Theater aus dem Band-Prinzip

1. Dezember 2021. Als Intendant bestreitet René Pollesch gerade seine erste Spielzeit an der Berliner Volksbühne – und verlässt sich dabei auch auf seine eigenen Stücke. Schließlich sind sie seit über zwei Jahrzehnten das Ping Pong d'Amour des Theaterbetriebs. Jetzt ist René Pollesch zu Gast in unserer Videoreihe zur Neuen Dramatik.

Moderation Christian Rakow

1. Dezember 2021. Mit über zweihundert Stücken zählt der Autor René Pollesch zu den produktivsten Schreibern unserer Tage. Und zu den produktivsten Regisseuren, denn er führt seine Stücke stets exklusiv selbst auf. Das einzelne Werk ist dabei in einen andauernden Schreibprozess eingebunden, in dem regelmäßig vertraute Textbausteine wiederkehren und sich thematisch neu verknüpfen. Pollesch nimmt Anleihen bei der strukturalistischen Sozialtheorie; das Nachdenken über neoliberale Ökonomie und über Lebensformen abseits der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft gehört zu den Standards seines Werkes. 

Entlang solch fester Motive entstehen collagierte Texte ähnlich einer Setliste bei Konzertmusikern, die jeden Abend neu ihre Klassiker mit frischem Material mischen. Tatsächlich ist Polleschs Theater oft mit Popmusik verglichen worden. Auch weil er wie in einer Band mit einem festen Stamm an Spieler:innen wie Sophie Rois, Martin Wuttke oder Kathrin Angerer zusammenarbeitet, die an der Textkomposition mitwirken. Sie verkörpern in den Inszenierungen nicht fiktive Figuren und Geschichten, sondern performen als wiedererkennbare Spielerpersönlichkeiten die Themen und Melodielinien des Abends. Dieses Band-Prinzip als ein Zusammenspiel von autonomen Virtuosen will Pollesch jetzt als neuer Intendant auf den Betrieb der Berliner Volksbühne übertragen. Seine Arbeit und seine Arbeitsweise beleuchtet er im Gespräch mit nachtkritik.de-Redakteur Christian Rakow.

René Pollesch, geboren 1962 in Friedberg/Hessen, ist Autor und Regisseur (ausschließlich in eigener Sache). Pollesch studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen, bevor er sich mit Inszenierungen eigener Texte einen Namen machte. In der Spielzeit 1999/2000 war Pollesch Hausautor am Luzerner Theater, am Berliner Podewill kam seine legendäre "Heidi Hoh"-Serie heraus. Von 2001 bis 2007 gestaltet er das Programm des Praters der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin. Außerdem realisierte Pollesch seine eigenen Texte u.a. an den Münchner Kammerspielen, am Staatstheater Stuttgart, dem Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, am Wiener Burgtheater und in Zürich am Schauspielhaus. Für seine Dramen, die – mit Ausnahme der Prater-SAGA 2004/05 – einem strikten Nachspielverbot unterliegen, gewann er 2001 (World Wide Web-Slums) und 2006 (Cappuccetto Rosso) den Mülheimer Dramatikerpreis. Mehrfach wurden seine Inszenierungen zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Zuletzt gewann er 2018 den Jürgen Bansemer & Ute Nyssen DramatikerpreisJürgen Bansemer & Ute Nyssen Dramatikerpreis. Seit der Spielzeit 2021/22 ist Pollesch Intendant der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

Zur Serie Neue Dramatik in zwölf Positionen:

Die Video-Gesprächsreihe widmet sich Autor*innen, die mit prägenden Arbeiten in der Gegenwartsdramatik in Erscheinung getreten sind. Jenseits ihrer szenischen Realisierungen stehen hier die Theatertexte selbst im Fokus. Exemplarische Schreibweisen werden diskursiv vorgestellt und im literarischen Feld wie auch in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion verortet. Die Serie stellt das aktuelle Schaffen in seiner formalen wie inhaltlichen Bandbreite vor: von Ansätzen des Dokumentarischen über biografisch-realistische Dramatik bis hin zu Strategien der Aneignung von Wissens- und Populärkulturen. Jeden Monat erscheint eine neue Folge.

Hier geht's zu Folge 1 mit Rebekka Kricheldorf

Hier geht's zu Folge 2 mit Wolfram Lotz

Hier geht's zu Folge 3 mit Sasha Marianna Salzmann

Hier geht's zu Folge 4 mit Bonn Park

Hier geht's zu Folge 5 mit Esther Becker

Hier geht's zu Folge 6 mit Sarah Nemitz und Lutz Hübner

Hier geht's zu Folge 7 mit Felicia Zeller

Hier geht's zu Folge 8 mit Regine Dura und Hans-Werner Kroesinger

Hier geht's zu Folge 9 mit Nuran David Calis

Hier geht's zu Folge 10 mit Sivan Ben Yishai

Hier geht's zu Folge 12 mit Susanne Kennedy


Hier das Gespräch mit René Pollesch als Podcast


Eine Kooperation mit dem Literaturforum im Brecht-Haus, gefördert vom Deutschen Literaturfonds.

 
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Mehr über den Volksbühnen-Start von René Pollesch gibt's im Theaterpodcast #40.
 

mehr porträt & reportage

Kommentare  
Gespräch Pollesch: Vir*tuos
Ein wunderbares Gespräch, herzlichen Glückwunsch an Herrn Rakow. Auch ein performativer Beitrag zur Debatte ums gesprochene Gendern. Wenn es alle so beherrschen würden wie Pollesch, wären viele Probleme keine. Wie er sich bei 49:22 korrigiert („Ich hatte Spieler*innen, äh, Spielerinnen“), ist einfach großartig. Vir*tuos.
Gespräch Pollesch: hervorragend
Auch von mir herzlichen Dank für dieses hervorragende Gespräch an Herrn
Rakow und natürlich auch an Herrn Pollesch.
Eigentlich wollte ich nur einmal kurz hineinhören.
Aber nach sehr kurzer Zeit habe ich gemerkt, dass hier zwei Partner
auf Augenhöhe über so interessante Thematiken sprechen, dass ich auf
jeden weiteren Aspekt nur noch gespannt war.
Also habe ich keine Sekunde bis zum Ende versäumt.
Das lag aber nicht nur an der Thematik sondern auch an den Personen.
Selten habe ich soviel Fachkompetenz in einer so lockeren und sympathischen Art
geboten bekommen.
Das hat man ja leider bei Kritikern und Künstlern nicht so oft.
Ich meine jedenfalls sehr viel mitgenommen zu haben.
Da kann ich wie im ersten Kommentar nur herzlichen Glückwunsch sagen.
Neue Dramatik, René Pollesch: Diskursverwalter
Auch lustig, dass jemand offen zugibt, seit 17 Jahren keine neuen theroetischen Einflüsse mehr zu haben. So eine Art Diskursverwalter, Theoriebewahrer, Denkreaktionär und alles verkörpert von einem zunehmend fossilierten Ensemble. Witziger Typ. Kennen den alle? Der Fragensteller scheint ja sehr begeistert.
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