Lebensarbeit im Zen-Garten

von Max Florian Kühlem

Essen, 14. August 2021. "Festival der Künste" heißt die Ruhrtriennale im Untertitel und ist stets am besten, wenn sie die Grenzen der Künste verschwimmen lässt. Was ist "The Life Work" der dänischen Choreographin Mette Ingvartsen? Eine Aktion, ein Happening in der Ausstellung "Global Groove" im Essener Museum Folkwang? Eine theatrale Installation mit Expertinnen des Alltags? Ein Stück Tanztheater ohne tänzerische Bewegungen oder Gesten? Ein Stück jedenfalls, das in seiner leisen und kontemplativen Erzählweise fast schon radikal wirkt und die Begegnung weit entfernter Kulturen zum Thema hat.

Zwischen Ost und West

Die Vorstellung, die sich hierzulande viele Menschen von japanischem Zen-Buddhismus machen, ist oft vorgeprägt durch eine weltumspannende Kulturbegegnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden hat: Da erwachte bei amerikanischen Beat-Poeten wie Jack Kerouac, Musikerinnen wie Joni Mitchell oder Komponisten wie John Cage das Interesse an der ostasiatischen Philosophie, Religion oder Denkweise. Die Ausstellung im Museum Folkwang, die auf 120 Jahre Tanz- und Kunstgeschichte blickt und dabei einen besonderen Fokus auf den Kontakt zwischen Ost und West und ganz besonders zwischen Japan und den USA legt, erzählte zum Beispiel, wie sich John Cage von den Zen-Kursen von Daisetz Teitaro Suzuki beeinflussen ließ.

Tautropfen am Schnabel einer Ente

(Zen-)Buddhismus ist ja überhaupt die liebste Künstler*innen-Religion. Vielen Menschen im Kulturbetrieb hängen ihr mehr oder weniger offen an: Der Regisseur Luk Perceval etwa oder Willy Decker, einer der Vorgänger der aktuellen Ruhrtriennale-Intendantin Barbara Frey, und auch Barbara Frey zitiert im Vorfeld ihrer ersten Saison im Ruhrgebiet im Interview eine buddhistische Weisheit: "Dein Leben ist nichts anderes als die Reflektion des Mondes in einem Tautropfen am Schnabel einer Ente." Mette Ingvartsen lässt nun vier zwischen 1930 und 1940 in Japan geborene Frauen über das Leben reflektieren, dieses Nichts, diese Reflexion im Tautropfen, dieses Märchen, erzählt von einem Narren, das uns ein und alles ist.
TheLifeWork Ruhrtriennale 1 cKatjaIllner uLebens-Reflexionen im Zen-Garten © Katja Illner

Der Raum und die Aufbauten, in dem sie das tun, erinnert an einen Zen-Garten: Da sind Ordnung und Struktur, Reduktion, Klarheit und Strenge, eingehegte Natur. Nackte Äste und Zweige hängen von der Decke, schwarze Bänder dazu. Auf der Erde liegen verschiedene Steine. Das Licht kommt aus quadratischen Feldern und kann besonders grell und künstlich weiß wirken wie von Neonröhren, aber auch als Sonnenuntergangsrot mit der Erzählung verschmelzen. Die Erzählung stammt zwar von den Stimmen der vier Frauen, die alle in jungen Jahren ihre Heimat verlassen haben, um in Europa zu leben, kommt aber entkoppelt von ihren Bewegungen im Raum aus dem Lautsprecher.

Die kleinen Träume

Was die Zuschauer:innen, die mitten zwischen den Elementen der Installation stehen und sitzen, zu hören bekommen, ist scheinbar ganz unscheinbar: Vier Berichte einer kulturellen Begegnung, von Sehnsucht, Fern- und Heimweh, Liebe und Schmerz, von kleinen Träumen und unspektakulären, individuellen Blicken auf große, weltgeschichtliche Ereignisse. Die Stimmen erzählen von Hiroshima und Fukushima und damit von den Themen, die die Installation in der Ausstellung auch ohne ihre Präsenz neben den Aufführungszeiten vermitteln wird: Es geht um das Wirken des Menschen, der nicht mehr bloß Teil der Natur ist, sondern in der Lage, Natur nachzuahmen, umzuformen, schreckliche Zerstörungskräfte freizusetzen.

TheLifeWork Ruhrtriennale 3 cKatjaIllner uDer individuelle Blick auf die Welt © Katja Illner

Diese Erkenntnisse wirken umso stärker, weil Mette Ingvartsen sie durch den Spiegel kleiner, alltäglicher Leben reflektiert. Die Stimmen sind leise, die Bewegungen der Frauen langsam und reduziert, kaum tänzerisch zu nennen. Sie formen Kreise aus kleinen Kieseln oder Erdkrümeln, lagern Steine um, lagern sich selbst zur Ruhe, erwachen wieder zum Leben, öffnen auch mal selbst die Münder und singen ein japanisches Lied, während der Lautsprecher kurz verstummt. Sie reinszenieren die kleinen Gestaltungsräume, die jeder Mensch in der großen Geschichte der Menschheit hat, zeugen von Tatkraft und Ohnmacht, vom Hineingeworfensein in das Gegen- und Zusammenspiel aus Natur und Technik. Es ist toll, dass die Ruhrtriennale unter neuer Intendanz auch abseits der großen Industriehallen mit reduzierten Mitteln so wirkungsvoll davon erzählen kann.

 

The Life Work
Uraufführung
Konzept, Choreografie: Mette Ingvartsen, Licht, Bühne: Mette Ingvartsen, Hans Meijer, Sound Design: Bart Aga, Mette Ingvartsen, Dramaturgie: Judith Gerstenberg, Kostüme: Jennifer Defays, Produktionsmanagement: Ruth Collier.
Mit: Taeko Gericke, Yoko Iso, Michiko Meid, Kumiko Watanabe.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause
Premiere am 14. August 2021

www.ruhrtriennale.de

 

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