einfluss auf die Inszenierung zu nehmen. Meike Harms, Mitglied des Hartz-IV-Chors, berichtet Schiller zufolge: "Uns hat man gesagt, dass sie vor der Premiere deshalb mit dem Intendanten gesprochen hat. Ich fand es irre, dass diese Frau das Stück noch gar nicht gesehen hatte und den Epilog verbieten lassen wollte." Auch Volker Lösch, Regisseur des Stückes, bestätigt den versuchten Eingriff in die künstlerische Freiheit: "Sie hat versucht, Einfluss zu nehmen. Das hat mir Herr Schirmer so erzählt." Die Kultursenatorin sagte dagegen: "Das stimmt nicht!" Lösch wiederum empfindet auch die Pressemitteilung von Welcks "als Versuch einer Einflussnahme".


Überdies hat das Hamburger Abendblatt bereits am 27. Oktober die vier Namen jener Personen veröffentlicht, die auf der Bühne nicht verlesen werden durften; in derselben Ausgabe hatte Maike Schiller den Abend auch schon einmal kommentiert: "Dass eine – allerdings ohnehin öffentliche – Liste reicher Hamburger anklagend und fordernd verlesen wird, ignoriert die glänzende Kehrseite der Medaille: In keiner deutschen Stadt engagieren sich wohlhabende Bürger mehr für die Allgemeinheit als in Hamburg." Dennoch handele es sich hierbei auch "um einen aufklärerischen Vorgang": Die Debatte werde "befeuert, ein Weiterdenken angeregt". Im "idealistischen Fall" führe die Empörung über die Theater-Satire "zu einer Empörung über reale Missstände". Denn dieses Theater sei zwar vielleicht "vorlaut oder geschmacklos" trage jedoch "keine Schuld an der Wirklichkeit, die es sich vornimmt".

Petra Schellen weist in der taz Nord (28.10.) zudem auf "eine merkwürdige Schizophrenie" hin, die der "Hamburger Theaterskandal" offenbare: Einerseits sei die Stadt stolz auf ihre Betuchten und diese auf ihr "mäzenatisches Engagement". Politiker würden "nicht müde, gerade Kulturschaffende auf entsprechende Geldquellen hinzuweisen". Andererseits wolle man auf der Bühne "plötzlich nicht genannt werden". "Ist es die Angst, mäzenatisch in die Pflicht genommen zu werden – jetzt, da jeder ihre Adresse kennt? Treibt sie die Furcht um, in puncto Spendenfreudigkeit mit anderen, großzügigeren Kollegen verglichen zu werden?", fragt Schellen. Das könne man nur mutmaßen. Solche "Heimlichtuerei" irritiere jedoch schon deshalb, weil sämtliche Namen ja auch im Manager Magazin veröffentlicht stehen. "Aus dem Munde von Hartz-IV-Empfängern, die den längst fälligen Aufstand der Armen wenigstens auf der Bühne proben, möchten die Reichen derlei nicht hören."

Im Hamburger Abendblatt vom 30.10. kann Maike Schiller berichten, dass zusätzlich zu den vier Hamburger Bürgern, die ob der Namens-Verlesung mit einer einstweiligen Verfügung gedroht hatten, "inzwischen auch der Hamburger Mäzen und Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma das Theater" gebeten habe, "seinen Namen aus dem Epilog zu entfernen". Sie vermeldet, dass sich die Aufregung um die Lösch- Inszenierung nun "endgültig zur politischen Affäre um die Kultursenatorin" ausweite. Laut Schirmer habe von Welck ihn am Tag der Premiere um einen Rückruf gebeten, der auch erfolgte: "Sie war freundlich im Ton, aber umstandslos. Sie beharrte darauf, dass ich der Kultur schade, wenn ich den Epilog nicht streiche." Gegenüber dem Abendblatt habe de Welck am Mittwoch hingegen noch einmal bekräftigt, dass sie nicht versucht habe, auf die Inszenierung Einfluss zu nehmen. Und Volker Lösch frage: "Leben wir nur in einer scheinbaren Demokratie, in der wohlhabende Cliquen so viel Einfluss auf die Senatorin haben?"

In ihrem Kommentar in derselben Ausgabe erinnert Schiller noch mal daran, dass Karin von Welck "zu den umtriebigsten Senatorinnen des Senats" gehöre, die u.a. das "Renommierprojekt" Elbphilharmonie verantworte und in der Hamburger Gesellschaft "einen sehr guten Ruf" genieße. Jetzt allerdings scheine die Senatorin überfordert. Dass sie behaupte, "sich 'als Bürgerin' zu äußern, wenn sie öffentlich die Inszenierung eines Theaters kritisiert, ist mehr als ein ärgerlicher Irrtum": "Anmaßend" sei das, schließlich lasse "ein einfacher Bürger (...) seine Meinung nicht über die Pressestelle einer Behörde verbreiten" und eine eine Senatorin nutze ihren Apparat nicht für eine "erklärtermaßen private Meinungsäußerung". Sollte sie überdies Intendant Schirmer "tatsächlich zum Eingriff in eine Inszenierung aufgefordert haben, hieße das nichts anderes, als die Macht ihres Amtes zulasten der künstlerischen Freiheit zu missbrauchen" – und das "wäre fatal".

Für Petra Schellen von der taz Nord (30.10.) ist es Interpretationssache, ob man das Verlesen der Millionärs-Liste als "Anprangern" begreife. Nicht nur sei die Millionärs-Liste ja bereits veröffentlicht gewesen, sondern das "Rezitieren von Namen auf der Bühne" außerdem ein "deutungsoffener Vorgang" sei. Das Senatorinnen-Statement zeugt für Schellen überdies von einer "großen Angst vor Unmut und Rückzug von Sponsoren". Dass sie daher "vorsichtshalber Flagge" zeige, findet sie "ehrenwert", nicht jedoch, dass dies in einer offiziellen Senats-Pressemitteilung geschehe. Das zeuge "von einer unguten Verwechslung von Amt und Person. Schließlich wöge das Wort jedes anderen 'Bürgers' weniger. In die Kunst einzugreifen ist zudem nicht ihr Auftrag." Auch hält Schellen die Stellungnahme für "überflüssig", "weil die Millionäre – außer jenen, die nicht genannt werden wollten – vermutlich souverän genug" seien, um "Öffentlichkeit auszuhalten": Viele von ihnen sponserten Kulturprojekte und wüssten "die Freiheit der Kunst also zu schätzen".

In einem weiteren Beitrag für dieselbe taz-Ausgabe weiß Schellen auch, dass sich Schirmer und von Welck heute (Donnerstag) Abend zum Gespräch über die umstrittene Inszenierung treffen werden. Schirmer sagte Schellen außerdem, dass er sich auf von Welcks Forderung, die Namen der reichsten Hamburger zu verschweigen, geweigert habe, "weil dieser Epilog zum Stück gehört; außerdem konnte ich die Aufführung kurz vor der Premiere nicht mehr stoppen". Darauf habe die Senatorin erwidert, er hätte sich "früher kümmern müssen" und behaupte jetzt, "das Gespräch habe so nie stattgefunden". Er verstehe zwar, "dass sie unter Druck steht - aber dass sie den direkt an uns Kulturschaffende weitergibt, statt uns zu schützen, begreife ich nicht", Schirmer gegenüber der taz.

Für Stefan Grund folgt mit der Verlautbarung der Kultursenatorin auf den "kleinen, wohlkalkulierten 'Marat'-Theaterskandal" nun der "wahre politische Skandal", wie er in der Welt (30.10.) kommentiert. Sie gebrauche "die ganze Macht ihres Amtes, um ihre Meinung als 'Bürgerin' kundzutun". Damit stelle sie sich nicht "hinter die Kultur", sondern werfe sich, im Gegenteil, "schützend vor die Wirtschaft" und festige außerdem noch den Ruf der Hansestadt als "kulturfeindliche Metropole der Pfeffersäcke".

Schirmer führte für einen anderen Text der Welt (30.10.) gegenüber Stefan Grund aus, die Senatorin habe sich in einem Telefongespräch am Freitagmittag "keineswegs, wie später von ihr durch ihre Pressesprecherin Susanne Frischling behauptet, über das Stück 'informieren wollen'". Schirmer schildert den Vorgang so: "Sie kam gleich zur Sache und wirkte darauf hin, ich möge das gute Verhältnis der vermögenden Hamburger zur Kultur nicht durch die Verlesung der Liste gefährden." Schirmer zeige sich "verwundert über das Ausmaß des Skandals". Der Intendant: "Wir haben hier mit dem Reden über den Reichtum offenbar ein Tabu gebrochen, von dem wir in der aufgeklärten Gesellschaft in Deutschland im Jahr 2008 gar nicht wussten, dass es besteht." Grund stellt überdies einen Zusammenhang zwischen den "wütenden Proteste der Kultursenatorin" und ihrer "geheimnistuerischen Finanzpolitik" her: Anfang Oktober habe sie bei Schirmers Vertragsverlängerung angekündigt, dessen Kinder- und Jugendtheater Etat zu erhöhen, jedoch weder die genaue Summe (nach Informationen der "Welt" 250.000 Euro pro Jahr) noch die Tatsache erwähnt, dass es "sich dabei um noch einzuwerbende Sponsorengelder" handele. Dass die "Kulturbehörde eine Subventionserhöhung mit Privatgeld vornimmt, welches ihr bislang noch gar nicht zur Verfügung steht, ist ungewöhnlich".

Indem von Welck den Epilog als "Anprangerung" versteht, unterstelle sie, "dass Reichtum etwas Verruchtes sei – was die Inszenierung nicht explizit behauptet", so Petra Schellen erneut in der taz (30.10.). Das Agieren der Senatorin zeige, "wie angeschlagen" sie momentan sei: Die Verteuerung der Elbphilharmonie werde auch ihrer Behörde angelastet, sie sei "dringend auf Sponsoren angewiesen". Jedoch: "In ihrem Vertrag steht wohl kaum, dass sie die Wirtschaft vor der Kultur zu schützen hat – koste es, was es wolle." In diesem Fall vor allem an Image, denn es zeuge nicht gerade "von Souveränität und Demokratieverständnis", wenn sich Politiker "als Zensoren" versuchten und "Intendanten wie Schuljungen" abmahnten. Dass Politiker "machtbewusst und opportunistisch" seien, sei nichts Neues. Auch, dass Theater "hochpolitisch sein und einen brennenden Diskurs entfachen" könne, habe man geahnt. Dass "die Creme der Weltstadt Hamburg" derart "dünnhäutig" reagieren würde, sei allerdings eine "geradezu befreiende Erkenntnis". Offenbar habe Lösch "mit seinem Probeaufstand der Armen (...) den wunden Punkt getroffen".

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