Faustus' Theme

von Michael Laages

Wien, 8. November 2008. Na gut: "Sympathy for the Devil" hätte auch gepasst. Aber dann hätte es sicher Ärger mit den Rechteverwaltern der "Rolling Stones" gegeben. Titel von Pop-Songs müssen ja ohnehin auch nur irgendwie stimmen – und ist die Liebe nicht irgendwie wie ein Fieber für den deutschen Tonsetzer Adrian Leverkühn, über dessen Leben und Sterben, Karriere und Genie Thomas Mann im letzten großen Roman-Projekt "Doktor Faustus" erzählen lässt?

Echter Liebe, jener also, die Herz und Körper wärmt und erhitzt, hat dieser Künstler auf der Suche nach Genie bekanntlich abgeschworen. Wie ein Faust die Seele, so verschreibt Leverkühn die Liebe dem Teufel, um sich dafür als Künstler im Tausch- und Gegenwert ein Vierteljahrhundert Genialität und himmelsstürmenden Erfolg einzuhandeln.

Musikalische Aufteilung der Stimmen

Zielstrebig steuert auch die Bearbeiterin und Regisseurin Friederike Heller, erfahren in der theatralischen Neu-Erfindung von Romanen, auf die Frage nach neuen Pakten mit zeitgenössischen Teufeln zu, die längst nicht mehr nur der Künstler schließt, sondern Herr und Frau Jedermann womöglich auch. Hellers Bearbeitung etwa von Turgenjews "Väter und Söhne" versuchte in Stuttgart noch, das Roman-Material für die Bühne handhabbar zu machen, die an sich nicht aufdringlich dialogische Erzählung im engeren handwerklichen Sinne zu dramatisieren.

Mit Thomas Manns Faust-Material geht sie nun konsequent anders um: treibt ihm alles Beiwerk, alles Münchner Gesellschaftspanorama aus, verzichtet auf fast die komplette Personage. Kein Schildknapp und kein Schwerdtfeger, keine Senatorin Grodde und auch keine gefährlichen Liebschaften im Hause Institoris – übrig bleibt im Grunde nur die Erzählerfigur Serenus Zeitblom, Thomas Manns "alter ego".

Zeitblom aber ist nun immerhin zu fünft, ist musikalisch aufgeteilt in Rezitativ und Chor: Bibiana Zeller referiert Manns Selbstreflexionen über den Künstler in seiner Zeit als allgewaltige Erzählerin an einer Art Schreibtisch hoch oben in Sabine Kohlstedts Bühnenraum. Auch auf den gelöchert-weißen, sozusagen grob gepixelten Video-Wänden ist sie obendrein die autoritative Spielmacherin. Schließlich wird sie die einzige richtige "Episode" aus Leverkühns Teufelspakt "spielen": die Begegnung mit dem Kind, das sich selber "Echo" nennt und Leverkühns "letzte Liebe" ist; oder besser: wäre. Denn weil auch die Zuneigung zu dieser kindlichen Unschuld "wärmt", holt den Kleinen bald der Teufel – ganz banal und fürchterlich in Form einer Hirnhautentzündung.

Erstaunlich viel Spielmaterial

Derart von Geschichten befreit, treten die Choristen (Petra Morzé und Rudolf Melichar, Philipp Hochmair und Felix Goeser) an zum Thomas-Mann-Seminar. Und dennoch entsteht erstaunlich viel Spiel-Material mit diesen Akteuren, wo doch textlich im Grunde bloß sehr viel Trockenfutter zu verhandeln ist, ziemlich viel Papier. Die Theatralität des Spiels entwickelt sich verblüffend stark aus der jeweiligen Haltungssuche aller, gestützt auf sehr viel Musik jenseits aller Zwölftönerei: Peter Thiessen und Michael Mühlhaus steuern mit Stimme, Gitarre und Klavier einen Friedrich-Hollaender-Song ebenso bei wie voluminöse Post-Punk-Klanggewitter.

Besonders suggestiv gelingt der Sound dann auch in der zentralen Passage des knapp bemessenen 100-Minuten-Abends: wenn sich Heller dezidiert auf die Suche nach dem Teufelspakt von heute begibt. Da hatte nämlich den Künstler mit der Sehnsucht nach Genie gerade noch die Roman-Grisette aus dem Leipziger Puff umgarnt und becirct, die Prostituierte mit dem "spanischen Jäckchen", die "Hetaere Esmeralda"; und einer von Leverkühns und Zeitbloms Bühnen-Klons schien sich auch redlich zu bemühen, sich zielstrebig bei ihr mit Syphilis zu infizieren - da weitet sich das Panorama optisch zur Gegenwart.

Delirium der vergifteten Ökonomie

Und während der Sound von Stuka-Bombern im kriegerischen Tiefflug zu dröhnen beginnt, erscheinen auf Kohlstedts Pixel-Wänden Bilder von der Erstürmung der neuen "Media-Markt"-Filiale anno September vorigen Jahres im gräßlichen "Alexa"-Kaufhaus am Alexanderplatz in Berlin: Masse Mensch im taumelnden Willen zur "Ich bin doch nicht blöd"-Käufermacht, versetzt mit Bildern von der Börse und von rechten Demos. Das sieht sich wirklich ziemlich eklig an.

Und so mag wohl zeitweilig auch dem Herrenmenschen Mann gegruselt haben vor dem ameisigen Gewimmel all jener, die seinesgleichen nie sein würden. Doch doppelt tödlich ist dieser Pakt – in Hochmut und Verachtung wie durch die Selbstaufgabe im Konsum. Es mag wie platte Wahrheit wirken – doch wie, wenn nicht vornehm oder im Delirium der vergifteten Ökonomie, geht gerade eine Welt zu Grunde? Das hat Friederike Hellers Team gefunden im Pop-Song von "Doktor Faustus" und Thomas Mann. Und dass dieser Fund die Mühe lohnt, beweist sich auf der Bühne.

 

Doktor Faustus – My Love is a Fever
nach Thomas Mann
Regie: Friederike Heller, Bühne: Sabine Kohlstedt, Kostüme: Johanna Preissler, Musik: Peter Thiessen/Michael Mühlhaus, Video: Philipp Haupt, Licht: Felix Dreyer. Mit: Petra Morzé, Bibiana Zeller, Felix Goeser, Philipp Hochmair, Rudolf Melichar, Michael Mühlhaus, Peter Thiessen.

www.burgtheater.at


Mehr zu Friederike Heller: Im Mai 2007 inszenierte sie Spuren der Verirrten von Peter Handke am Burgtheater in Wien, im Juli 2007  Rafael Spregelburds Die Dummheit in Stuttgart.

 

Kritikenrundschau

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (10.11.) meint Hubert Spiegel, dass Friederike Hellers hundertminütige "Faustus"-Fassung "My love is as a fever" nach Thomas Mann am Wiener Akademietheater "dramaturgisches Geschick" beweise, "denn die Reduktion auf einige wenige Kernszenen lässt das riesige Romanwerk beherrschbar erscheinen. Aber der Schein trügt. Wenn im Verlauf des Abends der Effektreigen immer greller und das Tempo immer höher wird, spiegelt sich darin die Fluchtbewegung der Regie vor einem Stoffgebirge, das man nicht ungestraft mit wummernden Bässen in Schwingung versetzt." Es folge "eine Nummernrevue, die mit Slapstick beginnt und meint, mit Kulturkritik und Schmerzenspathos enden zu können." Der Abend sei "immer dann ganz bei sich, wenn er den Roman wegwitzeln und wegwummern kann, und er ist sich selbst am fremdesten, wenn er meint, ihn ernst nehmen zu müssen".

Die Stärken von Hellers Inszenierung lägen, so schreibt es Thomas Kramar in Wiens Die Presse (10.11.), im Rhythmus: "In ihren besten Momenten ist sie ein Sprechstück im Sinne Peter Handkes." Die "Faustus"-Texte seien "klug montiert", wenn auch die Aufteilung des Erzählers Zeitblom auf vier Schauspieler "inhaltlich nicht sehr sinnvoll" sei: "Zeitblom ist keineswegs eine gespaltene Persönlichkeit". In den schlechtesten Momenten sei "My love is as a fever" aber "eine peinliche Revue" – und Kramar vermeldet Fälle von "Slapstick à la 'Beethoven fällt in die Pauke'" und ähnlichem "Kabarettismus". Es sei aber auch eine "faustische Aufgabe", aus Manns "Doktor Faustus" "zwei Bühnenstunden zu destillieren" – und "ohne teuflischen Beistand kann man sie wohl nicht besser erfüllen, als es hier gelungen ist."

"Die Romanbearbeitungsgier der mittleren Regisseurselite stößt ... an erwartbare Grenzen", konstatiert Ronald Pohl im österreichischen Standard (10.11.). Hellers Team würze zwar "die gehetzte Performance mit allerlei Spieleinfällen", man versprühe "gute Laune zum diabolischen Spiel", doch alles in allem werde "eines der komplexesten deutschen Sprachkunstwerke des 20. Jahrhunderts als Brühwürfel benützt". "Das Scheitern dieses doch arg genügsamen Wortoratoriums" liege aber "nicht so sehr in der Unmöglichkeit, Manns Intellektualismus auf das fassliche Maß einer Samstagabendunterhaltung herunterzubrechen. Es fehlt der projektierte Kern: Ursprünglich hätte Hellers Mann-Digest den gescheiterten Goethe-Faust am Burgspielplan flankieren sollen."

"Was aber kann das Theater, was das Buch nicht kann?" fragt Stephan Hilpold in der Frankfurter Rundschau (11.11.). Und antwortet: "Zeit sparen", "Schneisen schlagen, Akzente setzen, Stoffe vergegenwärtigen". Im Fall von Thomas Manns "Doktor Faustus" gelinge Friederike Heller das in ihrer bewährten Montagetechnik aber nur zum Preis einer großen "Verlustmasse". Die Verschränkung des Lebens von Adrian Leverkühn mit dem Untergang des Dritten Reiches werde bei ihr "so unbestimmt wie aufgesetzt" mit einem Videoclip mit "Massenaufläufen Flaggenmeeren oder Börsenszenen" abgehandelt. Wer dieses Buch dramatisiere, sollte aber wissen "worin der Pakt mit dem Teufel besteht". Sonst könne man gleich ein Literaturlexikon lesen, das ginge dann noch schneller.

Als wisse sie nicht, "ob ihr Unternehmen ein gelungenes" sei, schreibe Friederike Heller das "Als-ob" gleich in den Titel ihrer Inszenierung "Doktor Faustus - my love is as a fever" hinein, bemerkt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (12.11.). Eine Weile lang sei der Abend "sehr hübsch und auch gut geplant, doch irritierend schönheitstrunken", bis Heller einfalle, "dass Mann ja den Teufel in seinen Roman hineinschrieb und Nietzsche, Schopenhauer und Adorno gleich dazu und den Lebensweg des Tonsetzers, der durch die Syphilis zur Kreativität gelangt". Dann gehe es es auf der Bühne albern und circensisch drunter und drüber, "ist man flugs im Bordell und infiziert wieder draußen, werden Barbarei und Kultur, Kultus und Ritus im Galopp durchdekliniert, dass es anfangs tatsächlich eine Pracht ist, weil es allein schon saukomisch ist, wie die Schauspieler darüber diskutieren, welches Kapitel des Romans sie jetzt darstellen und welches nicht, welches doof ist und welches einen weiterbringt." Am Ende schaffe Heller ungefähr die Hälfte der Kapitel und pflanzt im Zuschauer die per Video vermittelte Erkenntnis, dass der Andrang bei der Eröffnung eines Elektronik-Markts irgendwie ein Menetekel ist. "Und gleichzeitig den Zweifel, ob dies wirklich eine Erkenntnis ist oder doch nur ein persönlicher Affekt, mit dem uns die Regisseurin nach Hause schickt."

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