Verhagelte Hoffnungen

von Andrea Heinz

Wien, 1. Juli 2021. Zum nahenden (und vor der Reprise im August vorläufigen) Ende der Festwochen hin hat nun auch noch der harte Sozialrealismus Einzug gehalten. Der einigermaßen gehypte Alexander Zeldin stellt ein hyperrealistisches Gemeindezentrum auf die Bühne, mit Kinderspielecke und Keksen und allem möglichen billigen Krims Krams, wir befinden uns im von Austerität und National Health Service verheerten Großbritannien und entsprechend trist sieht es hier aus: Nicht einmal Grün wächst, nur ein paar verhungerte Topfpflanzen, und das, obwohl es in einer Tour regnet. 

Für eine warme Mahlzeit

"Faith, Hope and Charity" ist der jüngste Teil von Zeldins Trilogie "The Inequalities", der 2019 im Londoner National Theatre uraufgeführt wurde. Faith und Charity, so heißen zwei Mädchen in dieser Geschichte, und in der Welt, in der sie leben, können sie Glaube und Wohltätigkeit brauchen, von Hoffnung ganz zu schweigen. Auch wenn sie selten erfüllt wird.

Das Stück erzählt von einer Gruppe sehr unterschiedlicher Menschen, die sich in einem heruntergekommenen Gemeindezentrum treffen, für eine warme Mahlzeit und das gemeinsame Singen im Chor. Für ein wenig Gemeinschaft und Wärme. Teilweise tragen sie Maske, wir haben ja immer noch eine Pandemie (auch wenn das in der Halle E im Museumsquartier viele vergessen zu haben scheinen – wenn der Kanzler sagt, wir müssen die Masken nicht mehr tragen, reißen wir sie uns natürlich sofort herunter). Sie desinfizieren sich die Hände, denn Impfungen gibt es für Menschen wie sie noch lange nicht.

faith hope and charity 3 560 llewella gideon hazel photo credit maxime bruno Tristesse und menschliche Wärme im Gemeindezentrum: Llewella Gideon als Köchin Hazel © Maxime Bruno

Sie haben Kindheiten im Heim oder bei wechselnden Pflegefamilien hinter sich, Gewalt erlebt, keine Arbeit, kein Geld. Sie haben eine Lernschwäche und eine Betreuerin, die sie nicht abholt wie Karl, reden zu viel und gehen allen auf die Nerven damit wie Bernard, sie haben Angst und Hunger, sind alleinerziehend oder trinken heimlich. Es ist das geballte Elend, das es natürlich und sogar sehr häufig gibt, nur in dieser Dichte schnell etwas Klischeehaftes und Forciertes bekommt. Aber das durchschnittliche Theaterpublikum kennt solche Schicksale halt eher nur aus dem Fernsehen oder der Gratiszeitung (für alle Deutschen: wie "Bild", nur menschenverachtender), und da kommen sie einem:r schnell mal klischeehaft vor.

Alle sind hungrig

Jedenfalls treffen alle diese Menschen und alle diese eh wahren Klischees in diesem tristen Gemeindezentrum aufeinander, wo es durch die Decke regnet, und hinter dem Küchentresen die etwas resche, aber sehr warmherzige Köchin Hazel steht, die für alle kocht, und das offenbar sogar sehr gut. Zumindest wird das Essen viel gelobt, aber vielleicht sind auch nur einfach alle sehr, sehr hungrig.

Auch Hazel hat ein schlimmes Schicksal, ihr Sohn sitzt im Gefängnis, doch statt darüber zu reden kümmert sie sich lieber um die anderen, vor allem um ihre Freundin Beth: Die wuchs im Heim auf, scheint ein Problem mit Tabletten und ihrer Impulskontrolle zu haben und Sex als Machmittel zu missbrauchen. Nun will man ihr die kleine Tochter wegnehmen, Faith, und der Sohn, mit 16 selber noch ein Kind, muss die Erwachsenenrolle einnehmen. Auch klassisch.

faith hope and charity 1 560 dayo koleosho carl and shelley mcdonald sunny faith photo Das Essen, es ist gut: Dayo Koleosho Carl and Shelley Mc Donald Sunny © Maxime Bruno

Zeldin inszeniert seinen eigenen Text, mit einem Ensemble aus Laien und Profis, sehr elegisch und eher theatral als realistisch. Es fallen auch mal Sätze wie "Fühle die Wut meiner Jugend!", die im britischen Gemeindezentrum vermutlich keiner ernsthaft sagt, neben Unmengen an "Fucks" und "Cunts", das schon eher. Es hagelt Schicksale und Bekenntnisse, und es wird dabei ordentlich geheimnisgekrämert und herumgeeiert, dafür, dass am Ende doch alles meistens recht vorhersehbar bleibt. Wenn man sich auf das sehr zähe Tempo einlässt, kann man schon Gefallen an diesem Abend finden, die Figuren entwickeln, gleichwohl in Summe eher scherenschnittartig, teilweise durchaus Tiefe und Mehrdimensionalität, werden greifbar.

Die Musik in dir

Musik ist das zentrale Motiv des Abends, sie soll wohl die Hoffnung symbolisieren, die es in all der grassierenden Hoffnungslosigkeit noch gibt, aber da man die Chorist:innen kaum je beim Singen oder Musizieren sieht und nur viel davon reden hört, bleibt das eher abstrakt, ganz glaubhaft wird nicht, dass die Musik und das Singen ihnen etwas bedeuten.

Kurz ändert sich das, wird es fast schon mitreißend und bekommt etwas mehr Farbe und Saft, wenn alle im Chor You've got the Music in You von den New Radicals singen und dazu eine kleine Choreo tanzen, aber dann wird es gleich wieder sehr ernüchternd, weil das Gemeindezentrum natürlich verkauft wird, auch der Ausverkauf des öffentlichen Raumes und die Macht des Kapitals gehören schließlich zu den Ungleichheiten dieser Welt. Und nicht einmal mit der kurz sich andeutenden Liebesgeschichte wird es was. Fuck.

 

Faith, Hope and Charity
von Alexander Zeldin
Regie: Alexander Zeldin, Bühne, Kostüm: Natasha Jenkins, Licht: Marc Williams, Sounddesign Josh Anio Grigg.
Mit: Lucy Black, Tuia Dutt, Llewella Gideon, Tricia Hitchcock, Dayo Koleosho, Joseph Langdon, Shelley McDonald, Michael Moreland, Sean O'Callaghan, Bobby Stallwood, Posy Stering, Hind Swareldahab.
Premiere am 9. September 2019
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.festwochen.at

 

 

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