Spiel der Macht

13. November 2021. Mit Schauspiel in Reinform startet Roger Vontobel als Schauspieldirektor in Bern und liest Schillers Königinnen-Duell als Politthriller und Psychodrama.

Von Mirja Gabathuler

Duell der Königinnen: Isabelle Menke als Elisabeth und Yohanna Schwertfeger als Maria © Yoshiko Kusano

13. November 2021. Crossover am Vier-Sparten-Haus? Keine Spur. Für seine erste Inszenierung als neuer Schauspieldirektor der Berner Bühnen hat sich Roger Vontobel quasi Schauspiel in Reinform vorgenommen – "Maria Stuart", Schillers Trauerspiel um zwei Königinnen, die in einer von intriganten Männern dominierten Politsphäre um Macht und Selbstbestimmung ringen.

Einen Machtapparat in Bewegung setzen

Dass an diesem Abend vor allem die Schauspielkunst glänzen soll, lässt bereits das minimalistische Bühnenbild erahnen. Ein kolossales Prisma, schimmernd in Gold- und Purpur-Tönen. Zu Beginn ragt die Spitze in den Zuschauerraum, teilt die Bühne symmetrisch in zwei Hälften. Entlang der schrägen Wände laufen zwei Frauen aufeinander zu. Links Elisabeth, Königin von England, rechts Maria, die vor Jahren zu ihre Cousine floh und nun im Kerker eingesperrt auf ihre Gelegenheit wartet, selbst wieder die Herrschaft zu ergreifen.

MariaStuart 4 YoshikoKusano uDie Bühne (von Olaf Altmann) treibt einen Keil zwischen die Widersacherinnen: Isabelle Menke (links) und Yohanna Schwertfeger (rechts) © Yoshiko Kusano

Die zweite ist der ersten vorerst einen Schritt voraus. Sie bringt die rotierende Bühne in Bewegung – und den Machtapparat der Königin von England ins Wanken. Das drehende Dreieck begrenzt jeweils den Raum, in dem die Figuren ihre Pläne spinnen, aufbegehren, aufwiegeln, buhlen, eifern, straucheln und scheitern.

Gegenspielerinnen, angriffslustig und erstarrt

Grandios rotzig gespielt von Yohanna Schwertfeger, im rückenfreien Samtkleid und mit Kruzifix-Tattoo, ist Maria Taktgeberin und Energiezentrum des Abends. Arrogant, angriffslustig, zynisch und überheblich – unausstehlich, dass es eine Freude ist. "Was wollt ihr von mir?", schleudert sie den manipulativen, mansplainenden Typen entgegen, die sie unter dem Deckmantel der Ritterlichkeit für ihre Eigeninteressen einzuspannen versuchen. Sie selbst schwankt zwischen schwesterlichem Respekt und der teenagerhafter Lust am Angriff auf die Autorität ihrer Gegenspielerin.

Elisabeth ist mit sleeken Haaren, blassem Gesicht, Hosenanzug und Schlangenlederstiefeln auch optisch als Antagonistin angelegt. Isabelle Menke spielt sie stoisch, erstarrt im Machtkorsett, des Entscheidens überdrüssig und unfähig, als Regentin ihren eigenen Kompass zu finden. Vor allem aber chronisch ungerührt: Gefühle, etwa gegenüber ihrem Geliebten, gibt es nur als Pose. Ihre Mimik bleibt maskenhaft, ihre Motivation undurchschaubar.

Dem Stoff das Zeitlose abringen

Aber es sind sowieso nicht die beiden Frauen, die die Handlung orchestrieren. Sondern die Männer, schwarz gekleidet und je auf den eigenen Vorteil bedacht: Der intelligent-intrigante Graf von Leicester (Olaf Johannessen), Mortimer (Linus Schütz), der in nervös-naiver Manier Maria vergöttert, der väterliche Talbot (Stéphane Maeder) oder Baron von Burleigh, perfide und komisch gespielt von Claudius Körber.

MariaStuart 3 YoshikoKusano uElisabeth (Isabelle Menke) als Frau zwischen zwei (und mehr) Männern (hier: Olaf Johannessen und Claudius Körber) © Yoshiko Kusano

Schiller als Politthriller und Psychodrama, so hat es Roger Vontobel bereits mit "Don Carlos" am Staatsschauspiel Dresden erprobt (und wurde damit 2011 zum Theatertreffen eingeladen). Auch die "Maria Stuart"-Inszenierung baut auf Tempo, Spannung und darauf, dem Stoff das Zeitlose abzuringen. Wobei von Ringen eigentlich keine Rede sein kann: Recht unverkrampft schleudert das Ensemble die Sätze über die Bühne, als seien sie nicht über 200 Jahre alt, sondern grade eben zu Papier gebracht. Und wo sich die Vorlage nicht reibungslos in die Gegenwart holen lässt, eignet sie sich immer noch für die ironische Verzerrung.

Konzentration auf das Wesentliche

Hier ist diese "Maria Stuart" am Überzeugendsten: Im hochkonzentrierten, temporeichen Spiel, bis in die Nebenrollen, bis in die kleinen Gesten. Wenn sich etwa im Rücken der Macht – wortwörtlich – etwas zusammenbraut, entlarvt oft nur der Anflug eines Grinsens, ein Wischen, ein Zucken die wahren Absichten und Regungen. Die übergroß verzerrten Schatten spielen derweil ihr eigenes Spiel.

Am Schwächsten ist der Abend da, wo die Dichotomie der beiden Frauen-Figuren etwas zu stereotyp und karikaturhaft wirkt. Das liegt auch daran, dass diese Inszenierung auf Aktualisierungen weitgehend verzichtet (obwohl sie sich anbieten). Ebenso gibt es keine knalligen Bühneneffekte. Ein treibender Live-Soundtrack, ein kleines Fläschchen Theaterblut, that’s it. Darin liegt wenig Erneuerung – es ist eine unaufgeregte Konzentration auf das Wesentliche, die angesichts des bei Schiller ständig lauernden Pathos irgendwie erfrischend wirkt.

Vor allem aber ist der Abend sehr kurzweilig. Die Macht kann und wird am Ende nur eine der Frauen haben. Man weiß eigentlich, wer – und will es doch unbedingt wissen.

 

Maria Stuart
von Friedrich Schiller
Regie: Roger Vontobel, Dramaturgie: Julia Fahle, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Ellen Hofmann, Live-Musik: Keith O’Brien, Licht: Christian Aufderstroth.
Mit: Yohanna Schwertfeger, Isabelle Menke, Olaf Johannessen, Claudius Körber, Stéphane Maeder, Linus Schütz, Hans-Caspar Gattiker, Lucia Kotikova.
Premiere am 12. November 2021
Dauer: 2 Stunden 10 Minuten, keine Pause

www.buehnenbern.ch

 

Kritikenrundschau

Michael Feller schreibt im Bund aus Bern (15.11.2021) über die erste Berner Regiearbeit des "Hoffnungsträger" und Schauspiel-Spartenleiter Roger Vontobel. "Ist dieses Vontobel-Theater tatsächlich so grossartig?" Das Spiel brauchte, bis es "richtig Fahrt aufgenommen" habe und das Schauspielpersonal "seine Stärken voll ausspielen" könne. Yohanna Schwertfeger sei "eine Wucht", weil sie "Facetten wie Zaudern, Stolz, Sehnsucht und Härte so spielend unter einen Hut" bringe. Isabelle Menke kühle Strenge als Elisabeth lasse einen "bisweilen erschaudern". Je länger der Abend, "desto zwingender und spannender" werde das Gebotene. Die männlichen Rollen blieben, mit Ausnahme des Talbot von Stephane Maeder "schwache Figuren". In der Inszenierung stimme fast alles: Bühnenbild, das "geniale Licht", die Musik. Der Regisseur schaffe es, "eine eigene Geschichte zu erzählen", in der sich alles um das verhandeln von Macht drehe. Nur die Akustik in der Tiefe der Bühne mache Schwierigkeiten. Das trübe den Eindruck.

"Richtungsweisend können solche Abende werden", schreibt Philipp Theisohn in der FAZ (20.11.2021). Roger Vontobel stelle an die­sem Abend unter Beweis, dass sein Theater nicht zwanghaft die Ge­genwart im historischen Text suche, "sondern lässt sie auf der Bühne an ihm zerschellen". Die Inszenierung reflektiere, dass es Schillers Drama darauf ankommt, die Konversion von Ohnmacht in Herrschaft an die Überschreitung ei­ner Geschlechtergrenze zu binden. "Vontobels Inszenierung ist hellsichtig, sie weiß um den klischierten Blick und seine Projektionen – und spiegelt ihn im metallischen Phallus ins Publikum zurück. An die Stelle der Gewissheit vom Patriarchat trete das ei­gentliche Rätsel des Stücks. 

Diese "Maria Stuart" sei "reduziert, konzentriert und konservativ inszeniert, wenn konservativ bedeutet, Vertrauen auf Etabliertes zu haben", schreibt Christiane Lutz in der Süddeutschen Zeitung (17.11.2021). Regisseur Vontobel erzähle "einen rasant psychologischen Politthriller, eine Geschichte von Information und Verrat". Er führe "die beiden Königinnen gelassen aufeinander", so die insgesamt angetane Rezensentin, der nur wenige Teile der Inszenierung (etwa die "Kruzifix-Tätowierung" der Titelfigur) "etwas überillustriert" erscheinen.