Weises aus der Würstelbude

von Sabine Leucht

Bregenz, 5. August 2021. Viel mehr als den einen Hotdog verkauft Carla nicht. Zwar gehen noch etliche Miniflaschen Wodka über ihren Tresen, das ein oder andere Bier und etwas Essbares für ihren Sohn. Doch ihre vollmundig verkündete Marx-Analogie, wenn die Religion das Opium des Volkes sei, dann seien die Käsekrainer sein Kokain, führt ein wenig in die Irre. Ist doch Carlas Würstelstand in Wahrheit ein Umschlagplatz für ganz andere Waren: Hier bekommt manch nächtlicher Trinker einen viel zu philosophischen Rat oder eine ehrliche Meinung.

Kopf und Bier beim Plausch

Und hier finden – zumindest in Jana Vettens Bregenzer Uraufführung von "Lohn der Nacht" – große Lebenswendepunkte auf dem Budendach Platz. Die Operndiva Alina Gregor steht da in der Stunde ihres größten Triumphes, der sich bald aufs Schmerzhafteste relativiert. Und "Kopf" steht da – der wirklich so heißt in Bernhard Studlars neuem Stück – und diskutiert mit "Bier" (sic!) darüber, ob ein Sprung in die Tiefe ein Ausweg sein könnte oder ob Bier selbst vielleicht schon einer ist. Denn Kopf hat seine Frau verloren, bei einem Unfall, dessen Verursacher eine sehr große Brieftasche hatte – und ein Grinsen im Gesicht.

lohndernacht4 1000 BregenzerFestspiele AnjaKoehler uDie "Wurstinsel" bietet Kalorien und Erkenntnisse: Lilly Prohaska spielt Carla © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

Es sind komplexe Geflechte, in denen die Genannten gemeinsam mit dem Kindermädchen Billie, dem Fußballprofi Mimo, einem Mäzen und einem Polizisten verstrickt sind oder sich im Laufe der eindreiviertel Stunden verstricken, die der munter-unterhaltsame Abend dauert. Sie aufzudröseln wäre gemein, denn ihnen nach und nach auf die Schliche zu kommen, ist ein sommertheaterliches Vergnügen.

Nur so viel: Studlar hat mit "Lohn der Nacht" den Dramatiker-Preis der Österreichischen Theaterallianz gewonnen, der in den ersten beiden Jahren an Thomas Köck und Miroslava Svolikova ging. Das Thema diesmal: "Die Arroganz des Kapitals" oder die Selbstverständlichkeit, mit der es Macht ausübt und sich Freiheiten herausnimmt. So gerät auch Studlars Personal in Bestechungs-, Nötigungs- und Erpressungs-Kalamitäten. Immer rund um die Würstelbude, die für unser aller grundlegende Bedürftigkeit Metapher ist sowie Begegnungsknotenpunkt unterschiedlichster Menschen.

Thema: Die Arroganz des Kapitals

"Wir treffen uns in den Zwischenräumen. Dort, wo keiner von uns hingehört, schütten wir unsere Herzen aus": Dieses Motto stellt der Wiener Autor seiner gesellschaftskritischen Komödie mit mittlerem Tiefgang und einer ganzen Menge origineller Ideen voran, aus deren Sätzen und – ja: Zwischenräumen – Jana Vetten im Verbund mit Öğünç Kardelen (Musik) eine feine Musikalität herauskitzelt. Der Koproduktion von Theater Kosmos und den Bregenzer Festspielen kommt im Festspielprogramm die Rolle der Vorbotin von Puccinis "Madame Butterfly" zu, die im kommenden Jahr auf der Bregenzer Seebühne Premiere haben soll.

lohndernacht5 1000 BregenzerFestspiele AnjaKoehler uComeback nach der Babypause: Die Diva (Zeynep Buyrac) singt wieder Madame Butterfly © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

Die Steilvorlage, dass die Diva, die in "Lohn der Nacht" nach der Babypause erstmals wieder auf der Bühne steht, die Titelrolle in ebendieser Oper singt, lässt die Regie allerdings liegen. Hier interessiert sie die Ausgesetztheit der hypernervösen Frau, nicht die Musik. Stattdessen lässt Vetten immer wieder die ganze Szenerie klingen, beginnend schon im Prolog, wo auf die Frage "Singst du unter der Dusche?" eine*r nach der/dem anderen zu summen, schnalzen und tönen beginnt. Bewusst nicht realistisch; selbst das Handy-Klingeln wird mit Comedian Harmonists-Anmutung gefaked, und am Ende singt Lara Sienczak eine Hymne auf den Möglichkeitsraum "zwischen Zukunft und gestern".

Opernhaft und sportlich leicht

Denn wenn der Lohn der Nacht der Morgen danach ist, die Chance zum Neuanfang, nachdem die Straßenreinigung Tabula rasa gemacht hat, dann ist die Nacht selbst das Versprechen auf diese Chance. Und auch wenn keiner der handelnden Charaktere seine Chance besonders gut nutzt, erlebt man keinen bitteren, sondern einen fast fröhlichen Abend in Bregenz. Das liegt an dem Spielcharakter, den das sich zwischen einer Art Turngerüst und einer umgeknickten Straßenlaterne entfaltende Geschehen stets behält. Die mehrheitlich in Sportkleidung steckenden Schauspieler steigen leichtfüßig ein- und aus, werden den anderen bald zu Sparringspartnern, bald zu Beobachtern, oder bilden auch mal einen Pulk, der dem erpresserischen Mäzen Ketchup auf den Kopf tropfen lässt.

lohndernacht2 1000 BregenzerFestspiele AnjaKoehler u"I still have hopes / Ich habe noch Hoffnungen": Luka Vlatkovic (Mimo) und Lara Sienczak (Billie) kommen sich nah © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

Das Gefühl der Leichtigkeit entsteht aber auch durch das exakte Timing des Abends und das Rhythmusgefühl, das hier fast alle haben. Till Frühwald ist als Polizist, aber vor allem als "Das Bier" mit Dosen am Kopf und fliederfarbenem Tüll um die Hüften um keine Peinlichkeit verlegen. Luka Vlatkovic lässt es als prollig-neureich-gripsfreier Fußballprofi komödiantisch ordentlich krachen, ohne seine Figur je ganz an die Karikatur zu verraten.

Es bleibt bei allen eine Verletztlichkeit und Bedürftigkeit spürbar, was dem Text guttut, den man ebenso auch auf Klischees hin ab- und im Plakativen festklopfen könnte: den 120 000 Euro teuren Porsche zeigen, die Gier in den Augen, das Fett, das aus der Wurst spritzt – und das ganze schöne Zwischenraumspiel mit seinen Zwischentönen vergessen. Nur der Würstelstand selbst, in dem Lilly Prohaskas zarte Carla ihr philosophisches Zepter schwingt, gerät von der Bedeutung her bisweilen ins Abseits. Er wird zwar rege bespielt, aber das magnetische Zentrum des Abends ist er nicht. Und auch der Würstelappetit hält sich in Grenzen.

 

Lohn der Nacht
von Bernhard Studlar
Uraufführung
Regie: Jana Vetten, Licht: Stefan Pfeistlinger, Musik: Öğünç Kardelen, Ausstattung: Eugenia Leis, Dramaturgie: Hubert Dragaschnig, Augustin Jagg.
Mit: Lilly Prohaska, Zeynep Buyrac, Lara Sienczak, Marcus Thill, Luka Vlatkovic, Till Frühwald.
Premiere am 5. August 2021
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.theaterkosmos.at
www.bregenzerfestspiele.com

 

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