Der Schoß, aus dem es kroch

5. November 2021. Die Stücke Ödön von Horváths gelten mit ihren entgleisenden Gesellschaften als aktueller denn je. Im Rahmen des NSU-Rechercheprojekts "Kein Schlussstrich" hat Lizzy Timmers jetzt Horváths frühen "Sladek" mit dem rechten Terror im Kopf neu gelesen. Ein heikles Unterfangen.

Von Henryk Goldberg

Leere Stühle für die Toten: "Sladek" am Theaterhaus Jena © Joachim Dette

Jena, 5. November 2021. "Beate?" versichert sich der Junge fragend, da sind wir fast am Ende. Ja, es ist Beate, Beate Zschäpe. "Sladek", entgegnet Beate, "hätte mir gefallen. Ein Typ der was will." Und auf der Bühne steht eine Kiste in der es manchmal grummelt und darauf steht "Svastika". Ungefähr darum geht es. Die Mordgesellin des NSU, die den Sladek gleichsam fortschreibt, die Kiste mit unseren Nazis, auf der der Deckel gerade noch so zu halten ist. Die Jenaer beteiligen sich mit dieser Arbeit an dem bundesweiten Projekt "Kein Schlussstrich". Auch Weimar hat es zum gleichen Anlass schon mit Ödön von Horváth versucht und ließ Dirk Laucke den Prosatext "Ein Kind unserer Zeit" bearbeiten. In Jena nun wieder Horváth, "Sladek oder Die schwarze Armee", und die These, die sich gelegentlich auch an diesem Abend aufstellen lässt, hat weniger mit der Dramatik des Rechtsextremismus als dem der Bühne zu tun: Ein vergessener Text ist in aller Regel mit Gründen vergessen. 

Vom Sladek zu den rechten Mördern

Der Junge also, der Sinn und Grund fürs Leben sucht und ihn, es ist der Anfang der Zwanziger, in der Schwarzen Reichswehr findet, Versailles und die Folgen. Der Junge, der heftig auf seiner Fähigkeit zum Selberdenken insistiert, der, bitteschön: Facebook-like, in seiner Blase blubbert, der seine Geliebte der Feme übereignet und sich doch unschuldig glaubt, schließlich, es war fürs Vaterland, das ihn nun verfolgt wie einen gewöhnlichen Verbrecher. Ja doch, das hätten theoretisch auch die Verbrecher Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sagen können, die hier aus Jena kamen. Aber das Theater ist eine sinnliche, keine theoretische Veranstaltung.

Regisseurin Lizzy Timmers ist sichtlich bemüht, dem frühen Text eine Sinnlichkeit, eine Theatralität einzureiben, die die immer deutlich aufs Gemeinte gehende Geschichte aus eigenem Recht kaum hat. Sie haben die Probleme des drögen Textes wohl selbst bemerkt, deshalb ist er auf anderthalb Stunden eingestrichen, deshalb kommt hier viel "Theater" vor, das mitunter lustig ist, aber selten sinnstiftend. Und manchmal ist es, als stünden die Szene und die Worte ein wenig fremd, ein wenig angestrengt nebeneinander.

Das beginnt mit der Truppe, die sich, lautlos, einzustimmen scheint wie ein Orchester, ehe der Dirigent den Stab hebt. Hier tritt eine aus der Gruppe, sie begrüßt das Publikum und wünscht – da stutzt sie, Spaß? Nun tanzen sie, warum auch immer, dann winden sie sich am Boden, schnappen nach Luft, rudern mit den Armen um schließlich zu verröcheln, Fische auf dem Trockenen. Dann, irgendwann müssen sie ja anfangen mit dem Text, dann werden die "Volksgenossen und-genossinen" angesprochen, wir haben den Krieg nicht verloren und so.

Sladek18 1000 JoachimDetteMan wähnt sich im großen Kampf: Ensemble aus "Sladek" © Joachim Dette

Lizzy Timmers inszeniert eine betonte Lässigkeit, eine Art von Hemdsärmeligkeit. Die Gruppe ist beinahe ständig auf der Bühne präsent, sehr entspannt. Wenn Franz, Pina Bergemann, der diffuse pazifistische Journalist, mit dem sie auch nicht mehr anzufangen wissen als sein Erfinder, verprügelt wird, dann ist das wie eine Alberei im Sandkasten, sie ziehen ihn an den Ohren, Strafe muss sein, erschossen wird später mit den gestreckten Zeigefinger.

Mord als Reifeprüfung

Pina Bergemann doziert heiter übers internationale Kapital und das deutsche Proletariat, dazu wiegt sie die Hüften auf das Allerfeinste. Das ist keine Aussage über die Schauspielerin, nur darüber, dass sie nicht recht was anfangen können mit dieser merkwürdigen Figur, die doch eine der tragenden ist. Anna, Dorothea Arnold, hat einen ernsthaften Augenblick, wenn sie beim Hauptmann um und für ihren Geliebten bittet. Dafür hat sie, ehe sie ermordet wird, einen kleinen privaten Text, "Gleich kommt meine Sterbeszene", über das Sterben in der Schauspielerei: Bis 30, 40 müssen sie entweder strippen oder sterben. Wenn sie ermordet wird, dann steht sie am Rand und schreit, derweil sie auf der Bühne in effigie zu Tode getreten wird. Dazu singen Simon & Garfunkel von Mrs. Robinson, schließlich, der Mord ist eine Art Reifeprüfung für den jungen Mann.

Das zieht sich so hin und spielt sich so weg, das hat weder Kraft noch Witz. Und Sladek, um dessen Verlorenheit es doch geht, der geht im Laufe des Abends ein wenig verloren. Das haben sie wohl auch bemerkt, denn am Ende, da beherrscht er die Szene – und Leon Pfannenmüller kann das. Er schwurbelt, er salbadert mit Lust, er scheidet aus, was er hier gehört und da gelesen hat,  unverdaut, versetzt mit der treibenden Hefe seines streng gehüteten selbständigen Denkens, der unerschütterlichen Gewissheit, ein Denkender zu sein.

Ein Bruder des Woyzeck?

Nicaragua, das tiefe Meer, die Sternlein am Himmel. Das klingt ein wenig wie sprachliche Exercises zu den späteren großen Stücken, diesen Sentenzen verdankt sich Sladeks Ruf, ein Bruder des Woyzeck zu sein. Leon Pfannenmüller stellt Stühle, leere weiße Stühle, hin für die Toten, Liebknecht, Luxemburg, Eisner, das ist ein leises, eindrückliches Bild. Dann baut er die Stühle zum Turm, auf dem er, Kopf und Beine riskierend, sportlich turnt, ein Bild der Verzweiflung und des Hoffens, aufsteigen, abrutschen, wieder aufsteigen. Hier steht dann doch noch einer auf der Bühne, den man befragen möchte, warum er wurde, was er ist.

Die spielerische Lässigkeit dieses Abends sieht ein wenig aus, als hätten sie dem wenig ergiebigen Text recht angestrengt mit "Theater" begegnen wollen. Als sei das eine Art Labor, zu erkunden, was geht mit diesem Text. Der Befund ist wohl: Nicht viel.

 

Sladek
nach "Sladek oder Die Schwarze Armee" von Ödön von Horváth, mit neuen Texten von Manja Präkels
Regie: Lizzy Timmers, Bühne und Licht: Maarten van Otterdijk, Kostüme: Cornelia Stephan, Fassung und Dramaturgie: Koen Tachelet, Dramaturgie: Anne Sonnenfroh.
Mit: Dorothea Arnold, Pina Bergemann, Henrike Commichau, Hanneke van der Paardt, Leon Pfannenmüller, Jonas Steglich.
Premiere am 4. November 2021
Dauer: 1 Stunde 35 Minuten, keine Pause

www.theaterhaus-jena.de

Kritikenrundschau

Es sei "kein einfaches Stück, das zwischen den Zeiten springt, um zeitlos zu sein und das mit einem sperrigen Text zu kämpfen hat – so sehr sich Regisseurin und Schauspielende auch bemühen" – so Ulrike Kern in der Thüringer Landeszeitung (6.11.21). Leon Pfannenmüller spiele den titelgebenden Sladek toll. Den Anblick des wild tanzenden, sich windenden und wälzenden Ensembles kommentiert die Rezensentin nichtsdestotrotz mit "warum auch immer." Das Stück hinterlasse viele Fragezeichen. Für einen "kleinen, privaten und durchaus witzigen Einschub" sorge die Sterbeszene zu Simon & Garfunkels "Mrs. Robinson".

"Braucht es wirklich noch eine Theaterinszenierung, die sich mithilfe von Rückblenden in die Weimarer Republik mit dem sogenannten Rechtspopulismus unserer Zeit beschäftigt?" –  fragt sich Philipp Jahnke von Libertad Media (5.11.2021). Und bejaht dies im Verlauf seiner Rezension: "Ausgelutscht ist der Stoff nicht, gerade weil Manja Präkels und Lizzy Timmers mit der Figur des wankelmütigen Sladek einen wutlosen Wutbürger in Szene gesetzt haben." Statt psychologischer Einfühlung werde hier mit geglückter Verfremdung gearbeitet – was auch Unterhaltungswert habe.

Kommentar schreiben