Hinter lobbyistischen Slogans

12. Oktober 2021. Theater gilt als Bollwerk gegen Rechts. Doch die AfD hat in Sachsen 24,7 Prozent geholt und gibt pro Kopf zugleich am meisten für Kultur aus – irritierende Details. Es braucht neue Argumente fürs Bollwerk-Dasein.

Von Georg Kasch

Hinter lobbyistischen Slogans

von Georg Kasch

12. Oktober 2021. Muss Theater sein? Na klar. Weil: Theater ist systemrelevant. Und: Theater ist ein Bollwerk gegen Rechts. Oder? Kürzlich war in Deutschland Bundestagswahl, die im Großen und Ganzen die Mitte gestärkt hat.

Möglich, dass das Theater das Seine dazu beigetragen hat. Allerdings irritieren Details. Etwa, dass in Sachsen die AfD 24,7 Prozent geholt hat. Zugleich ist es das Bundesland mit den höchsten Pro-Kopf-Ausgaben für Kultur. In Thüringen wählten 24 Prozent AfD. Nach Sachsen und den Stadtstaaten liegt es bei den Kulturausgaben je Einwohner auf Platz 5.

Theater und AfD im Osten

Klar kann man sagen: Alles halb so wild, ist ja nur ein Viertel und weit von der absoluten Mehrheit entfernt. Aber in Zeiten von erodierenden Volksparteien reicht das jeweils für Platz 1. Koalitionsbildungen um die AfD herum werden in Ländern wie Sachsen und Thüringen in Zukunft immer schwieriger.

Sachsen wiederum besitzt zahlreiche Theater auch in kleineren Städten, in Annaberg-Buchholz und Radebeul, in Plauen und Freiberg, in Zittau und Görlitz. Dort übrigens war die AfD besonders stark, obwohl das Schauspiel bis zuletzt eine Regisseurin aus Ungarn leitete, die mit ihrem internationalen Ensemble und Übertiteln versuchte, im Dreiländereck die Brücken Richtung Polen und Tschechien zu schlagen.

Was nichts über diese sehr engagierte Arbeit aussagt. Wie es überhaupt erfreulich ist, dass noch kein Haus auf die AfD-Linie eines national-klassischen oder -romantischen Kanons eingeschwenkt ist und sich selbst im boulevardigsten Spielplan noch ein, zwei politische Positionierungen verstecken. Gut möglich also, dass ohne die Theater die AfD noch viel stärker abgeschnitten hätte.

Wen interessiert das noch ?

Aber die Wahlergebnisse lehren doch Bescheidenheit angesichts des begrenzten Einflusses von Kultur. Eine der so zentralen wie deprimierenden Erkenntnisse aus den Corona-Lockdowns war ja, dass die Theaterschließungen jenseits der Kulturschaffenden kaum jemanden aufgeregt haben: keine Demos, keine Protestpetitionen, keine Solidaritätsadressen kamen aus dem Publikum, jedenfalls keine, die eine überregionale Wahrnehmung zur Folge gehabt hätten.

Teil der Lage ist, dass die Theater im Osten zerrissen werden zwischen ihrer oft großartigen Geschichte (die nur möglich war, weil die Theater in der DDR staatlicherseits eine ganz andere Wertschätzung genossen, Instrumentalisierungsversuche inklusive), ewigen Sparrunden, entsprechend begrenzten Ressourcen, damit einhergehend fehlender überregionaler Strahlkraft jenseits von Dresden und Leipzig – und einer Bevölkerung, der die Jungen und die Leistungsträger fehlen. Die gehen jetzt in Augsburg, Tübingen und Bochum ins Theater (oder gleich zu Netflix).

Denn wen erreicht Theater? Wirklich diejenigen, die plötzlich einen ganz neuen Blick auf Leben und Politik entwickeln? Oder doch eher die bereits Bekehrten? Wogegen im Übrigen nichts zu sagen ist: Jeder Mensch hat ein Recht auf Kultur, darauf, sich mit Kunst auseinanderzusetzen, im Dialog mit ihr die eigene Identität zu entwickeln. Theater kann sensibilisieren, Empathie lehren, eine Auseinandersetzung mit dem Kanon anregen. Vermutlich schärft es auch politische Wahrnehmung, wenn die entsprechende Produktion aufs entsprechende Publikum trifft. Gerade für queere Menschen abseits der Zentren kann Theater überdies zur befreienden Gegenwelt werden, in der andere Gesetze gelten.

Zeit für Argumente

Nur der Anspruch, gleich die gesamte Gesellschaft zu verändern, ist vielleicht ein bisschen groß. Slogans wie der vom Bollwerk gegen Rechts gehören zum Besteck des Kulturlobbyismus. Wie übrigens auch Umwegrentabilität, Publikumszuspruch und Stadtmarketing – Begriffe, die Theaterleuten sonst oft nur mit Verachtung über die Lippen kommen. Das muss nicht verkehrt sein, wenn es darum geht, Entscheider:innen Geld aus dem Kreuz zu leiern.

Zur Ehrlichkeit gehört aber auch einzugestehen, dass dieses Bollwerk, sollte es tatsächlich existieren, nicht allzu stark ist – siehe oben. Und dass es sinnvoll wäre, statt Slogans Argumentationen zu formulieren. Warum muss Theater sein? Warum ist es systemrelevant? Was darf, was muss es kosten? Bevor diese Fragen irgendwann Politiker:innen der AfD aus einer Machtposition heraus stellen, sollten wir auf diese Fragen gut begründete Antworten gefunden haben.

 

Georg Kasch, Jahrgang 1979, ist Redakteur von nachtkritik.de. Er studierte Neuere deutsche Literatur, Theaterwissenschaft und Kulturjournalismus in Berlin und München. In seiner Kolumne "Queer Royal" blickt er jenseits heteronormativer Grenzen auf Theater und Welt.

 

Zuletzt fragte Georg Kasch in seiner Kolumne ob Hammelkeulen schwul machen

mehr Kolumnen

images/stories/kolumne/visuals_2023/23_NAC_kolumnen_einzel_hussein_2x2.png
images/stories/kolumne/visuals_2023/23_NAC_kolumnen_einzel_hussein_2x2.png
images/stories/kolumne/visuals_2023/23_NAC_kolumnen_einzel_hussein_2x2.png
images/stories/kolumne/NAC_Illu_Kolumne_Kasch_2x2.png