Komik aus Versehen, Schlingern im Verborgenen

von Georg Kasch

12. November 2008. Wer ihn nur als Oberstudiendirektor Dr. Gottlieb Taft kennt, diesen altmodisch-gestrengen wie trottelig-charmanten Direktor des Mommsen-Gymnasiums in den Filmkomödien der "Paukerreihe", jenen sieben Filmen, die zwischen 1968 und 1972 entstanden, kennt Theo Lingen nicht. Und hat dennoch schon viel von seiner Kunst erlebt: sein Markenzeichen, die nasale Stimme, und seine aufrechte, elegante Haltung, die bei Bedarf in atemberaubende Körperartistik umschlagen kann.

Fast ein klassischer Weg zum Bühnenstar

Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen haben dem Komiker, Komödianten und Charakterdarsteller nun eine umfangreiche, lesenswerte Biografie gewidmet: "Theo Lingen. Das Spiel mit der Maske". Denn der 1903 geborene Lingen, der sich seinen Platz in der Filmgeschichte nicht nur durch prägnante Auftritte in mittelmäßigen Nachkriegskomödien und als Partner von Hans Moser, sondern auch mit starken Nebenrollen in den Fritz-Lang-Klassikern "M – eine Stadt sucht ihren Mörder" oder "Das Testament des Doktor Mabuse" sicherte, arbeitete als Schauspieler, Regisseur und Autor auch für die Bühne, den Rundfunk und das frühe Fernsehen, spielte in großen Tragödien, Brecht-Experimenten und im Kabarett.

Nach einem autodidaktischen Einstieg und Engagements in seiner Geburtsstadt Hannover, dann Halberstadt ("kotzt mich jetzt schon an", notierte er bald), später Münster (wo er seine spätere Frau Marianne Zoff kennen lernte) und Frankfurt (bei Arthur Hellmers) gelangte er nach Berlin, wo er auch unter Gustaf Gründgens spielte (zum Beispiel den Malvolio) und mit selbst geschriebenen und inszenierten Komödien ("Was wird hier gespielt?", "Johann") am Kleinen Haus des Staatstheaters große Erfolge feierte.

Vergleich mit Gustaf Gründgens

Zu Gründgens, dem umstrittenen Theater- und Film-Star im Dritten Reich, gibt es zahlreiche Parallelen: das Tingeln durch die Provinz (fast wären sie sich schon in Halberstadt begegnet), die Vielseitigkeit der Rollen und Engagements in den Jahren ab 1930 sowie der Umstand, dass die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, gerade als seine Karriere mit Bühnenerfolgen und ersten markanten Filmnebenrollen so richtig anlief. Beider Spiel wurde mit den Begriffen kalt, artistisch in Verbindung gebracht, beide wagten während der NS-Zeit ein doppeltes Spiel – Gründgens exponierter und uneindeutiger, Lingen mehr im Verborgenen.

Eine repräsentative Rolle hat er nicht angestrebt, war aber bei Winterhilfswerksammlungen und Wunschkonzerten dabei und unterstützte mit seinen Auftritten in Unterhaltungsfilmen und mit einer "Johann"-Tournee an die Front den Durchhaltewillen von Bevölkerung und Soldaten. Beide engagierten sich für ("halb"-)jüdische und politisch verfolgte Kollegen und Freunde, beide schwiegen nach dem Krieg. Warum? Darüber können die Autoren nur spekulieren, und auch die intensive Korrespondenz der Freunde gibt darüber keine Auskunft.

Viele spannende Details

Auch, wenn sich der umfangreiche Band stark auf die Karriere Lingens stützt, arbeiten die Autoren Lingens biografische Details heraus, ohne in die Kolportage zu verfallen. Keine leichte Aufgabe bei einem, der schon früh in Interviews mit vorgefertigten Antworten konterte, Homestorys nur unter klaren Auflagen und schließlich gar nicht mehr zuließ.

Dennoch: Der spannenden Details gibt es genug. Da ist sein zunächst schwieriges, dann distanziert freundschaftliches Verhältnis zu Bertolt Brecht, dem Ex-Mann seiner Frau und Vater seiner Ziehtochter Hanne (Hiob), in dessen Stücken er in den späten Zwanzigern und frühen Dreißigern glänzt (unter anderem als Kurt-Gerron-Ersatz in der Berliner "Dreigroschenoper"). Da ist Marianne, ab 1933 plötzlich zur "Halbjüdin" erklärt, und deren Mutter, die als "Volljüdin" besonderen Schutzes bedurfte. Da war Hanne, die als Brecht-Tochter im Dritten Reich ebenfalls nicht ungefährdet war und deshalb von Lingen (trotz Brechts Hadern) adoptiert wurde.

Die Maske verbarg und erklärt den Charakter

Lingens Lavieren, seine strikte Trennung von Beruf und Privatem wird von Aurich und Jacobsen wieder und wieder betrachtet. Ihr Ringen um Distanz und Objektivität zum zweifellos geliebten Untersuchungsgegenstand verleiht der Lektüre Spannung. Verheddern sich die Autoren zunächst noch in Details und will sich die Lesefreude durch eine allzu strenge Chronologie nicht recht einstellen, gewinnt die Erzählung mit Lingens Ankunft in Berlin deutlich an Schwung.

In den Kapiteln über das Dritte Reich gelingt es den Autoren zum Beispiel, komplexe Zusammenhänge der NS-Kulturpolitik auf wenigen Absätzen überschaubar darzustellen. Sie verlassen auch wiederholt die Detailanalyse, um Zusammenhänge zu erläutern und Lingens Ästhetik zu beleuchten. Schließlich finden sie mit dem (freilich nicht neuen) Bild der Maske ein schlüssiges Bild, um Lingens Charakter zu erklären. Mit ausführlichem Rollenverzeichnis, Register und Fußnoten versehen, lässt sich diese Biografie ebenso als Nachschlagewerk nutzen wie als Nachttisch-Lektüre. So oder so: Es lohnt.

 

Theo Lingen. Das Spiel mit der Maske
von Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen
Aufbau-Verlag. Berlin 2008.
551 Seiten. 24,95 Euro.

 

 

 

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