Am Ende grüßen die Dinosaurier

28. November 2021. Eine Ökodiktatur voller regressiver Verbote, eine Familie, die zu retten versucht, was zu retten ist: in seinem neuen Stück malt Dennis Kelly ein düsteres Zukunftsszenario auf unserem ruinierten Planeten aus. Entsprechend düster fällt David Böschs deutsche Erstaufführung aus. 

Von Christian Rakow

 

Scherenschnittanimation im Video von Patrick Bannwart und Falko Herold © Matthias Horn

28. November 2021. Schaut auf den jungen Mann, hübscher, blühender Kerl eigentlich, aber Zornesfalten verfinstern sein Antlitz: "Die Demontage der Welt kann nicht ohne Verwerfungen stattfinden", sagt er. Demontiert werden muss im großen Stile. Denn Wissenschaft und Technik haben den Menschen und zahllose Species an den Rand der Auslöschung gebracht. Umkehr ist geboten. Bald wird der junge Mann, Jonathan, als Teil einer Jugendbewegung Bomben zünden und im Kampf gegen die Wissenschaften heroisch sterben. Und nach ihm kommt die Ära, die er anbahnen wollte: die Zeit der "Regression", eine Art Ökodiktatur, die jedwedem "Fortschritt" abschwört, in der das Sprechen normiert ist wie das soziale Miteinander überhaupt.

Maulige Boomer-Grille

Steil abfallend verläuft "Der Weg zurück" (engl. The Regression), den Dennis Kelly in seinem neuen Stück titelgebend ausflaggt. In die vorzivilisatorische Barbarei. Und man fragt sich, an welchem Problem sich Kelly eigentlich abarbeitet. Seine Karikatur bleibt seltsam unscharf konturiert; das locker an George Orwells "1984" orientierten Zukunftsszenario schürt eine diffuse Angst vor einer Diktatur der selbsternannten Weltenretter, ohne dass deren Spezifik und Fragen näher ausgeführt würden.

Ein wenig fühlt man sich an die gerade im englischen Raum extrem erfolgreichen Ökoaktivisten von Extinction Rebellion erinnert. Wobei deren Attacken gegen den ungebremsten Raubbau an der Natur (Stichwort: Grenzen des Wachstums) nun alles andere als irrational und wissenschaftsfeindlich sind. Und die gerade Linie von einer Technologie-Kritik in die ökofaschistische Diktatur, die das Stück zeichnet, ist schlicht reaktionärer Mythos. Kellys "Weg zurück" wirkt wie eine maulige Boomer-Grille. Eine Pflichtveranstaltung für Fridays for Hubraum.

Beinharter Pessimismus

Damit es nicht bloß allgemeinpolitisch besorgt bleibt, hat Kelly sein Szenario in eine Familiengeschichte von fünf Generationen eingehängt: Ein Mann zeugt im Jahr 2021 per künstliche Befruchtung eine Tochter und verliert in Folge der Behandlung bei der Geburt seine Frau, was ihn sogleich zum beinharten Technik- und Wissenschaftspessimisten macht. Er gründet die besagte Bewegung der "Regression", die seine Tochter und die Enkel zum Blühen bringen. Im Jahr 2102 wird bei der Ururenkelin ein Funken Rebellion gegen die regressiven Staatsdoktrin aufkeimen.

DerWegZurueck2 Matthias Horn uLetzte Generation auf der kranken Mutter Erde: Philine Schmölzer © Matthias Horn

Regisseur David Bösch macht bei der deutschen Erstaufführung im Kleinen Haus des Berliner Ensembles das Bestmögliche aus diesem nebulösen, durch und durch narrativen und mit szenischen Angeboten kargenden Stück. Die Bühne von Patrick Bannwart ist eine grungige Garage, mit Muttererde auf den Brettern, umher stehenden abgewetzten Möbeln, einem Overheadprojektor. Alles schön lo-fi.

"Kill Scientists Not Animals" steht mit weißer Farbe auf der Brandmauer. Und vorn schaffen die Akteure ihre Monologe heran: Gerrit Jansen als Gründervater mit Stand-up-Humor (den er nur für den kurzen Bericht vom Tod seiner Frau ins empathischere Töne kippen lässt). Claude de Demo als seine Tochter und Dennis Svensson als Jonathan flirten sich ein viriles Porträt der RAF-mäßig rockigen zweiten Generation der "Regression" zurecht.

Fetziges Finale

Die Kinder der beiden – Jonathan Kempf und Philine Schmölzer – sind dann schon ziemlich anale Charaktere, die zwangsneurotisch ihren Prinzipienkatalog der "Regression" verlautbaren. Den Übergang zur finalen Generation lässt Bösch kunstvoll in einer Scherenschnitt-Animation spielen (Video: Patrick Bannwart, Falko Herold). Und dann gibt’s noch ein fetziges Finale mit Philine Schmölzer, die sich durch eine ruinierte Stummelsprache rappt.

Denn gemäß der regressiven Gebote darf man am Beginn des 22. Jahrhunderts nur noch einsilbige Wörter verwenden. Das Ganze ist, wie oft wenn sich Theater an prosaischen Sprechvorlagen abarbeitet, allenfalls artistisch wertvoll. Zum Schluss grüßen uns Dinosaurier von der Videoleinwand, die letzten ausgelöschten Herrscher der Erde. Wobei die sich immerhin nicht selbst ihr Grab geschaufelt haben.

 

Der Weg zurück
von Dennis Kelly
aus dem Englischen von John Birke
Deutsche Erstaufführung
Regie: David Bösch, Bühne: Patrick Bannwart, Kostüm: Falko Herold, Video: Falko Herold, Patrick Bannwart, Licht: Mario Seeger, Dramaturgie: Sibylle Baschung.
Mit: Claude De Demo, Gerrit Jansen, Dennis Svensson, Philine Schmölzer, Jonathan Kempf.
Premiere am 27. November 2021
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.berliner-ensemble.de

 

Kritikenrundschau

"Dass der Abend reichlich unausgegoren wirkt, liegt vor allem daran, dass Kelly sich mehr fürs Abschöpfen von Oberflächenkategorien interessiert als tatsächlich in die darunter liegenden Diskurse einzusteigen." Im Grunde wirke 'Der Weg zurück' wie eine wilde Schlagwort-Mixtur, die sich aus sämtlichen Richtungen der aktuellen Diskursmasse bediene und alles, was dort zu finden sei zu einem maximal düsteren Brei verrühre, "von dem entsprechend nebulös bleibt, wen er eigentlich adressiert", schreibt Christine Wahl vom Tagesspiegel (29.11.2021). "Der Uraufführungsregisseur David Bösch bemüht sich nach Kräften, anstelle des Lichtes, das hier wirklich schwer ins Dunkel zu bringen ist, zumindest optische Abwechslung ins Einheitsanthrazit zu mischen." 

"Arg konstruiert", findet Barbara Behrendt vom RBB (29.11.2021) Dennis Kellys Gedankenexperiment. "Kelly ist immer dann brillant, wenn er von Menschen schreibt, die er kennt." Die Menschen der Zukunft hingegen gerieten ihm zu stumpfen Thesenträgern. "So sehr sich David Bösch in seiner dichten Inszenierung um Versinnlichung bemüht, zum Mitdenken aufgerufen fühlt man sich bei diesem Ritt in die Apokalypse nicht."

Kommentare  
Der Weg Zurück, Berlin: ungerechtfertigt
Ich finde diese Kritik überheblich und vollkommen ungerechtfertigt. Außerdem wird die großartige Schauspielerische Leistung vollkommen missachtet. Die Texte (was ist Theater sonst) sind spannend und die Nachricht von Dennis Kelly deutlich. Zudem ist das Bühnenbild hervorragend. Schließlich war der Beifall des Publikums eindeutig zustimmend
Der Weg zurück, Berlin: flapsige Sätze
Ich kann mich der Meinung von Herrn Golz nur anschließen. "Maulig" beschreibt den Tonfall der Kritik viel besser als den besprochenen Abend. Die enormen schauspielerischen Leistungen des Ensembles mit ein paar flapsigen Sätzen abzutun finde ich einfach nur ignorant. Ein wenig mehr Offenheit bzw "Staunen" würde dem Rezensenten gut tun.
Der Weg zurück, Berlin: interessant ...
... und passt halt wohl nur nicht zum herrschenden mainstream. Eben darum: interessant.
Der Weg zurück, Berlin: Widerspruch
Ökodiktatur? Darum gings doch gar nicht. Es ging um Menschen, die die Wissenschaft insgesamt zum Feind machen, Gefühlen nachgehen, statt der Vernunft. In allen Bereichen. Diskutabel. Wie kann man einen Autor nur so mutwillig missverstehen v.a. wenn er sich noch selber dazu äußert.
Weg zurück, Berlin: Glaube ans Theater
Die schauspielerische Leistung ist herausragend und läd dazu ein an etwas zu glauben, dass sich "zeitgenössisches Theater" nennt.
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