Impfpflicht als "Anreiz"

Tübingen, 4. August 2021. Der Intendant des Landestheaters Tübingen (LTT), Thorsten Weckherlin,  bringt eine Corona-Impfpflicht für Theaterbesucher:innen ins Spiel. Das teilt das LTT heute in einer Presseaussendung mit. Dies könne der steigenden Inzidenz bei gleichzeitig rückläufigen Impfzahlen entgegenwirken, so Weckherlin: "Würden bundesweit alle Bühnen und Veranstalter eine Impfpflicht für Theater und Festival-Besuche einführen, wäre das ein klares Zeichen."

"Solidarischer Akt"

Gesundheit sei demnach ein "gesamtgesellschaftlicher Auftrag", der "nicht nur großen Wirtschaftsunternehmen wie Facebook oder Google überlassen werden sollte", die in den USA "und vielleicht auch bald in Deutschland" eine Impfpflicht für ihre Mitarbeiter:innen im Büro einführten.

Mit der Impfpflicht für Theaterbesucher:innen würde man sich zudem "hinter die Wissenschaft stellen und einen wichtigen Schritt in Richtung Normalität gehen. Auf der Bühne, im Probenraum und im Parkett muss es die Impfpflicht geben!", so der LTT-Chef. Und weiter: "Je mehr Menschen geimpft sind, desto schneller können alle wieder in ein Leben ohne Masken, Abstand und Reisebeschränkungen zurück. Händler können ihre Läden wieder normal öffnen, Künstler wieder auftreten - und gewinnen so ihre Existenzgrundlage zurück."

Eine Impfpflicht für Theaterbesucher:innen stelle daher einen zusätzlichen "Anreiz" dar, zitiert die Pressemitteilung Weckherlin. Die Impfung sei "ein solidarischer Akt".

(Landestheater Tübingen / jeb)

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Kommentare  
Impfpflicht: Orte der Begegnung
Eine Impfpflicht für Theatermitarbeiter und das Publikum? Ich war immer der Ansicht, Theater sei ein Ort der Begegnung, der alle Menschen zum Besuch einlade. In den vergangenen Jahren wurde so viel getan, um möglichst jedem Menschen den Theaterbesuch zu ermöglichen. Da dürfen wir niemanden ausschließen, weil er nicht geimpft werden kann oder sich nicht impfen lassen möchte. Natürlich wäre es schön, mehr Sicherheit für alle Beteiligten zu haben. Aber Theater ist für alle da. Und das ist nicht verhandelbar. Wer bestimmte Gruppen vom Vorstellungsbesuch ausschließen möchte, sollte nochmal über den Auftrag der Theater nachdenken.
Impfpflicht: Sicherer Genuss
An meinen Vorredner Gerhard Herfeldt: Durch viele Impfunwillige entstehen 1. mehr Infektionen und 2. Varianten. Blöd also, wenn deswegen wieder die Inzidenzen steigen oder Impfdurchbrüche geschehen bzw. die Wirksamkeit der Impfkampagne durch die Varianten ausgebremst wird und dann die Theater wieder geschlossen werden müssen. Dann gibt es nämlich überhaupt keine Begegnungsorte mehr. Für Menschen, die sich nicht impfen lassen können, kann man ja Ausnahmen wie eine Attestpflicht schaffen. Und genau für die Menschen, die sich nicht impfen lassen können, ist es doch aufgrund ihrer Vulnerabilität umso wichtiger, dass nur Geimpfte mit im Publikum sitzen, wenn die Schnelltests nur eingeschränkt genau sind. Denn Menschen, die sich nicht impfen lassen können, können dies meist aufgrund einer Immunkrankheit nicht und diese Menschen würde eine Infektion umso härter treffen, die durch mehr Ungeimpfte im Publikum wahrscheinlicher werden würde.

Auch vor Corona war der Zugang zum Theater de facto nicht allen Menschen möglich, nämlich für Menschen, die kein Deutsch sprechen, Menschen mit Epilepsie (wenn Stroboskopeffekte zum Einsatz kommen) usw. usw. Die vollkommene Egalität aller Menschen beim Zugang zum Theater ist also ohnehin noch nie Realität gewesen. Aufgabe des Theaters ist es nämlich auch, dem Publikum einen sicheren Genuss der Aufführung zu ermöglichen.
Impfpflicht: Kapitulationserklärung
Solidarität oder Impfpflicht. Steht man bei der Entscheidung, sich hier klar zu positionieren, schon vor einem Dilemma? Die von Weckherlin eingeforderte Solidarität mit einer Pflicht zu verbinden, widerspricht nicht dem Gleichstellungsgedanken, sondern dem Wesen der Solidarität an sich, die immer auf Freiwilligkeit beruht. Ich kann niemanden zur Solidarität zwingen. Das sich unsere Gesellschaft in großen Teilen unsolidarisch verhält, nicht nur was da Impfen betrifft, liegt in den Verhältnissen selbst und ist eine Erkenntnis, aus deren Folgen Kunst und Theater ja auch schöpfen. Wäre alles schön, bräuchte es auch keine Kunst und auch kein Theater. Das gebe ich einfach mal zu bedenken, bevor sich die Verfechter der sogenannten Solidarität ins Absolute verrennen. Was Franka schreibt, halte ich nämlich für genauso einen Trugschluss. Zwang als letztes Mittel mit der Begründung, man schade mit unsolidarischem Verhalten anderen, ist die Kapitulationserklärung der Kunst noch vor der Politik, die sich vermutlich eher aus wirtschaftlichen Interessen für das eine oder das andere entscheiden müssen wird.
Impfpflicht: keine 10 Pferde
Tja, Herr Weckherlin, da müssen wohl neue Theater gegründet werden. Von und mit Ensembles aus Geimpften oder halt Nichtgeimpften, die sowohl für Geimpfte als auch Nicht-Geimpfte mit großem Selbstverständnis spielen. Angstfrei, Vorurteilsfrei, frei.
In so ein wie von Ihnen angedachtes Bedingungss-Nötigungstheater brächten mich keine 10 Pferde. Und unter ein Publikum, welches so ein Theater goutiert, auch nicht.
Impfpflicht: Bekenntnis zum Zwang
Möglicherweise führen die Begriffe "Solidarität" und "Zwang" im gegebenen Zusammenhang in die Irre. Vielleicht ist es bloß eine Frage der Vernunft, und was als vernünftig gilt, ist historisch bedingt und ändert sich mit Zeit und Gewöhnung. Auch die Schulpflicht ist Zwang und die Gesetzliche Krankenversicherung, das Bürgerliche Gesetzbuch und das Verbot der Benutzung eines KFZ unter dem Einfluss von Drogen. Ob diese Zwänge vernünftig sind oder nicht - darüber mag man streiten. Aber es dürfte weitgehende Einigkeit darüber bestehen, dass sie nicht als Kapitulationserklärung vor der Politik zu betrachten seien. Das staatliche Gewaltmonopol ist ja ebenfalls ein Bekenntnis zum Zwang, und es gibt gute Argumente dagegen. Aber es mag in milderem Licht erscheinen, wenn man an gewaltbereite Extremisten denkt, die dieses Monopol durchbrechen wollen und tatsächlich durchbrechen. Mit anderen Worten: denkbar ist eine Zukunft, in der die Impfpflicht als ebenso selbstverständlich und vernünftig erscheint wie heute schon die Schulpflicht. Mit Solidarität hat das nichts zu tun.
Impfpflicht: medizinische Lage
Ich kann nicht verstehen, wie sich ein Intendant, der ja nun wahrlich kein Virologe ist, derart einlassen kann. Noch kann niemand sagen, wie die Impfstoffe langfristig funktionieren werden und ob überhaupt. Auf Gibraltar wurden fast hundert Prozent der Menschen mit Biontech geimpft, dazu weitere achttausend Pendler. Die Inzidenz liegt aktuell bei über 600. Das ist erschreckend, ebenso die Lage in Israel. Wenn hier jemand behauptet Ungeimpfte seien verantwortlich für Impfdurchbrüche und Mutationen, dann ist das erschreckend uninformiert, denn verantwortlich für Infektionen sind infizierte Menschen. Das können Geimpfte oder auch Ungeimpfte sein. Entscheidend ist die Viruslast. Und die ist temporär zu beurteilen. Ich möchte nicht weiter in Details gehen, aber ich denke, die wenigsten sind in der Lage zu erklären, wie es bei Vektorimpfungen zur Thrombosebildung kommt und ob das Spalten der Gene etwas damit zu tun haben. Es ist alles in allem ein sehr komplexes Thema. Die Datenverarbeitung beispielsweise zwischen Israel und Biontech wird wohl mindestens noch bis in das dritte Quartal 2022 reichen. Bis dahin kann man nur bedingt etwas sagen. Die Sicherheit einiger PolitikerInnen und nun auch eines Intendanten erschüttern mich zutiefst, angesichts der medizinischen Sachlage. Ich führe das auf eine extreme Polarisierung zurück, die wohl eher in anderen Zusammenhängen zweckdienlich sein soll.

Sicher aber sind wohl die Untersuchungen, die in einigen Sälen gemacht wurden, Studien, die auch hier veröffentlicht wurden. - Ich verstehe die Idee nicht, die hinter einem solchen Konzept steht. Es gibt ein neues Krankheitsbild und nun kauft der Staat vier Medikamente ein, die nun alle Menschen nehmen „müssen“, ansonsten können sie nur noch teilweise am öffentlichen Leben teilnehmen?! Eine solche Pflicht gibt es nicht. Darüberhinaus sind Ungeimpfte nicht automatisch ansteckend. Muss man das tatsächlich mittlerweile betonen?
Impfpflicht: ein Zitat
ERSTER an einen Zuschauer gewandt: Sie da, Genosse, Sie schauen so mürrisch drein. Als wollten Sie sagen, wir sind doch hier nicht im Kriegskommissariat, wir sind im Theater! Sie meinen vielleicht, Kriegskommissariat und Theater verfolgen in unserm Fall verschiedene Ziele? Aha, Sie meinen das nicht... Nun also, fangen wir an.
Wsewolod Wischnewski, OPTIMISTISCHE TRAGÖDIE, Leningrad 1934
Impfpflicht: andere Wege
Danke an Martin Baucks für den differenzierten Beitrag.
Und es ist noch komplizierter.
Zu 2.: Varianten entstehen nicht durch die Impfunwilligen (oder besser formuliert: differenzierte Impfentscheider), sondern durch die Impfungen selbst, weil das Virus ja andere Wege suchen muss
Impfpflicht: Appelle und Anreize
Mit der Vernunft ist es aber ganz ähnlich wie mit der Solidarität. Sie ist nicht sehr verbreitet. Die Vernunft gebietet so vieles (z.B. keine Kriege führen, nicht mit dem Geld anderer Leute spekulieren) und in der jetzigen Lage vermutlich auch eine Impfpflicht, ob nun bis ins Detail wissenschaftlich begründet oder nicht. Der Gesetzgeber hätte ja sogar die rechtliche Grundlage, eine Impfpflicht (siehe Masernimpfung) für "bedrohte Teile der Bevölkerung" anzuordnen und dafür die Persönlichkeitsrechte einzuschränken. Was in anderen Ländern ja auch gemacht wird. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit kann ja ethisch-moralisch verschieden interpretiert werden. Es heißt aber, die Bundesregierung setze auf Argumente, Informationen und Vertrauen, was ja dem Vernunftgedanken entspräche. Nun agitiert ein Theaterintendant für eine Impfpflicht, die eine Rückkehr zur Normalität verspricht und appelliert an die Solidarität. Spricht aber im gleichen Zug auch von Anreiz. Das ist auch die Masche der Politik, die mit Vernunft und Aufklärung bisher nicht weitergekommen ist, was ja den Ruf nach einer Impfpflicht erst hat laut werden lassen. Wobei man hier bezüglich der Vorgehensweise bei der Aufklärung und Information schon ein paar Abstriche bei der Politik machen müsste. Wenn es der Kunst und Politik an Überzeugungskraft mangelt, dann sollen es Appelle an die Solidarität und bestimmte Anreize richten. Und das ist meiner Meinung nach ja auch ein Eingeständnis des Scheiterns des Gewaltmonopols. Und gerade das Scheitern ist ja den Theaterleuten nicht fremd. So könnte man Weckherlin ja auch interpretieren. Übrigens wird niemand einem privaten Veranstalter verbieten können, nur Geimpfte zu einer Veranstaltung zuzulassen. Nur ist das wirklich eine Alternative für die öffentlich finanzierten Theater mit Bildungsauftrag? Und ist es Auftrag der Kunst zu Agitieren? Das appellieren an die Vernunft und die Aufklärung mit Mitteln der Kunst aber schon.
Impfpflicht: gutes Zitat
@ Karsten
Übrigens sehr gut gewähltes Zitat. Weckherlin sollte die "Optimistische Tragödie" unbedingt als erstes seinem komplett durchgeimpften Publikum vorspielen.
Impfpflicht: Finde den Fehler
Finde den Fehler

"Ich kann nicht verstehen, wie sich ein Intendant, der ja nun wahrlich kein Virologe ist, derart einlassen kann." Sagt ein Regisseur und erzählt dann was von Impfdurchbrüchen und Genspaltungen.
Impfpflicht: Optimismus
Ein schöner Traum: Ich sitze im Parkett und sehe meinen Nachbarn. Vielleicht ein Genosse. Ich sehe sein ganzes Gesicht. Zwar schaut er „mürrisch drein“ – aber egal, er trägt keine Maske. Und die Schauspielerinnen und Schauspieler auf der Bühne sehen die Gesichter auch - und brauchen nicht mehr in das Meer der hellblau schimmernden Masken zu spielen. Wahrlich - eine „Optimistische Tragödie“ mit Happy-End.
Impfpflicht: nicht ins Detail
@bauggs
gibraltar hat sogar eine impquote von 115 prozent. man konnte wirklich fast überall lesen, warum es zumindest schwierig ist, die "hohe impfquote" dort als beweis für das schlechte funktionieren der impfung vor sich herzutragen. aber es ist wie mit der genspaltung, lieber nicht ins detail.

und zu den varianten ...
ein virus mutiert nicht nach plan, wir hatten auch ohne impfung varianten und je mehr menschen krank werden, umso mehr mutiert der kram. werden weniger krank, gibts weniger, aber ich will nicht zu sehr "ins detail gehen"
Impfpflicht: Varianten
@8:
"Varianten entstehen nicht durch die Impfunwilligen (oder besser formuliert: differenzierte Impfentscheider), sondern durch die Impfungen selbst, weil das Virus ja andere Wege suchen muss"

Wie erklären Sie sich und uns, dass Varianten gibt, die bereits vor den ersten Impfunge auftraten?
Impfpflicht: Einlassung
Lieber Raschke,

ich lasse mich nicht darauf ein, einem Theater nur für Geimpfte und Genesene zuzustimmen, denn dafür gibt es keine stichhaltige Begründung und auch keine rechtliche Grundlage. Das war mit „einlassen“ gemeint. Können Sie folgen? - Da ist kein Fehler.

Natürlich nehme ich an Überlegungen und an der Forschung teil, rufe dennoch kein Maßnahmen aus oder verteidige sie, vor allem dann, falls sie schlecht oder unbegründete sind.
Impfpflicht: im Schaum
Lieber Baucks,

na, na, na, wieso denn jetzt gleich so eingeschnappt? Klar, ich verstehe ja, dass es schon sehr nervig sein muss, mit der Nase in den Schaum, den man selbst geschlagen hat, getunkt zu werden. Aber Ihr kruder Argumentemix aus peinlichen Verkürzungen (Gibraltar), kenjebsenhaftem Schwurbeljargon („andere Zusammenhänge“), haarsträubenden Ungenauigkeiten (Impfungen = Medikamente???) und derlei Quergedenke mehr, is‘ halt hohles Gedöns von A bis Z.

Im Übrigen wird hierzulande eine Impfpflicht nicht von Virologen beschlossen, wie es Ihr gedanklicher Kurzschluss nahelegt. Aber sicherlich ist Ihnen das bekannt, Sie nehmen schließlich intensiv „an der Forschung teil“, gell?

Und jetzt weitersuchen, Sie haben den Fehler noch nicht entdeckt.

(Anm. Redaktion. Mit dieser Replik würden wir uns dann vorbehalten, weitere Ausflüge in die Hobby-Virologie und Zweikämpfe mit dem Seziermesser abzusagen. Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
Impfpflicht: Ballungsort
(...)

Die Hygienekonzepte werden jede Woche neu geschrieben, aber Zuschauerinnen habe ich bei uns im Haus ,bis auf eine Aussenveranstaltung im Juni mit ca.60 !!! , seit Oktober letzen Jahres nur mehr erahnen können.
Livekonzepte für das Netz hin oder her, die gab es doch schon vor Covid,hat nur keiner hingeschaut.
Dann wurde so getan, als wäre dies eine Neuerfindung wegen der Pandemie.Ich lach mich schlapp.
Aber eigentlich ist mir nur zum kotzen zumute.
Als jemand, der Theater als temporären Ballungsort
zusammengerückter Seelen in einen Zuschauerinnen"sessel" versteht,
kann kein Spielraum, ohne die direkte Reaktion bestehen.

Waschmittelwerbung geht vielleicht anders.

(Anm. Redaktion: Dieser Kommentar wurde gekürzt, weil er in Teilen nicht unseren Kommentarregeln entsprach.)
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