Machen Hammelkeulen schwul?

von Georg Kasch

31. August 2021. Manchmal ist das beste Pferd im Stall ein Schaf. Etwa als Argument gegen den Einwand, queeres Leben sei wider die Natur. Schon seit ein paar Jahren hat sich herumgesprochen, dass in genau dieser Natur so ziemlich alles möglich ist. Klar, die Bonobos, da macht's ja jede:r mit jeder und jedem. Aber auch Delphine, Bisons, Elefanten, Löwen, Libellen, sogar Taufliegen und Bettwanzen – überall balzen und kuscheln, schnäbeln, schnäuzeln und kopulieren sie in Konstellationen, die jede:n "Demo für alle"-Aktivist:in im Schock erstarren lassen dürfte.

Die Zärtlichkeit des Nebenbocks

kolumne 2p kaschDie Tüpfelhyäne zum Beispiel lebt im Matriarchat. Beziehungen zwischen Weibchen gibt’s häufig. Oder die Schienenechsen: Dank der Jungfernzeugung brauchen sie gar keine Männer und machen nicht nur den Sex, sondern auch die Fortpflanzung unter Frauen aus. Männliche Giraffen reiben erst ihre Hälse aneinander, bevor's ans Eingemachte geht. Und Trauerschwanmännchen-Paare haben bereits gemeinsam Junge aufgezogen; gleiches wurde bei Pinguinen und Geiern beobachtet. Besonders ärgerlich für alle, die immer dann die Natur anrufen, wenn ihnen etwas in Gender- und Sexualitätsdiskursen nicht passt, ist aber das Schaf. Acht bis zehn Prozent der Schafböcke zeigen ausschließlich homosexuelles Verhalten, weitere 18 bis 22 Prozent sind bisexuell. Woran denken sie eigentlich, wenn sie lammfromm in der Gegend rumstehen und freundlich gucken? Etwa an den Nebenbock? Sind Wollpullis dann wirklich noch was für echte Kerle? Machen Hammelkeulen schwul?

Schaf sei Dank

Lange konnten sich jene Naturanrufer, die es gerne klar sortiert haben im Leben, immerhin damit trösten, dass kein Tier je auf die Idee kommen würde, eine andere Identität zu besitzen. Also wie eine Ente auszusehen, aber im Herzen ein Geier zu sein. Oder als Känguru gelesen zu werden, aber wie ein Wisent zu fühlen. Schaf sei dank wissen wir es jetzt besser. Im aktuellen ZEIT-Magazin berichtet Alard von Kittlitz vom Kamerunschaf Leni, das in Bayern seiner Herde entlief. Allen versuchen, es einzufangen, widersetzte sich Leni beharrlich.

Ein neuer Stallgeruch

Schließlich wurde sie in einer Herde von Wallachen entdeckt, die Leni aufgenommen hatte und offenbar als Pferd akzeptierte. Seitdem weicht das Ausreißer-Schaf seiner neuen Community nicht von der Seite. Selbst wenn Schafe am Gelände vorbeikommen, macht es keine Anstalten, sich ihnen anzuschließen. Stattdessen galoppiert Leni mit den anderen Pferden über die Weide, reibt sich an ihnen, frisst dasselbe Futter, lässt sich striegeln. Mittlerweile hat Leni sogar den Schafgeruch verloren, sagt die neue Besitzerin, die das Tier gekauft hat, damit Leni sein darf, was sie offenbar ist: ein Pferd.
Vielleicht ist das die Botschaft dieser kleinen Geschichte: dass schwarze Schafe sehr wohl glücklich werden können. Sie müssen nur die richtige Herde finden.

 

Georg Kasch, Jahrgang 1979, ist Redakteur von nachtkritik.de. In seiner Kolumne "Queer Royal" blickt er jenseits heteronormativer Grenzen auf Theater und Welt.

 

Zuletzt dachte Georg Kasch für "Queer Royal" über den Darkroom als Utopie-, Lern- und Kunstort nach.

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