Handlungen eines Händelosen

von Georg Petermichl

Wien, 13. November 2008. "Es lebe die Bajuwarische Befreiungsarmee!" durchschnitt Franz Fuchs' hysterische Stimme am 2. Februar 1999 die ersten Verhandlungsminuten im Grazer Strafgerichtsgebäude. Und zu diesem Zitat schwindet auch das Saallicht zu Felix Mitterers Biotheaterstück "Der Patriot" bei der Uraufführung im Stadttheater in der Wiener Walfischgasse. Der echte Franz Fuchs war ein hagerer, biederer Vermessungstechniker, der sozial engagierten Prominenten nach dem Leben trachtete. Zudem ermordete er vier Opfer mit einer Sprengfalle, die in der Halterung eines Schildes mit der Aufschrift "Roma zurück nach Indien" verborgen war.

Die Bomben hatte er im steirischen Elternhaus allein gebastelt, sein Geschichtsverständnis in Anmerkungen ins Lexikon gekritzelt und seine überdurchschnittliche Intelligenz für Verfolgungswahn und tatkräftigen Rassismus arbeiten lassen. Fuchs war ein Aktionist, aber darin zu klein und zu verbittert, um für seine Aktionen einzustehen. Stattdessen sprengte er sich bei der Verhaftung seine Hände weg. Und schließlich brachte er das weltweite Publikum des Gerichtsprozesses auch noch um die Lust am Schuldbekenntnis: Was ihm an rechten Parolen auch nur einfiel, brüllte er sich von der Seele, um möglichst schnell des Saales verwiesen zu werden. Den Hintergrund seiner Brief- und Rohrbombenattentate wollte er nicht öffentlich verhandeln.

Große, aber hilflose Aufmerksamkeit

Mit seinem Freitod im Jahre 2000 hat Franz Fuchs eine breite Diskursfläche hinterlassen. Deren Parameter warten in Fuchs' Verhörprotokollen und psychiatrischen Gutachten. Felix Mitterer, bekannt für kontroverse Volksstücke ("Kein Platz für Idioten" und im Fernsehen: "Die Piefke-Saga"), hat darauf aufbauend ein psychologisches Themencluster für ein Solo entwickelt, das sämtliche Persönlichkeitsdetails dieses "Patrioten" nochmals wiedergibt.

Die pechschwarze, sich nach hinten verengende Gefängniskoje spricht Bände darüber, wie sehr es sich Franz Fuchs in seiner Plattitüdenbox gemütlich gemacht hat. Dort hockt der Schauspieler Thomas Kamper auf einem schwarzen Würfel, lässt die händelosen Ärmel baumeln und redet mit den vier Scheinwerfern, die in seiner Kopfhöhe platziert wurden und für die Ermittler Dr. Nauta, Sturm und Mahringer sowie den Gutachter Dr. Haller stehen. Würden die Lampen nicht manchmal wie nach dem Morsecode ihre Zustimmung oder Ablehnung signalisieren, wäre das ein prägnantes Bühnenkonzept von Stanislaw Kowalski und Philipp Bartsch für die große, aber hilflose Aufmerksamkeit der Experten.

Nur eine einzige Frage bleibt offen

Mitterers Fuchs ist ein Getriebener, der auf alles Antwort geben will. Im Laufe der Zeit werden die Ausführungen zu seinen Bombergeschichte immer feierlicher. Wenn die stillen Fragen in die falsche Richtung zu gehen scheinen, dann raunzt Kamper auf, verlässt seinen Sitzwürfel, droht mit Gesprächsunterbrechung. So gleitet das Stück an der gesamten Exposition des Mörders entlang: an der Kindheit, dem Sexualverhalten, dem beruflichen Werdegang, dem Pragmatismus des Bombenlegens, der Schuldverankerung im verschwörerischen Wir-Gefühl – in der nebulösen Bajuwarischen Befreiungsarmee. "Jedenfalls kennt nun durch uns jeder Österreicher den Grafen Starhemberg. Ein wenig Geschichtsunterricht schadet nicht." Manchmal gönnt sich Kamper eine Pause, dann kommen Medienberichte und andere Dokumente von Tonband.

Alles darf ausgesprochen werden, und das ist auch gut so – im Text. Auf der Bühne hätte man sich weniger Ausführlichkeit gewünscht. Zudem wurde die Hauptfigur von Regisseur Werner Schneyder all ihrer (bekannten) Marotten beraubt, und auch auf die theatralen Möglichkeiten der Akzentuierung hat er weitgehend verzichtet. Kamper schleudert seine Antworten den affirmativ blinkenden Scheinwerfern ohne Unterbrechung gleichförmig entgegen.

Betritt hier der Relativismus eine neue Sphäre? In den Informationsüberfluss wurden jedenfalls keine Schneisen geschlagen, in denen sich eine innere Beteiligung verankern könnte. Am Ende hat Franz Fuchs plötzlich doch wieder Hände und bezichtigt das österreichische Volk als seinen Auftraggeber. Auch von einem bemitleidenswerten Durchgeknallten wüsste man gerne, was damit eigentlich gemeint sein soll.


Der Patriot (UA)
von Felix Mitterer
Regie: Werner Schneyder, Bühne: Stanislaw Kowalski und Philipp Bartsch.
Mit: Thomas Kamper.

www.stadttheater.org

 

Kritikenrundschau

Redlich gedacht und gemacht, aber schlussendlich doch reichlich öde, fand Barbara Petsch von der Wiener Tageszeitung Die Presse (15.11.) diese Uraufführung. Gottfried Helnweins Plakatsujet habe suggeriert, dass der österreichische Briefbomben-Attentäter Fuchs "eine Art Hannibal Lecter der Politik gewesen sein könnte". Für Petsch ein falscher Vergleich. Hauptdarsteller Thomas Kamper wird zwar gelobt, "Mitterers gewaltigen Text perfekt memoriert" zu haben. Doch weil er die "krausen Gedanken über Politik, Frauen, Fremde" einfach herunterrattert, kann er mit seinem Spiel die Kritikerin nicht mitreißen, der diese Veranstaltung letztlich nur zeigt, "dass das Theater (wie so oft) realen Ereignissen wie deren Bewältigung hinterherhinkt." Interessanter wäre für sie ein Stück über die von Fuchs kurz erwähnten heutigen Prosecco-Faschisten gewesen.

 

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