Ahnen raus aus meinem Körper!

Düsseldorf, 2. Oktober 2021. Blut, Konfetti und Patriarchendämmerung. "Dem Mann das Schwert, dem Weib die Flitter. Nein, nein, ich brauche mehr", bekennt Lea Ruckpaul und setzt dem Männer-Mythos der "Nibelungen" gemeinsam mit Regisseur Stephan Kimmig ihre eigene Version frei nach Friedrich Hebbel entgegen: "Die Nibelungen. Kriemhilds Rache".

Von Gerhard Preußer

Ahnen raus aus meinem Körper!

von Gerhard Preußer

Düsseldorf, 1. Oktober 2021. Wenn Männer Männer morden, ist das pure Machtgier. Wenn Frauen Männer Männer morden lassen, ist das intrigante Rache. So ist das bei den Nibelungen, den deutschen Ahnen, den Mythenmenschen. Aber wenn Frauen mordende Männer morden, ist das Utopie. So in Stephan Kimmigs Version von Hebbels "Nibelungen" im Düsseldorfer Schauspielhaus, Untertitel: "Kriemhilds Rache".

Was wird den Frauen angetan?

Dass die Nibelungen als deutsches Nationalmythos in der Geschichte eine Rolle spielten, steht im Programmheft, auf der Bühne ist es egal. Patriarchalisch ist die Geschichte allemal, das reicht. Nur aus diesem Winkel sieht man drauf: Wie gehen die Burgunderkönige mit den Frauen um? Grässlich.

nibelungen 1 c thomasrabsch uDie Rächerin Kriemhild alias Lea Ruckpaul gebietet Einhalt (mit Joscha Baltha im Hintergrund) © Thomas Rabsch

Kimmigs Nibelungen-Kondensat wird eingerahmt von einem Vor- und einem Nachspiel. Das Vorspiel ist fast stumm, das Nach-spiel umso redseliger. Man sieht zunächst in eine Art von Wohncontainer. Darin schläft eine junge Frau (Lea Ruckpaul), ein Mann sitzt dumpf und blutbeschmiert am Tisch. Überschrift (in der Textfassung): "Kriemhild verbringt eine depressive Woche". Sie steht auf, probiert Bekleidung an und legt sich wieder hin, so vergehen schnell (und doch zu langsam) sieben Tage.

Der blutige Mann ist der tote Siegfried (Florian Lange), um den sie trauert. Aufgeheitert wird die zähe Szene nur durch lustige Geräusche, die plötzlich die Dinge von sich geben, der Heizungsknopf, die Zahnbürste, der Schrank. Was hier vorweg aktualisierend ausgewalzt wird, ist eigentlich fast schon der Schluss: Aus Kriemhilds sieben Jahren, in denen sie die Rache für den Mord an Siegfried ausbrütet, wurden sieben Tage.

Mit grotesker Grazie

Zu lange dauert schon das Einerlei, da bricht Brunhild (Minna Wündrich) aus dem Schrank, ein wildes schwarzbehostes Weib, das tänzelt und sich an seiner Kraft erfreut. Nun beginnt der Schnelldurchlauf durch die alte Handlung: Gunther (Andreas Grothgar) wirbt um Brunhild, Siegfried erledigt das für ihn, sodass Gunther die Hünin nur im Distanzkampf niederzuwerfen braucht. Siegfried hält nach mehreren Versuchen stotternd um Kriemhilds Hand an. Sie muss aber erstmal ein paar Runden im großen Kreis des Bühnenrunds laufen, bevor sie endlich "ja" sagt. Als Brunhild dann an den Burgunderhof kommt, springt Kriemhild mit grotesker Grazie als ideales Weibchen fröhlich herum, lässt eine Konfettikanone knallen. Die nordische Riesentochter steht nur fassungslos und fremd herum: Ihre Geschlechterrollendefinition ist anders: "Weißt du, was es heißt, ein Weib zu sein, in jedem Kampf den Mann zu überwinden?"

nibelungen 2 c thomasrabsch uEhesansicht mit totem Helden: Florian Lange als Siegfried und Lea Ruckpaul als Kriemhild im Bühnenbild von Oliver Helf © Thomas Rabsch

Siegfrieds zweiter Hilfsdienst für Gunther ist schon schwieriger. Während vorne Gunther in Distanzkopulation Brunhild zu bearbeiten scheint, bespringt Siegfried im Bärenfell eine Art Hermelin unter dem sich Kriemhild verbirgt. (Wer hier mit wem, war schon im Mittelalter schwer zu unterscheiden.) Nach dieser Vergewaltigung behauptet Brunhild unter Tränen, nun sei sie ganz verwandelt, sie ein schwaches Weib und er der starke Mann. Man sieht das Gegenteil. Nach dem Streit der Königinnen bietet sich Hagen (Joscha Baltha) als der Problemlöser an. Er ist hier nicht der finstere rauschebärtige Recke, eher der smarte Ratgeber, ein Spin-Doktor der Mächtigen im grellgelben Anzug.

Ruhm durch Leiden

Und wenn die Rache kommt für Siegfrieds Tod, dann ist das ganz schnell vorbei. Kriemhild und Brunhild (die im echten Nibelungenlied ja dann schon ganz vernachlässigt ist) kommen herein und knallen Gunther und Hagen ganz einfach mit Pistolen ab. Peng und weg ist die ganz dritte Abteilung von Hebbels deutschem Trauerspiel. Kein Etzel, keine Gemetzel im brennenden Saal, auch kein Hoffnungsträger Dietrich von Bern. Kimmigs "Kriemhilds Rache" kommt ganz ohne Hebbels "Kriemhilds Rache" aus.

nibelungen 4 c thomasrabsch uBereit für die Patriarchendämmerung: Brunhild (Minna Wündrich) und Kriemhild (Lea Ruckpaul © Thomas Rabsch

Stattdessen gibt es Lea Ruckpauls Nachspiel. Das sind zwanzig Minuten Dialog zwischen Lea Ruckpaul und Minna Wündrich. Sie beschweren sich, dass nur ihr Blutvergießen Frauen unsterblich macht. Nur das Leiden mache Frauen berühmt. Damit soll Schluss sein. Alles das, was Jahrhunderte weiblicher Sozialisation in den Frauenkörpern abgelagert hat, soll raus: "Ahnen raus aus meinem Körper, Erziehung raus, Patriotismus raus" usw. Die assoziativ kreisende Diskussion über Mütter, die physiologischen Gegebenheiten des Frauenkörpers und deren soziale Bedeutung könnte ermüdend sein, wären die beiden nicht energiesprühende Schauspielerinnen, die jede Pointe gekonnt servieren.

Als die drei Männer Eis lutschend dazukommen, endet die Befragung des Hebbel'schen Werkes ratlos: "Zurück geht nicht, wir zittern vor Veränderung". Und damit ist man wieder ganz nah bei Hebbel: "Das große Rad der Welt wird umgehängt, vielleicht gar ausgetauscht. Dem Mann das Schwert, dem Weib die Flitter. Nein, nein, ich brauche mehr."

 

Die Nibelungen. Kriemhilds Rache
von Friedrich Hebbel — mit einem Nachspiel von Lea Ruckpaul
Regie: Stephan Kimmig, Bühne und Video: Oliver Helf, Kostüm: Sigi Colpe, Musik: Nils Strunk, Dramaturgie: Robert Koall.
Mit: Lea Ruckpaul, Minna Wündrich, Joscha Baltha, Andreas Grothgar, Florian Lange.
Premiere am 1. Oktober 2021
Dauer: 1 Stunde 55 Minuten, keine Pause

www.dhaus.de

 

Kritikenrundschau

"In Erinnerung bleiben von diesem überfrachteten Abend vor allem die schauspielerischen Leistungen", schreibt Bertram Müller in der Rheinischen Post (4.10.2021). Insbesondere hebt er Minna Wündrich, Lea Ruckpaul, Josha Baltha, Florian Lange und Andreas Grothgar hervor. Auf der sich "von Zeit zu Zeit drehende Bühne mit ihrer hohen Wand für Projektionen" sieht der Kritiker Kämpfe sich ereignen und laute, wilde Dialoge, die sich für ihn nicht so recht zum schlüssigen und ausbalancierten Gesamtbild des komplexen wie personalreichen Stoffes fügen.

"Der Beginn einer Reise zu den alten Nibelungen, bei denen man sich nach der Inszenierung (...) sicher ist, dass man sie durchaus noch braucht,"  schreibt Anna Brockmann in der NRZ (5.10.2021). Auch das Zeitmanagement Kimmigs beeindruckt sie: "Die Nibelungen in 90 Minuten, das muss man erst mal schaffen." Die Schauspielerinnen Lea Ruckpaul und Minna Wündrich werden ebenfalls lobend hervorgehoben."

Eine "gewisse Leichtigkeit", Charme und Ironie beim Umgang mit dem schweren Stoff bescheinigt Christoph Ohrem in der Sendung "Scala" im WDR (4.10.2021) dieser "Männergeschichte", die für ihn allerdings eher im Kontext der Kanonpflege Sinn macht. Denn grundsätzlich fragt er sich schon: "Warum erzählen wir dann jetzt nicht starke Frauengeschichten von modernen Autorinnen und Autoren, mit Problemen, die nicht von vor 700 Jahren hergeleitet werden müssen." 

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