Wie Penélope Cruz, oder eben nicht

Von Cornelia Fiedler

21. August 2021. Eine Vater-Sohn-Geschichte fürs Herz, eine beliebte Urlaubsinsel als Schauplatz und ein paar NS-Verwicklungen, das klingt nach einem Erfolgsrezept. Dramatiker und Autor Moritz Rinke, hat nun, nach "Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel" aus dem Jahr 2010, einen neuen Roman verfasst, der all das vorbildlich mixt: "Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García".

Cover RinkeAn Görings Eichentisch

Die Insel ist das sturmumtoste, vulkanschroffe Lanzarote. Die Hauptfigur Pedro ist ein liebevoller Vater, Beruf Postbote, dem der Teufel Digitalisierung die Briefe klaut. In seinem Büro steht das Thema Nationalsozialismus quasi als elephant in the room, genauer: als schwerer, dunkler Empfangstisch aus Eichenholz. Angeblich war das Monstrum aus den 1940ern ein Geschenk des marokkanischen Sultans an Pedros Großvater. Seltsam nur, dass auf der Messing-Plakette, die Pedro eines Tages an der Unterseite entdeckt, eine Widmung von Hermann Göring prangt: "Viva la Unternehmen Feuerzauber", mit "deutschem Gruß" und allem Drum und Dran.

Während Pedro weiter mit seinem Post-Moped über die Insel knattert, um seine skurril gezeichneten Kund:innen von der FKK-Community bis zum grummeligen Nobelpreisträger José Saramago mit Reklame und Mahnungen zu versorgen, drängt sich immer vehementer die unbewältigte deutsch-spanische Vergangenheit in sein Bewusstsein: Ohne besagtes "Unternehmen Feuerzauber" wäre der Militärputsch des faschistischen Generals Franco 1936 wohl gescheitert. Denn unter diesem Wagner-inspirierten Label transportierte die deutsche Luftwaffe weit über zehntausend Putschisten und Fremdenlegionäre sowie Militärgerät aus Marokko nach Spanien. Das war entscheidend für den Sieg der Falangisten und damit für fast 40 Jahre Diktatur.

Monologe fürs Moped

Rinke hat "Der längste Tag..." als eine Art kanarischen Bildungsroman angelegt: Pedro ist nicht die hellste Kerze auf der Torte, er kennt weder Salvador Dalí noch Pablo Neruda und verachtet das Internet. Als seine schöne Frau und der knuffige, fußballverrückte Sohn ihn verlassen, muss er lernen zu googeln, seinen Blick zu weiten und um das zu kämpfen, was sein Leben ausmacht. Dabei hilft ihm – schon wieder was fürs Herz – der Geflüchtete Amado, der eines Tages in seiner Küche sitzt.

Bisweilen knarrt es gewaltig im Konstruktionsgebälk: Lange Exkurse über die Franco-Zeit müssen in Pedros Gedanken auf kurze Moped-Fahrten gepresst werden. Eine Fußball-Übertragung in der Kneipe muss binnen Minuten Amado und Pedros rassistischen Kumpel Tenaro zusammenschweißen. Und sobald Rinke eine Erklärung nötig scheint, setzen die Figuren, selbst Erstklässler Miguel, zu ermüdend langen Monologen an – als stünden sie plötzlich auf einer Bühne. Hohe Erzählkunst ist das nicht.

Maskuliner Blick

Bleibt die Figurenzeichnung. Pedro ist beileibe kein Macho. Er übernimmt jede Menge Care-Arbeit und soll eher den Typus so genannter "verunsicherter" Männlichkeit repräsentieren. Dennoch ist die ausschließlich maskuline Perspektive – Frauen sehen für ihn entweder aus wie Penélope Cruz, oder eben nicht – auf Dauer anstrengend und altbacken. Dass Rinkes Blick auf seinen latent weltfremden Inselbewohner ebenfalls etwas Paternalistisches hat, gleicht das zwar irgendwie aus, erhöht das Lesevergnügen aber nicht.

Es sind die Fundstücke aus der Geschichte, ebenso wie Amados Schilderungen über die Selbstorganisation von Migrant:innen in Melilla, die nach der Lektüre in Erinnerung bleiben. Das Familiendrama und die Versuche Pedros, mal was Verrücktes zu machen, verlieren sich dagegen bald wieder im Wüstenstaub der Sahara, der die Insel bei Ostwind überzieht. Als Strandlektüre, die einer oft aufs Urlaubsparadies reduzierten Insel ihre Geschichte zurückgibt, ist "Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García" sicher vielen Lanzarote-Krimis vorzuziehen. Wer unterm Sonnenschirm mehr Spaß an einem gänzlich unpädagogischen Lanzarote-Beziehungs-Thriller haben möchte, sollte es mit Juli Zehs "Nullzeit" versuchen.

Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García
von Moritz Rinke
Roman, Kiepenheuer & Witsch, 448 Seiten, 24 Euro

www.kiwi-verlag.de

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