Herr Puntila und das Riesending in Mitte - Volksbühne Berlin
Nicht schon wieder dasselbe Stück!
12. November 2021. René Pollesch ist für seinen untertourigen Volksbühnen-Intendanzstart gescholten worden: Immer das gleiche Ding, immer vom Meister und seinen Allervertrautesten selbst besorgt, sieht ja alles aus wie früher und davor schon! Im dritten Pollesch-mit-Brechttitel-Abend des Eröffnungsreigens greift er die Kritik auf und bleibt standhaft.
Von Michael Wolf
12. November 2021. Astrid Meyerfeldt ist sauer. "Irgendwann ist auch mal gut!" Sie steht auf den Brettern der Volksbühne, auf denen wiederum ein Nachbau von deren Fassade steht. Über den Säulen prangt der Titel Die Gewehre der Frau Kathrin Angerer. "Die können uns jetzt nicht schon wieder dasselbe Stück andrehen. Das geht ja wohl nicht!" Selbstreferentiell geht es also los, Meyerfeldt spielt auf die Diskussion um René Polleschs Intendanzstart an.
Wir machen das halt anders
Angesprochen auf den dürren Premierenplan, antwortet dieser gern offensiv ausweichend. Es gäbe Erwartungen, aber: Wir machen das halt anders. Wer hätte auch etwas Übliches von ihm erwartet? Seit jeher arbeitet sich Pollesch am konventionellen Schauspiel ab, am Repräsentations- oder "Schautheater", wie es an diesem Abend genannt wird. "Die Leute gehen ins Theater und sie gehen ins 19. Jahrhundert. Und dann gehen sie nach Hause ins 21. Jahrhundert", heißt es an einer Stelle.
Pollesch selbst dürfte nicht häufig hingehen. Dass jenseits der Probebühnen, in denen er und die seinen sich offenbar verschanzen, noch so etwas wie ein bürgerliches Theater in Reinform gepflegt würde, kann nur jemand behaupten, der nicht viel schaut oder lieber nicht so genau hinsieht. Seine Kunst ist so dringend auf Differenz angewiesen, dass sie diese zur Not einfach behauptet.
Er legt Wert darauf, dass in seinen Produktionen anders gearbeitet, gespielt und getextet wird. Darin bleibt er ein Schüler des Gießener Studiengangs Angewandte Theaterwissenschaft, auch mit knapp sechzig Jahren und als Intendant eines der bedeutendsten Theaterhäuser Europas. Nie war Pollesch mehr Establishment. Müsste ihn das nicht antreiben, die gewohnten Pfade zu verlassen, etwas Neues zu wagen?
Wer das hofft, dürfte von "Herr Puntila und das Riesending in Mitte" enttäuscht sein. Es ist ein normaler Pollesch, heißt: Man sieht die bei ihm üblichen Verfahren, hört Texte und Fremdtexte in den gewohnt künstlichen Stimmlagen, vorgetragen von Schauspielern, mit denen er schon seit Jahren und Jahrzehnten arbeitet.
Sie reden einander mit ihren echten Namen an, die auch auf ihren Kostümen stehen, geben Theoriehäppchen von sich, wechseln rasant die Themen, fluchen und schreien. Die Souffleurin steht mit auf der Bühne, ein Chor tritt auf und sehr schnell wieder ab, lange Umbaupausen werden mit Popmusik überbrückt. Inhaltlich geht es, wie gewohnt, um alles Mögliche: Schautheater versus Lehrstück, Gentrifizierung, Fremdbestimmung, um den Kapitalismus natürlich, dazu gibt's Verweise auf Theodor Adorno, Slavoj Žižek, Heiner Müller und John Cassavetes. Nichts Überraschendes zu vermelden also für all jene, die schon ein paar Arbeiten von Pollesch gesehen haben.
Humor macht den Unterschied
Bleibt die entscheidende Frage: Hat es Spaß gemacht? War es lustig? Wenn er nicht gerade mit Fabian Hinrichs zusammenarbeitet, der Melancholie, Wärme und Tiefe mitbringt, ist der Humor in den letzten Jahren oft der Unterschied zwischen einem schwachen oder starken Pollesch gewesen. Also wie war's? Anfangs mäßig unterhaltsam, später etwas witziger. Franz Beil sorgt für ein paar Pointen, wenn er von einem kommunistischen Lehrer an seiner Schauspielschule erzählt oder im Grasrausch erkennt, dass sein vierjähriges Kind noch richtig klein ist.
Astrid Meyerfeld verwechselt Inga Busch mit dem Kulturtheoretiker Wolfgang Schivelbusch, Christine Groß den Chor mit der Souffleurin. Die Ordnung ist durcheinandergeraten, wie gewohnt und beabsichtigt. Groß klärt auf, dass die Meisterwerke des Renaissance-Künstlers Raffael nicht eigentlich seine Leistung waren, sondern aus dem technischen Fortschritt und der Arbeitsteilung resultierten. Eine Arbeitsteilung, die aber nur in die Abhängigkeit geführt habe. Inga Busch sekundiert mit der Geschichte, wie ein Regisseur es einmal gewagt hatte, ihr zu sagen, wie sie einen Text zu lesen hat. Völlig verzichtbar sei dieser Beruf!
Sehnsucht nach Ruhe vor dem Publikum
So landen sie zuverlässig immer wieder beim Theater selbst, als wäre es der Ort, an denen die politischen Widersprüche der Gegenwart sich am deutlichsten zeigten. Aber vermutlich geht es ihnen gar nicht darum, irgendetwas zu zeigen, sondern weiterhin einfach darum "sich selbst zu genießen“, wie es früher mal bei Pollesch hieß. "Wir spielen ohne Publikum", verkündet Inga Busch, und das klingt hier nicht wie die Befürchtung eines erneuten Lockdowns, sondern wie das ersehnte Ziel, Erwartungen nicht mal mehr unterlaufen zu müssen. Selbstgenügsam machen sie bis dahin ihr Ding, es ist ein eher kleines Ding.
Herr Puntila und das Riesending in Mitte
von René Pollesch
Regie: René Pollesch, Bühne: Nina von Mechow, Kostüme: Tabea Braun, Dramaturgie: Johanna Kobusch.
Mit: Franz Beil, Inga Busch, Christine Groß, Astrid Meyerfeldt.
Chor: Svetlana Behrendt-Klein, Béla Erchinger, Rojin Haddad, Zarah Kofler, Lilith Krause, Marén Kutschick, Elisabeth Zumpe, Janoushka Kamin, Kerstin Feldmayer.
Premiere am 11. November 2021
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.volksbuehne.berlin
Mehr dazu: Über seinen Intendanzstart an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz spricht René Pollesch im aktuellen Theaterpodcast #40 mit Susanne Burkhardt und Elena Philipp.
"Die dramatischen Konflikte, die Brecht den Klassenunterschieden abgewinnt, und die Botschaft, die in einer neuen, von diesen Konflikten befreiten Gesellschaftsordnung liegt, wendet Pollesch kurzerhand und sehr locker assoziierend auf sich, seine Theaterfamilie und ihr Ringen um eine utopische Praxis im Schutzraum der Kunst an, bei dem das Publikum bitte nicht stören soll", interpretiert Ulrich Seidler von der Berliner Zeitung (online 12.11.2021). "Das Thema Distinktion und Klassenunterschied“ werde an diesem Abend auch mittels kleiner Parabeln "sehr unterhaltsam und lehrreich" umgesetzt und "vom Premierenpublikum ausgiebig beklatscht", "wovon sich niemand auf der Bühne gestört zu fühlen schien".
"Es gibt ein paar griffige Sprüche aus dem Fundus und es ist lustig, wenn die Volksbühne hier mal zum Opernhaus – das es zu bombardieren gilt – mutiert, dann zum Luxusanwesen mit Masterbedroom wird und auf dem harten Boden der Tatsachen einen grün aufgesprayten Mitte-Grundriss offenbart", sagte Ute Büsing auf rbb |24 (12.11.2021). "Auch heruntergelassene Spruchbänder, an denen Franz Beil aufsteigen kann, bzw. hochkommen, wie die Silberfischchen in Astrid Meyerfeldts Bad, machen optisch was her. Aber, wie gesagt: ein "Riesending" ist das alles nicht." Das Reden führe "nirgendwohin".
"Dahin sind die Schärfe, der Witz, das sichere Gespür für die Absurdität des Bühnengeschehens", schreibt Rüdiger Schaper im Tagesspiegel (12.11.2021). Für den Kritiker ist das Stück der "Pollesch-People" nicht einmal Amateurtheater: "Es ist schlicht – nichts. Fahriges Gerede, angelesener Theoriekram, schlapper Zitatensport." Müde arbeite sich Pollesch an Brecht ab und "an der Volksbühnengeschichte, die er mal mitgeschrieben hat".
(Selbst-)ironisch mache sich René Pollesch in seiner neuen, aber in ihren Bestandteilen sehr vertrauten Inszenierung einen Spaß, seine "Selbstreferenzspiele auszustellen", so Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (12.11.2021). Der Abend rutsche ab in eine "unangenehme Mischung aus Coolness-Pose, Angeberei und Insiderjokes". Eher "mühsam als beschwingt" arbeiteten sich die Spieler:innen durch den Abend, dessen 100 Minuten sich "arg lange hinziehen", so Laudenbach. Diese zweite Premiere der Spielzeit passe ins "unerfreuliche Bild, das die Volksbühne in der ersten Saison von Polleschs Intendanz bisher bietet".
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Die restlichen 90 Minuten sind zu dünn und selbstreferentiell, ich muss Michael Wolfs Kritik in allen Punkten bestätigen. Dieser Sketch ist Ausgangspunkt für eine vergnügliche, nicht besonders tiefschürfende, aber von den Fans bejubelte Diskurs-Show, in der es sprunghaft um fast alles und fast nichts geht: um Theatergeschichte und zentrale Begriffe der Theaterwissenschaft, um Hollywood-Stars und Kultfilme, um das richtige Sprechen und manches mehr.
Ein Gimmick wie der wallende Vorhang aus dem Eröffnungsstück oder das Skelett auf Martin Wuttkes Schultern fehlt diesmal. Selbstreferentiell spult der Abend sein Programm ab. Weitere Überraschungen oder Verunsicherungen bot der Abend nach dem kleinen Einstiegs-Scherz nicht mehr. Die eingeschworene Gemeinde jubelt dennoch beglückt.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2021/11/11/herr-puntila-und-das-riesending-in-mitte-pollesch-volksbuhne-kritik/
Jetzt gibt es: Pollesch und Holzinger --> plus bisschen Kontextprogramm a la HAU von Alex Karschnia. Geliefert wie bestellt, würd ich sagen.
Dass irgendwann gestern gestern ist - und die Zeit des "Diskurstheaters" anderem Platz macht, ist ja auch ein Binse.
Dass die Pandemie - und die in Theaterkreisen postulierte "Denkpause" zu neuen Formen führen würde ist im Falle VB jedenfalls nicht eingetreten.
Das verleiht Erlebnissicherheit für das Publikum --> und Rollensicherheit für die Kritik. Die grosse Frage der Berliner Feuilletonist/innen: Ist das jetzt cool, so unterspannt und selbstreferentiell, oder uncool. Interessiert sonst wohl niemand.
(Wer meint, dass die Kritik auch eine Denkpause eingelegt hätte, sieht sich getäuscht. Trauriger als die Erlebnissicherheit beim Betreten des Theaters ist die Erlebnissicherheit beim Aufschlagen des Kulturteils.)
Lieber Nell, Sie sind ja ein großer Volksbühnenfan, wie wir schon oft gelesen haben. Wenn der Kritiker mehr über die Person erzählt als über den den Inhalt des Abends, erzählt das auch etwas über den Inhalt des Abends.
Mich als Rezipient, der nicht anwesend war, interessiert tatsächlich auch, warum sich Rene Pollesch nach all den Jahren und nun zu Beginn seiner Volksbühen-Intendanz vor allem aus der Differenz gegen das vermeintlich Bestehende definiert, weil 1. er ja jetzt mehr denn je das Bestehende verkörpert und 2. scheinbar wirklich das Geschehen nicht mehr selbst beobachtet, denn seit dem Giessener Studium und seinen glamourösen Anfängen im Prater hat sich ja wirklich sehr sehr viel verändert. Die bürgerlichen Theaterfuzzis, wie er sie im Interview bei NK nennt und skizziert, scheinen tatsächlich immernoch die Gegenerschaft, aus der heraus er sich speist und gegen die er sich positionieren will. Die gibt es aber so nicht mehr. Nicht mal mehr strukturell. Was macht man also ohne Feindbild? Man besinnt sich auf die eigenen Qualitäten. Ob sich das wirklich im ewigen Selfempowerment des eigenen Klüngels, also der Reproduktion der eigenen Struktur und dem immergleichen Thema der Repräsentation erfüllt, kann jeder selbst entscheiden. Mein Gefühl ist, Pollesch stellt sich nicht, er weicht aus und verharrt, wohlgenährt und umgeben und vlt auch abgeschirmt von seinem sehr talentierten security-staff auf und hinter der Bühne...aus welchen Gründen auch immer....René, trau dich raus aus der Bubble und der Komfort-Zone! Wir zählen auf dich!
Wenn kein Funke zu den Zuschauern springt, bleibt eben laue Luft. Da hilft auch keine Erklärung, was der Abend nun wollte.
mein Kommentar von gestern ist immer noch nicht online.
Das passiert schon zum zweitenmal.
Woran könnte es liegen?
(Anm. Redaktion: Werte/r Koch, hier findet sich nur ein unveröffentlichter Kommentar unter gleichem Namen, und der macht eine Identitätsbehauptung auf - Ich gehöre zum Team und spreche fürs Team -, für die es einen Identiätsnachweis/Klarnamen bedürfte. Sonst fällt es in den Bereich der "unüberprüfbaren Tatsachenbehauptungen". Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion - mehr dazu im "Kommentarkodex" https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=12&Itemid=102)