Eins, zwei, drei im Scherenschnitt

von Andrea Heinz

Wien, 25. September 2021. Man könnte aus Eugène Ionescos "Der König stirbt", diesem absurden Stück Theater von 1962, ganz locker das Stück zur Stunde machen: Ein (sehr!) alter weißer Mann, Erfinder von Auto, Eisenbahn und Flugzeug, Autor der Illias, der Odyssee und außerdem der Mensch, der hinter dem Pseudonym Shakespeare steckt, der Gründer von Paris, New York, Moskau, dieser Mann, der alle Kriege führte und gewann, der sogar den Gestirnen befielt, stößt an seine Grenzen.

Das Reich zerfällt

Er muss sterben, und dass mit dem Tod schlecht schnapseln ist, das wissen wir aus Bergmans "Siebentem Siegel" genauso wie vom Brandner Kaspar. Das Sterben des Königs nun kündigt sich an mit allen Zeichen des irdischen Niedergangs: Die Gezeiten geraten durcheinander, die Sonne hat zwischen 50 und 75% ihrer Kraft verloren (ach, schön wär's ...) und auch das Reich zerfällt, nicht zuletzt, weil die Soldaten nicht mehr in der Lage sind, die Grenzen zu verteidigen. Und wenn die Grenzen erstmal nicht mehr sicher sind, na, dann wissen wir ja, was es geschlagen hat.

Es gäbe also einiges auf unsere Gegenwart hin zu lesen und zu deuten, zumal an einem Wochenende, das geprägt ist von weltweiten Klimaprotesten und an dem auch am Abend der Premiere unweit der Kammerspiele der Josefstadt Protestierende Straßen blockierten. Doch was Claus Peymann drinnen in den Kammerspielen aus dem Stück macht, das ist in erster Linie nicht ein Kommentar zur Gegenwart, es ist ein sehr intimer, persönlicher Abend über das Sterben eines Menschen.

Der Koenig stirbt 1 PhilineHofmann uDahinsiechen im klaustrophobischen Palast: Lore Stefanek, Johannes Krisch, Bernhard Schir, Maria Köstlinger © Philine Hofmann  

Bernhard Schir spielt diesen König, und Achim Freyer hat ihm einen klaustrophobischen Palast hingestellt, dessen enge, baufällige Mauern aus Stoffbahnen bestehen, die, je nach Atmosphäre und Stimmung, in Farben von gelb über rot bis blau ausgeleuchtet werden. Hoch oben, in einer Art Dachluke, sieht man einen stilisierten Sternenhimmel, drunter steht, auf drei Stufen erhöht, der Thron des Königs, zu seiner Rechten der (ebenfalls ein wenig erhöhte) Thron der ersten Frau Margarete, zu seiner Linken der für Kinder dimensionierte Thron seiner zweiten Frau Maria.

Letztere steht für das Schöne, das Anziehende, das Leben, wenn sie auch nicht als besonders helle gezeichnet und immer wieder von ihrer Vorgängerin in die Schranken gewiesen wird. Die ist wesentlich älter als sie, ihr Ex-Mann ist überdeutlich abgestoßen von ihr, dabei hat sie, wie man immer so schön sagt, die Hosen an und wird am Ende auch die sein, die ihm über die Schwelle hilft. Klassische Frauen-Stereotypen, was soll man noch dazu sagen.

Schön die Haltung bewahren 

Außer vielleicht, dass die beiden Schauspielerinnen das toll spielen, Maria Köstlinger die kokette, kindlich-naive Maria und ganz besonders die großartige Lore Stefanek, deren Margarete an die gestrenge Erzherzogin Sophie in den Sissi-Filmen erinnert und auch ein bisschen an die von Maggie Smith gespielte Dowager Countess of Grantham in "Downton Abbey". Nur nicht sentimental werden, immer schön Haltung bewahren. Das gelingt leider weder Königin Maria noch dem König selbst sonderlich gut. Schir macht, mit großer Spielfreude, aus seiner Figur einen clownesken Kindkönig, launisch, weinerlich, exaltiert.

Der Koenig stirbt 2 PhilineHofmann uToll gespielte Frauenleben: Lore Stefanek, Maria Köstlinger © Philine Hofmann  

Das Sterben hat in diesem Stück, dieser Inszenierung, auch etwas Wahnhaftes. Während nun Margarete versucht, den immer mehr abdrehenden König irgendwie auf Schiene zu halten und Maria ihn nach Kräften in seiner Verleugnung und Verdrängung unterstützt, gibt es auch noch die patent schnippische Haushälterin Julchen (Johanna Mahaffy), den Wächter (Marcus Bluhm), der die Szenerie immer wieder auf banalstmögliche Art für das Publikum kommentiert und schließlich den Arzt, der in Personalunion Chirurg, Bakteriologe, Henker und Sternendeuter ist, warum, bitteschön, auch nicht.

Ihm gibt Johannes Krisch eine schön maliziöse Lakonie irgendwo zwischen psychopathischem Arschkriecher und Magier. Handwerklich und spielerisch einwandfrei schnurrt das eine Stunde und fünfzig dahin, bis der König plangemäß (und in einem wirklich wunderschönen, berührenden Schlussbild) verstirbt.

Kein schlanker Theaterfuß

Soweit, so gut. Es bleibt dabei nur alles sehr eindimensional und eindeutig, was schon durch die (tollen!) Kostüme von Margit Koppendorfer deutlich wird: Der König in rot, die "gute" Königin in Weiß, die "böse" und der Arzt in Schwarz. Eins, zwei, drei im Scherenschnitt. Und der Kontrast zu dem, was gerade an diesem Wochenende draußen auf den Straßen abgeht, macht halt auch keinen besonders schlanken Fuß. Natürlich und unbenommen muss am Theater Platz sein für so etwas Intimes und Privates wie das Sterben eines Individuums (das in letzter Konsequenz sowieso nicht privat ist oder individuell, weil wir alle sterben, jaja). Trotzdem lässt sich nicht leugnen, dass das Ganze ein bisschen aus der Zeit gefallen wirkt.

 

Der König stirbt
von Eugène Ionesco
Aus dem Französischen von Claus Bremer und Hans Rudolf Stauffacher, Textfassung für das Theater in der Josefstadt von Jutta Ferbers und Claus Peymann
Regie: Claus Peymann, Bühne und Lichtkonzept: Achim Freyer, Kostüme: Margit Koppendorfer, Musik: Franz Wittenbrink, Licht: Ulrich Eh, Dramaturgie: Jutta Ferbers.
Mit: Bernhard Schir, Lore Stefanek, Maria Köstlinger, Johannes Krisch, Johanna Mahaffy, Marcus Bluhm.
Premiere am 25. September 2021
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.josefstadt.org

 

Kritikenrundschau

"In dem auf armselig und baufällig gestrickten Bühnenbild von Achim Freyer setzt Claus Peymann das Stück in Szene", schreibt Martin Lhotzky in der Sammelkritik über aktuelle Wiener Premieren in der FAZ (4.10.2021). Peymann verändere das Stück nur insoweit, als der Leibarzt in Zeiten der Pandemie jetzt auch als Virologe auftrete, "eine leidlich unterhaltsame, aber hoffnungslos harmlose Angelegenheit".  

Margarete Affenzeller schreibt im Wiener Standard (online 26.9.2021, 14:31 Uhr) über "Claus Peymanns Märchenstunde": Peymann werbe "für Mitleid mit dem Alten", der so gerne "unbehelligt weitermachen" möchte, während "ringsum alles einstürzt". Und tatsächlich der von Bernhard Schir mit "traumwandlerischer Wackeligkeit" gespielte Regent tue einem leid. Schir habe "alle Tonarten drauf, ohne sie zu strapazieren". Eine "bemerkenswerte" Darstellung. Diese "kindertaugliche Märchenfassung" sei zwar "schön anzuschauen", Peymann neutralisiere aber damit den "absurden Charakter des Textes". Beifallsstürme.

Thomas Kramar schreibt in der Wiener Presse (online 26.9.2021, 9:08 Uhr, Paywall): Im Angesicht des Todes sei jedermann ein König, aber einer, der zum Kind regrediere, "dessen Reich auf eine Nussschale schrumpft". Das sei "verzweifelt komisch", und diese verzweifelte Komik arrangiere Claus Peymann in seiner Inszenierung "präzise". Schnell gewinne das Spiel an Tiefe, jeder Satz sitze, jedes Wort. Bernhard Schirs irrwitzige Mimik sei "tragikomisch im besten Sinn". Lore Stefanek spiele die erste Königin als eine Art Todesgöttin. Dieses Spiel funktioniere auf allen Ebenen gut. "Könnte Peymann sich nicht vielleicht doch noch einmal an Beckett wagen? Ein 'Endspiel' von ihm möchte man gern erleben."

 

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